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Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn Linke: "Die schwarze Null ist kein Dogma"

08.01.2015, 01:11

Matthias Höhn ist Bundesgeschäftsführer und Landtagsabgeordneter der Linkspartei. Über die Wahlchancen seiner Partei in Sachsen-Anhalt und im Bund sprachen mit ihm die Volksstimme-Reporter Steffen Honig und Jens Schmidt.

Volksstimme: Wie wichtig ist der Linkspartei im Bund die Wahl in Sachsen-Anhalt?
Matthias Höhn: Jede Landtagswahl ist für uns wichtig, weil wir nur mit einer starken Verankerung in den Ländern als Gesamtpartei auf Dauer erfolgreich sein können. Deshalb haben wir auch die Thüringer um Bodo Ramelow mit aller Kraft unterstützt. Das werden wir auch in Sachsen-Anhalt 2016 so machen. Die Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten ist seit der Partei-Neugründung der Linken 2007 wohl unser größter Erfolg. Bei den Wahlen in Hamburg und Bremen in diesem Jahr wollen wir erneut in beide Bürgerschaften einziehen und haben dafür auch gute Voraussetzungen.

Sachsen-Anhalt könnte aber das zweite Bundesland mit einem linken Ministerpräsidenten werden.
Es gibt eine gute Chance, andere Mehrheiten zu realisieren - mit einem zweiten linken Ministerpräsidenten an der Spitze. Das wäre neben Brandenburg und Thüringen die dritte rot-rote beziehungsweise rot-rot-grüne Landesregierung in Deutschland. Das ist natürlich auch für die Bundespartei ein wichtiges Ziel - und Herausforderung gleichermaßen.

Welche Konsequenzen hätte das für die Bundestagswahl 2017?
Darüber wird seit Thüringen viel geredet. Das ist aber keine Vorentscheidung für die Bundesebene. Dafür müssen erst die inhaltlichen Voraussetzungen geschaffen werden und eine Wechselstimmung im Land vorhanden sein.

Wie sehen Sie Rolle und Stärke von SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt, mit denen Sie koalieren wollen?
Es wäre falsch, ausschließlich auf Rot-Rot zu setzen. Wir wissen nicht, welche Chancen die AfD 2016 hat, in den sachsen-anhaltischen Landtag einzuziehen. Dann wäre die Mehrheitsbildung deutlich schwieriger. Ich werbe dafür, sich das Spektrum links von der Union insgesamt anzuschauen, also SPD und Grüne. Wir haben im Landtag mit den Grünen eine erhebliche Schnittmenge in sehr vielen Bereichen, etwa in meinem Fachgebiet, der Bildungspolitik. Das gibt es zum Teil auch mit der SPD, bei der ich im Moment aber keinen Leidensdruck wahrnehme, sich aus der Koalition mit der Union zu lösen. Beim Doppelhaushalt 2015/16 ist jüngst keine große Differenz zu spüren gewesen.

Glauben Sie, dass die SPD bis 2016 in der Wählergunst entscheidend zulegen kann?
Ich denke nicht, dass sich die SPD, wenn sie sich inhaltlich und strategisch nicht spürbar anders positioniert, aus dem 20-Prozent-Niveau herausbewegen kann. Die Linke hat gute Chancen, 2016 in Sachsen-Anhalt zum vierten Mal vor der SPD zu liegen.

Erwarten Sie von den Sozialdemokraten vor der Wahl ein klares Bekenntnis zu Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün?
Ich habe da keine Vorschriften zu machen. Gerade mit Blick auf Thüringen zeigt sich aber, dass die SPD kein Land gewinnen kann, wenn sie sich strategisch nicht öffnet. In einer Dauerbindung zur Union verschwindet die SPD unter dem konservativen Mehltau. Dass die Bundes-SPD nach der Bundestagswahl 2013 dieses Dogma aufhob, hat etwas damit zu tun.

Würde Sachsen-Anhalts SPD einen linken Ministerpräsidenten akzeptieren?
Dazu möchte ich nur sagen, dass es in Thüringen trotz aller ätzender Polemik breite Mehrheiten in allen drei Parteien für dieses Bündnis mit einem linken Regierungschef gegeben hat.

