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DDR-Geheimdienst Interesse an Stasi-Akten gestiegen

Fast 10 000 Sachsen-Anhalter wollten 2014 ihre Stasi-Akten sehen - mehr als im Jahr zuvor. Das Thema ist längst nicht erledigt, sagt Landesbeauftragte Birgit Neumann-Becker.

Von Jens Schmidt 01.04.2015, 03:25

Magdeburg l 9812 Anträge auf Akteneinsicht gingen bei den Stasiunterlagen-Außenstellen in Magdeburg und Halle ein. Fast 2000 mehr als im Jahr zuvor und damit wieder fast so viele wie 2012. Der 25. Jahrestag der Wende in der DDR hatte offenbar das Interesse beflügelt. Darunter waren auch Antragsteller, die sich für die Akten ihrer bereits verstorbenen Angehörigen interessieren. Solche Einsichten sind nach neuester Gesetzeslage bis zum zweiten Verwandtschaftsgrad möglich. "Die Aufarbeitung des DDR-Unrechts und die Anerkennung der Opfer ist längst nicht abgeschlossen", sagte die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen gestern bei der Vorstellung ihres Jahresberichts für 2014.

Seit 1992 wollten fast eine halbe Million Menschen in Sachsen-Anhalt wissen, ob und von wem sie bespitzelt worden sind, was der DDR-Geheimdienst über sie wusste, wo er in ihre Lebenswege eingriff. In den schlimmsten Fällen führten Verrat und Willkür ins Gefängnis. 2500 Betroffene haben sich im vorigen Jahr bei der Behörde der Landesbeauftragten beraten lassen. "650 der beratenen Personen leiden unter weitergehenden Diktaturfolgen", berichtete Neumann-Becker.

Politiker blocken
Zu den Betroffenen gehören Frauen, die sich in den 60er und 70er Jahren einer medizinischen Zwangsuntersuchung unterziehen mussten. Sie wurden wegen eines oft vagen Verdachts auf Geschlechtskrankheiten in geschlossene Abteilungen von Polikliniken eingeliefert. "Dort mussten sie gegen ihren Willen furchtbare Eingriffe ertragen", sagte Neumann-Becker. Die Vorgänge an der Poliklinik Halle-Mitte wurden 2014 in der Publikation "Disziplinierung durch Medizin" untersucht und dargestellt. Wer in der DDR aus politischen Gründen ins Gefängnis musste, hat heute ein Recht auf Rehabilitierung. An den Landgerichten Magdeburg und Halle gehen jährlich etwa 400 Anträge ein. Gut ein Viertel dieser Begehren wird juristisch anerkannt. Die Zahl bewilligter Haftentschädigungen geht hingegen weiter zurück. Waren es vor 15 Jahren noch 1160 Fälle, waren es im vorigen Jahr noch zwei. Die Betroffenen erhielten im Mittel 2800 Euro. Knapp 7000 Sachsen-Anhalter bekommen eine Opferrente -seit dem 1. Januar sind das 300 Euro monatlich.

Recht wenig Resonanz erhielt Neumann-Becker auf ihren Appell an Politiker, sich nach den Kommunalwahlen im vorigen Frühjahr überprüfen zu lassen. Nur ein Drittel der Kommunen habe sich bislang dazu durchgerungen. "Manche meinen, nach 25 Jahren müsse damit Schluss sein. Doch das halte ich für falsch", sagte Neumann-Becker. "Die Älteren haben auch die Verpflichtung, für die nachfolgende Generation klar Schiff zu machen. Das Kartell des Schweigens muss durchbrochen werden."

Bis 2019 sollen die Stasi-Unterlagenbehörden wie bisher arbeiten. Wie es weitergehen soll, berät derzeit eine Expertenkommission unter dem Vorsitz von Sachsen-Anhalts früherem Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer. Es gibt Überlegungen, die Behörde zu einer Instanz zur Aufarbeitung kommunistischer Diktatur zu entwickeln. Geklärt werden soll auch die Zukunft der beiden Außenstellen in Halle und Magdeburg. Die Magdeburger stand zwischenzeitlich schon auf der Kippe. Allerdings werden in Magdeburg seit Jahren mehr Anträge gestellt als in Halle.