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In der "Allianz für Deutschland" kämpfte 1990 auch der heutige Landtagspräsident Detlef Gürth für den Wahlsieg. Von Steffen Honig "Wir haben alles verteilt, wo CDU draufstand"

05.02.2015, 01:19

Erstmals sollten die DDR-Bürger im Frühjahr 1990 in freier Wahl ein neues Parlament bestimmen. Richtungweisend war dabei die Gründung der "Allianz für Deutschland" am 5. Februar. Zwei sehr unterschiedliche Wahlkampf-Akteure waren Helmut Kohl in Bonn und Detlef Gürth in Aschersleben.

Magdeburg l Helmut Kohl ist sauer an diesem 29. Januar 1990, einem Montag. Einen Tag zuvor haben Modrow-Regierung und Runder Tisch in der DDR vereinbart, die Volkskammerwahlen vom 6. Mai auf den 18. März vorzuziehen. Und die West-CDU hat noch keinen Partner in der DDR - nicht die gleichnamige CDU und keine der neuen Bewegungen.

Der Bundeskanzler und CDU-Chef will das ändern und schnellstens ein Wahlbündnis zimmern, das für seine Partei einen geeigneten Partner bietet. Nachzulesen in den Erinnerungen des Kanzler-Beraters Horst Teltschik, der weiter schreibt: "Außerdem entschließt er sich sofort, selbst Wahlkampfveranstaltungen in der DDR durchzuführen und das Feld nicht Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher zu überlassen."

"Es herrschte eine halb-anarchistische Situation."

Detlef Gürth über die Lage in der DDR Anfang 1990.

Detlef Gürth ist damals Mitarbeiter der CDU-Kreisgeschäftsstelle in Aschersleben. Er weiß noch genau, wie er die Vorverlegung des Wahltermins empfunden hat: "Das war eine Zäsur. Wir mussten vom Kampf um Freiheitsrechte, der die friedliche Revolution bis dahin geprägt hatte, auf Wahlkampf umschalten." Der Katholik Gürth gehört im Herbst ´89 zu den ersten in der Kreisstadt, die für Änderungen im Land demonstrieren. "In der Stephanikirche habe ich mit schlotternden Knien meine erste Rede vor Publikum gehalten", erinnert er sich. Draußen stehen Polizei und Kampfgruppen.

Die DDR steht Ende Januar 1990 vor dem Zusammenbruch, der vom verantwortlichen Politiker immer wieder beschworen wird. Die anhaltende Massenflucht in den Westen, Streiks und Arbeitsausfälle lähmen die Wirtschaft. "Wir wären ausgeblutet", sagt Detlef Gürth. "Die alten Machthaber waren noch da, konnten aber nicht mehr alles allein kontrollieren. Es herrschte eine halb-anarchistische Situation."

Welcher politischen Kraft die zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankenden DDR-Bürger an der Urne das meiste Vertrauen schenken werden, ist im Winter 1990 völlig offen. Der abgehalfterten SED-PDS nicht, so viel steht fest. Die Bürgerbewegungen von Neuen Forum bis zu den Grünen haben nicht die nötige Massenbasis. Die CDU ist durch die Blockpartei-Vergangenheit belastet. So wird die im Wende-Herbst wiedergegründete SPD als Favorit für die Volkskammerwahl gehandelt.

Das untermauern auch Umfragen. Doch die sind wenig verlässlich. "Die Werte wurden auf Grundlage der im Westen üblichen Telefonumfragen ermittelt. Doch wer hatte in der DDR schon ein Telefon?", merkt Detlef Gürth tiefsinnig an.

Den "Sozen" das Feld zu überlassen - ein Albtraum für Helmut Kohl. Er lässt keine Zeit mehr verstreichen und trifft sich am 1. Februar in West-Berlin mit dem Vorsitzenden der DDR-CDU, Lothar de Maiziére, sowie Wolfgang Schnur, Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs - später als Stasi-Mitarbeiter enttarnt - und DSU-Chef Hans-Wilhelm Ebeling, um ein konservatives Wahlbündnis auf den Weg zu bringen.

