1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Versammlungsrecht trifft Persönlichkeitsrecht

Tröglitz-Erlass vom Innenministerium Versammlungsrecht trifft Persönlichkeitsrecht

Das Innenministerium zieht Konsequenzen aus dem Rücktritt des Tröglitzer
Ortsbürgermeisters Markus Nierth. Ein am Donnerstag vorgelegter Erlass
gibt Empfehlungen zum Umgang mit Demonstrationen vor den Wohnhäusern
ehrenamtlich Tätiger.

Von Michael Bock 13.03.2015, 02:26

Magdeburg/Tröglitz l In dem Erlass wird darauf verwiesen, dass die Versammlungsfreiheit "grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt" werde. Aber: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht stellt ein dem Versammlungsrecht gleichwertiges Rechtsgut dar, zu dessen Schutz Beschränkungen verfügt werden dürfen."

Die unmittelbare Umgebung einer Privatwohnung sei von Veranstaltungen freizuhalten, die "psychischen Druck" erzeugen könnten, heißt es. Wenn Demonstrationen unmittelbar vor dem Wohnhaus das Ziel hätten, den Willen der Ehrenamtlichen zu beugen, "ist es Pflicht der Behörden, Versammlungen zu beschränken oder zu verbieten". In der Rechtsprechung sei eine Schutzzone mit einem Radius von 500 Metern um das Grundstück bereits für erforderlich erachtet worden, "um den durch das Persönlichkeitsrecht geschützten unantastbaren Bereich zu gewährleisten". Ein vollständiges Verbot sei die ultima ratio des Versammlungsrechts, heißt es.

In Tröglitz (Burgenlandkreis) waren Rechtsextreme und Bürger gegen die Unterbringung von Asylbewerbern auf die Straße gegangen. Der ehrenamtliche Bürgermeister Nierth (parteilos) hatte sein Amt niedergelegt, weil auch vor seinem Haus demonstriert werden sollte und er sich vom Kreis, der Bevölkerung und den Parteien nicht ausreichend geschützt und unterstützt fühlte.

Ex-Innenminister Holger Hövelmann (2006 bis 2011) hat seine ganz eigenen Erfahrungen mit der Rechtsprechung gemacht. Im Jahr 2008 marschierten in Zerbst mehr als 100 NPD-Anhänger grölend direkt am Privatgrundstück des SPD-Politikers vorbei. "Das war für meine Familie eine unerträgliche Situation", erinnert sich Hövelmann im Volksstimme-Gespräch. Zuvor hatte die Polizeidirektion Ost den NPD-Umzug mit Auflagen bedacht. Dazu gehörte, dass die NPD-ler nicht am Privathaus Hövelmanns vorbeiziehen durften. Dagegen erhob die NPD Einspruch.

Das Verwaltungsgericht Dessau-Roßlau kippte die Auflagen der Polizei, das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Magdeburg stützte diese Position. Die Versammlung sei kein Angriff auf das Lebensumfeld des Innenministers. Im OVG-Beschluss heißt es, Minister oder andere Funktionsträger könnten sich "nicht auf einen (besonders) geschützten Rückzugsraum berufen; vielmehr dürfte es in Rechnung zu stellen sein, dass sie als Personen des öffentlichen Lebens im Einzelfall auch in ihrer Privatsphäre von den durch das Grundgesetz geschützten Kundgebungen in besonderer Weise betroffen sind".

Für Hövelmann ist diese Sicht der Dinge eine "fatale Botschaft". Es werde wohl erst anders geurteilt, "wenn eine solche Demo vor dem Haus eines Richters stattfindet", sagte er.

Auch vor dem Privathaus von Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) marschierten im Jahr 2007 Rechte auf. "Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass man solche Demonstrationen gestattet", sagte Trümper gestern der Volksstimme. "Das geht zu weit. Wenn das gang und gäbe wird, stellt sich doch keiner mehr zur Wahl." Meinung