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Prozessauftakt Familienvater: "Ich habe mich an ihnen versündigt"

Er gab ihnen Tabletten, verabreichte Spritzen, stellte einen Grill ins
Zimmer und steckte am Ende den Ferienbungalow im Harz in Brand. Ein
Familienvater aus Niedersachsen hat im September versucht, sich und
seine Kinder zu töten. Sie überlebten nur knapp. Zum Prozessauftakt am
Montag legte er ein Geständnis ab.

Von Matthias Fricke 20.01.2015, 02:11

Magdeburg/Thale l André S. kämpft mit den Tränen, als Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck die Anklage verliest. Er wirft dem 34-jährigen Krankenpfleger aus Niedersachsen versuchten Mord an seinen beiden Söhnen Lenn (7 Monate) und Damian (10 Jahre) vor. In einem angemieteten Ferienbungalow in Friedrichsbrunn, einem Ortsteil von Thale, soll es am 7. und 8. September 2014 zu mehreren Tötungsversuchen gekommen sein, in einem Fall heimtückisch. Die Kinder wähnten sich bei ihrem Vater in Sicherheit und rechneten nicht mit einem Angriff auf ihr Leben, so Roggenbuck.

Der angeklagte Krankenpfleger zeigt sich geständig und sagt: "Ja, ich habe es getan, als ob ich neben mir stand." Der Familienvater lebte bereits im September in Trennung, wollte sich deshalb auch schon das Leben nehmen. Er befand sich deshalb in stationärer Behandlung, trank viel Alkohol und rauchte häufig Cannabis. Den Entschluss, sich in Friedrichsbrunn das Leben zu nehmen, fasste er bereits vor der Tat, als er die beiden Kinder von seiner Noch-Ehefrau übergeben bekam.

Diese tritt in dem Verfahren als Nebenklägerin auf und sitzt ihrem Mann im Gerichtssaal gegenüber. Sie sagt, dass vor allem seine übersteigerte Selbstverliebtheit und Egoismus zur Trennung geführt hätten.

Das eigentliche Tatwochenende soll sich so abgespielt haben: Der Familienvater mietet den Bungalow unter dem Vorwand, dort eine Doktorarbeit bis Mitte September schreiben zu wollen. Dass seine Kinder dabei sind, verschweigt er. Seine Begründung: "Ich wollte nicht gefunden werden, nachdem ich mir das Leben genommen habe." Von seiner Arbeitsstelle, einem Krankenhaus, hatte er bereits längere Zeit vorher diverse Medikamente und Spritzen mitgehen lassen. Einige Kanülen kaufte er noch in einer Apotheke nach.

Den Entschluss, die beiden Kinder mit umzubringen, habe er aber erst später gefasst.

So spielen zunächst André S. und sein großer Sohn mit dem Lego-Kasten, gucken Fernsehen. Dann hat Damian angeblich Zahnschmerzen, er gibt ihm Tabletten. Der kleine Lenn schreit immer wieder. Auch er erhält Tabletten. So stellt es zumindest der Angeklagte später dar. Am Sonntag ist der Kleine wohl noch schlechter drauf, so der Angeklagte. Er fährt mit den Kindern durch Quedlinburg und verabreicht später unter anderem Ibuprofen. Gegen 0 Uhr gehen alle ins Bett. "Dann kam mir der Gedanke auf, dem Leid ein Ende zu setzen", sagt er.

Nach dem Tablettencocktail stellt der 34-Jährige einen am Vortag an der Tankstelle gekauften Grill ins Zimmer. Doch die Glut reicht offensichtlich nicht für eine Kohlenmon-oxidvergiftung. So zieht der Familienvater die Spritzen mit weiteren Medikamenten auf. Darunter sind Lorazepam, ein schlafherbeiführendes Mittel, und eine größere Menge Insulin. Zuerst setzt er die Spritzen mehrmals in die Muskeln bei dem Säugling an, dann beim Großen. "Sie haben da schon geschlafen", sagt der Krankenpfleger. Auch er selbst habe sich da eine Spritze verabreicht. Er notiert auf einem Zettel unter der Aufschrift "Für den Rechtsmediziner" die Mengen und Art der Medikamente.

Als er aufwacht, ist es bereits Montagvormittag. Die Kinder leben noch. Er stapelt nun mehrere Möbelstücke und steckt diese in Brand. Erst als alles verqualmt ist, zieht er innerlich die Notbremse: "Ich war plötzlich hellwach und wollte, dass ich und meine Kinder leben. Ich war immer auf ihr Wohl bedacht und nun habe ich mich an ihnen versündigt."

Er nimmt den Kleinen auf den Arm und zerrt den Großen vor die Tür. Einem Zeugen sagt er, dass es brennt und fragt ihn, wo es zum nächsten Krankenhaus geht. Der Vater fährt mit seinen Kindern nach Quedlinburg in die Notaufnahme. Der Säugling liegt auf dem Fahrersitz, hinten der Große. Zufällig ist ein Notarzt mit Rettungshubschrauber vor Ort, der die dringliche Situation erkennt. Er sagt einen geplanten Transport ab und fliegt den Kleinen in die Uniklinik Halle. Sein Blutzuckerspiegel ist kaum messbar. Sein Bruder wird mit einem weiteren Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Sie überleben nach intensivmedizinischer Betreuung. Folgeschäden sind noch ungewiss.

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Dann werden die Rechtsmedizinerin und der Psychiater gehört.