Die DSU - Deutsche Soziale Union - will der Kanzler unbedingt unter Kontrolle behalten. Die Partei hat sich zum verlängerten Arm der CSU im Osten entwickelt. Kohl fürchtet, dass dies im Westen, wo es gelungen war, die Partei in den bayerischen Grenzen zu halten, Schule machen könnte. Anfangs sollte noch die Deutsche Forumpartei, eine Abspaltung des Neuen Forums, für das Bündnis gewonnen werden. Das zerschlägt sich.

Die Ereignisse überstürzen sich: Am 5. Februar 1990 bildet DDR-Ministerpräsident Hans Modrow in Ost-Berlin die "Regierung der nationalen Verantwortung". Jetzt darf die Opposition mitregieren - sie stellt im Kabinett acht Minister ohne Geschäftsbereich.

Am selben Tag wird im Westteil der Stadt die "Allianz für Deutschland" aus der Taufe gehoben. DDR-CDU, Demokratischer Aufbruch und DSU wollen gemeinsam Richtung Wahltag am 18. März marschieren. Mit eigenen Kandidaten und politisch selbständig. Kohls Berater Horst Teltschik notiert zufrieden: "Damit hat die CDU endlich ihren Partner in der DDR gefunden."

Detlef Gürth kann mit dieser Konstellation zunächst wenig anfangen. Er hat in Aschersleben gute Verbindungen zum Neuen Forum, in dem auch viele CDU-Leute mitmachen. "Die Allianz war eine Kopfgeburt von oben", so Gürth. Seine Stadt ist ohnehin eher dem sozialdemokratischen Milieu verhaftet. Schwermaschinenbau und Bergbau dominieren die Wirtschaft, außerdem beherbergt Aschersleben die Offiziersschule der Deutschen Volkspolizei (heute Polizei-Fachhochschule des Landes Sachsen-Anhalt).

Doch die Ziele der Allianz für Deutschland entsprechen dem, was ein Großteil der DDR-Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt will: Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, Wiederherstellung der Länder in der DDR und rasche deutsche Einheit. Als Vorstufe ist eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion geplant.

Helmut Kohl erklärt kurz nach der "Allianz"-Gründung: "Wir beteiligen damit die Landsleute in der DDR ganz unmittelbar und direkt an dem, was hier in der Bundesrepublik in den Jahrzehnten aufgebaut wurde." Die D-Mark winkt am Horizont - das wollen die Leute hören.

"Helmut, nimm uns an die Hand, zeig uns den Weg ins Wirtschaftswunderland."

CDU-Losung im DDR-Wahlkampf

Nun muss nur noch die Wahl gewonnen werden. Die Aschersleber CDU erhält logistische Unterstützung gleich von zwei CDU-Kreisverbänden aus dem Westen. Aus Peine, wohin Aschersleben eine Partnerschaft angeknüpft hat, und aus Pforzheim, dem vom CDU-Bezirksvorstand zugewiesenen Patenkreis.

Neben Büroartikeln und Diktiergeräten liefert die West-CDU auch Transparente mit vorgefertigten Losungen in der DDR, wie mit dem Spruch: "Helmut, nimm uns an die Hand, zeig uns den Weg ins Wirtschaftswunderland".

Selbst mit alten CDU-Wahlplakaten wird die Stadt zugepflastert, von der politischen Konkurrenz häufig überklebt. Detlef Gürth spricht heute von einem "Wahlkampf ohne Limit", wie er ihn nie wieder erlebt habe. "Wir haben alles verteilt, wo CDU draufstand", sagt Gürth.

Es lohnt sich. Die CDU erhält am 18. März 1990 in Aschersleben 50,2 Prozent der Stimmen. Detlef Gürth zieht als Abgeordneter in die Volkskammer ein.