Mit welchen Projekten wollen Sie in Sachsen-Anhalt in den Wahlkampf gehen?
Erster Punkt ist aus meiner Sicht die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir haben hier in den vergangenen Jahren immer wieder einen Abbau zu beobachten. Das reicht von den notwendigen Investitionen in Krankenhäuser über den Nahverkehr bis zum Schulnetz. Das muss sich ändern. Der zweite Punkt ist der Haushalt. Die Landesregierung feiert sich dafür, keine Neuverschuldung zu haben. Das ist schön, aber kein Kunststück. Die Steuereinnahmen sind massiv gestiegen, aber mit dem Geld wird nur schlichte Verwaltung betrieben, keine Gestaltung. Außerdem ist für uns die Perspektive des öffentlichen Dienstes ein Knackpunkt. Der fortschreitende Personalabbau ist nicht mehr hinnehmbar, denn darunter leidet die Leistungsfähigkeit, Lehrer und Polizisten fehlen. Die schwarze Null ist kein Dogma.

Wer wird Sachsen-Anhalts Linkspartei in den Wahlkampf 2016 führen - wieder Fraktionschef Wulf Gallert oder die Landeschefin Birke Bull?
Der Landesvorstand wird 2015 einen Vorschlag machen. Für mich persönlich spricht viel dafür, dass Wulf Gallert als Spitzenkandidat antreten wird. Ich selbst hatte mit ihm die Wahlkämpfe 2006 und 2011 zu verantworten. Darauf können wir immer noch stolz sein.

Werden Sie 2016 nochmals für den Landtag kandidieren?
Das habe ich noch nicht entschieden.

Die Thüringer Regierungsbildung war nur möglich, weil die dortige Linke eingeräumt hat, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Wie geht die Partei in Sachsen-Anhalt damit um?
Zunächst straft die Thüringer Diskussion alle diejenigen Lügen, die die Partei als unbelehrbar und ewiggestrig abstempeln wollten. Wir haben Belehrungen nicht nötig. Schauen Sie sich die riesige Zustimmung der Basis zum Koalitionsvertrag an, das spricht Bände. Auch unser Landesverband hat sich seit 25 Jahren wiederholt mit diesem Thema beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hat allerdings keinen Endpunkt.

War die DDR ein Unrechtsstaat?
Ich habe dieses Wort nicht verwendet, seit ich in der Partei bin, also seit 22 Jahren. So, wie ihn die Thüringer beschreiben, trage ich den Begriff jedoch mit.

Was war die DDR für Sie?
Die DDR war ohne Zweifel eine Diktatur. Ich bin dafür, aus den Begriffen Diktatur oder Unrechtsstaat keinen Glaubenskrieg zu machen. Entscheidend sind die inhaltlichen Auseinandersetzungen, nicht Begriffe.

Den Linken wird vorgehalten, sie seien in Ost und West zerlegt. Als Indiz gilt die "Toiletten-Affäre", als Gregor Gysi im Bundestag von linken Anti-Israel-Aktivisten bis aufs WC verfolgt wurde. Wie ist es um den Zusammenhalt der Linken bestellt?
Was wir da erlebt haben, ist keine Ost-West-Auseinandersetzung und keine Flügel-Frage. Es darf keinerlei Akzeptanz einer solchen Kulturlosigkeit geben. Wir haben ein gemeinsames Programm, das genügend Spielraum bietet, sich unterschiedlich akzentuiert zu bewegen. Aber seine grundsätzliche Einhaltung erwarte ich - das hat auch der Vorstand mit Blick auf die Anti-Israel-Veranstaltungen im November unterstrichen. Ressentiments Vorschub zu leisten ist inakzeptabel. Darum lehnt die Linkspartei auch die von einzelnen Akteuren der Friedensbewegung praktizierte Querfrontstrategie klar ab.

Spätestens nach Thüringen ist absehbar, dass 2017 ein Lagerwahlkampf ins Haus steht: Rot-Rot-Grün gegen CDU plus wen? AfD und oder FDP?
Für die Bundesebene muss ich da ein dickes Fragezeichen machen. Bei Verteilungs- und Steuergerechtigkeit beispielsweise liegen Linke und SPD im Moment weit auseinander. Dieses Lager ist noch nicht definiert. Die Frage des Umgangs mit der AfD ist in der Union völlig ungeklärt, wie wir in Thüringen erlebt haben. Die FDP, glaube ich, wird nicht auf die bundespolitische Ebene zurückkehren.

Wäre auch eine absolute Mehrheit der Union für Sie vorstellbar?
Wir erleben seit einiger Zeit einen spürbaren Rechtsruck. Dieser bildet sich im Bundestag zwar nicht ab, aber bei den abgegebenen Stimmen ist das Bild ein anderes. Das, was wir im Moment auf den Straßen und Plätzen erleben, fällt darum auch nicht vom Himmel. Da artikuliert sich eine rechtskonservative Stimmungslage, die sich über viele Jahre aufgebaut hat. Absolute Mehrheiten sind in der Bundesrepublik aber die absolute Ausnahme. Ich denke nicht, dass es 2017 dazu kommt.