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Präsident des Statistischen Landesamtes, muss gehen Alles ist endlich: Der Zählmeister geht

Von Jens Schmidt 09.01.2015, 02:07

Er ist ein Pensionär wider Willen. Gern hätte er noch ein paar Jahre drangehängt, doch es sollte nicht sein. Manfred Scherschinski, Sachsen-Anhalts Meister der Zahlen und Tabellen, muss zum Monatsende aufhören. Anlass für eine kurze Er-Zählung.

23 Jahre lang war Scherschinsksi Chef der Statistiker. "Das hat noch keiner geschafft", sagt er. Damit ist er der dienstälteste Präsident seiner Zunft in Deutschland.

67 Jahre soll für Beamte künftig das Pensions-Eintrittsalter sein. Für Scherschinski gilt die Regel zwar noch nicht, aber er hätte gern länger gemacht. Doch Innenminister und Ministerpräsident genehmigten ihm das nicht. Das hat ihn geärgert.

0 Lust hat er auf eine Rückkehr in den Westen. Da, wo er aufgewachsen ist, im fränkischen Wiesentheid in Bayern, sei ja nicht viel los. "Da möcht ich nicht tot überm Zaun hängen", albert Scherschinski in gewohnt erdiger Art. Er bleibe in Halle. "In Sachsen-Anhalt bin ich heimisch geworden."

2 bis 3"Rs" auf einmal rollen bei jedem einzelnen "R" an, wenn Scherschinski redet. Trotz neuer Heimat - der Franke klingt immer durch.

200Millionen Mark -das war die eigenartigste Zahl, die er mal ausrechnen musste. Anfang der 90er, als viele ungläubig auf Sachsen-Anhalts Regierung schauten, da die entschied, im religiös eher unterentwickelten Sachsen-Anhalt das Dreikönigsfest am 6. Januar als Feiertag zu etablieren. "Die Regierung wollte wissen, wie teuer das wird." Also teilte sein Amt das Bruttoinlandsprodukt durch 220 Arbeitstage. Und kam auf die besagte Summe. "Eigentlich eine Milchmädchenrechnung. Aber die wollten die Zahl haben, also haben sie sie gekriegt."

1989saß noch die SED-Bezirksleitung Halle in dem Gebäude, in dem danach die Statistikbehörde einzog. Scherschinski übernahm Büro samt Möbel vom letzten SED-Bezirkschef - bis auf den Schreibtisch, der war ihm zu unpraktisch. Der steht auf dem Flur. "Viele kamen anfangs zu mir, nur um zu sehen, wo der letzte SED-Boss gesessen hat."

1992 begann Scherschinski seinen Dienst. "Anfangs mussten wir das Stasi-Image loswerden." Wer Zahlen abfragte, galt als suspekt im Osten. "Dabei hatten in der DDR nicht die Statistiker die Zahlen geschönt, sondern die Politik."

1995gab es einen heißen Sommer. Für Scherschinski in doppelter Hinsicht. Damals musste er die letzte verbliebene Außenstelle der Statistikbehörde auflösen - die in Magdeburg. "Das war unangenehm. Ich war schweißgebadet."

1+1 Scherschinski hat eine Frau und eine 20-jährige Tochter. Die Familie ist in Osnabrück geblieben, wo er vor der Wende für die Bundeswehr gearbeitet hatte.

1,0 war der Noten-Durchschnitt in Mathe. Was sonst? "Aber erst beim Studium, in der Schule wars nicht ganz so gut." Scherschinski hat Wirtschaft und Sozialwissenschaft an der Uni Augsburg studiert.

280 unterschiedliche Statistiken führt die Behörde. Sie zählen Einwohner, Wohnungen, Einkommen, Wirtschaftswachstum, Wählerstimmen. Die Einwohnerzahlen sind bares Geld wert - bei der Mittelverteilung an Land und Gemeinden.

99 und mehr Kinder hätte Scherschinski durchaus gern gehabt. Wenn der frühere Ministerpräsident Wolfgang Böhmer nicht so geizig gewesen wäre. Die Geschichte: "Böhmer fragte mich mal, ob ich nicht die Einwohnerzahlen ein bisschen hochsetzen könnte. Ich hab ihm gesagt: Wenn Sie die Alimente übernehmen..."

449 Mitarbeiter hatte der Präsident anfangs unter seinen Fittichen. Zuletzt waren es noch 220. Wer zählt, der bleibt von Einsparungen dennoch nicht verschont.

0+0 In der Geschäftswelt gibt es schwarze und rote Nullen. Statistisch gesehen ist das Unfug. Und in der Politik? "Da gibt es die auch. Aber ich nenne keine Namen ..."

3ist Scherschinskis Lieblingszahl. "Die nehme ich bei der Glücksspirale, da die am wenigsten gekommen ist und eigentlich mal dran wäre." Aber Wahrscheinlichkeit hin, Rechnung her: Gewonnen hat er noch nie.

+/- Zahlen haben keine Farben, auch keine parteipolitischen. "An die Neutralitätsregel habe ich mich stets gehalten." Auch wenn die Oberen es mitunter gern anders gehabt hätten. Bei der Zuwanderung etwa oder der Einwohnerprognose.

31.1. ist der letzte Tag in Scherschinskis Berufsleben. Doch mit Strickjacke im Ohrensessel - das liegt ihm nicht. "Ich will noch was machen", sagt er. Und erwägt, in eine Partei einzutreten, jetzt, wo er der Neutralität nicht mehr verpflichtet ist. Und in welche? "Das verrate ich noch nicht."