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Sachsen-Anhalts Weltmeister Die besten Ihrer Art

Sachsen-Anhalt hat schon so einige Weltmeister hervorgebracht - nur
kennt die in der Welt kaum jemand. Denn oft sind es Nischen, in denen
sie ihren Titel geholt haben.

Von Elisa Sowieja 18.05.2015, 20:57

Magdeburg l Im Gegensatz zur Fußball-WM räumen ARD und ZDF leider nicht ihr Abendprogramm frei, wenn sich die besten Breakdancer oder Roboterbauer messen. Die Volksstimme stellt fünf Weltmeister aus unserer Region vor. Sie erzählen, wie es sich anfühlt, diesen Titel zu tragen - und wie er ihnen genutzt hat.

Mut zur Meisterschmiede
Wäre Nils Klebe 2002 in den entscheidenden Minuten gestolpert, hätte Magdeburg heute eine Tanzschule weniger. Gut möglich, dass er jetzt als Verkäufer arbeiten würde, vielleicht hätte er auch noch studiert. Doch Klebe und der Rest der Da Rookies behielten die Nerven, dabei waren sie die Außenseiter bei der Breakdance-WM: Ein paar Jungs, die nicht nur tanzten, sondern unbedingt auch den Unterhalter geben mussten.

Dass sie sich damit durchsetzten, machte dem damals 22-Jährigen Mut, seinen Job als Facharbeiter in einer Kerzenfabrik an den Nagel zu hängen. "Der Titel hat uns den Weg in die Professionalität geebnet", sagt der Magdeburger heute. Die sechsköpfige Tänzer-Truppe nahm nach und nach mehr Auftritte an, 2005 machten die Da Rookies ihre eigene Tanzschule auf. Sie ist mittlerweile zur Meisterschmiede geworden: "Wir haben den deutschen Meister der Kinder ausgebildet", erzählt Nils Klebe stolz. "Außerdem hat einer unserer Jungs eine Tanz-Casting-Show gewonnen und im Kinofilm Dessau Dancers mitgespielt."

Die "Alten" haben inzwischen selbst nochmal nachgelegt - wenn auch in einer anderen Formation, denn von den Weltmeistern von 2002 ist nur noch er übrig. Mit den jetzigen Da Rookies wurde Nils Klebe 2006 noch einmal Weltmeister. "Der Titel hat mich genauso überrascht wie beim ersten Mal", erzählt er. Und er habe der Tanzcrew noch mehr Anfragen von Auftraggebern und Sponsoren eingebracht.

Inzwischen ist Nils Klebe 35, dem einstigen Küken der Da Rookies gehört heute der Platz als alter Hase. Geht der denn jetzt langsam auf die Breakdancer-Rente zu? Klebe winkt ab: "Nein, nein, meine Knochen machen noch bestens mit!"

Von Beruf Blitzmerker
Ich geb‘ Ihnen mal meine E-Mail-Adresse, Herr Mallow. Haben Sie was zu schreiben?" Ach nee, das braucht er ja gar nicht. Johannes Mallow ist doch Gedächtnis-Weltmeister. Da wird er sich wohl am Telefon eine popelige Kombination aus Journalistennamen plus Volksstimme plus Endung merken können. Als er 2012 den WM-Titel holte, musste sich der Magdeburger ganz anderes einprägen - zum Beispiel 501 Zahlen in fünf Minuten.

Neun Jahre lang hatte Mallow auf seinen Sieg hingearbeitet. "Ich wollte das unbedingt", erzählt der 33-Jährige. Für ihn hat der Gedächtnissport eine besondere Bedeutung: "Er ermöglicht mir, mich auf sportlicher Ebene gleichwertig mit jemandem zu messen." Sonst ist das kaum möglich. Denn Mallow leidet unter der Muskelerkrankung FSHD, sitzt seit vier Jahren dauerhaft im Rollstuhl. "Der Weltmeister-Titel hat mir einen Schub Selbstbewusstsein gegeben", sagt er.

Auch seine Karriere hat er beflügelt. "Nach dem Sieg war ich oft in der Zeitung und im Fernsehen." Die Aufmerksamkeit habe er genutzt, um Kurse als Memory-Coach anzubieten - für Studenten etwa oder für Mitarbeiter, die sich einfach keine Namen zu Gesichtern merken können. Noch arbeitet der studierte Kommunikationstechniker parallel an der Magdeburger Uni, demnächst will er allein vom Gedächtnistraining leben.

Als Weltmeister hat Mallow auch noch eine Art private Verpflichtung: "Bei fast jeder Party bittet mich jemand, etwas vorzuführen." Ein Kartenspiel macht sich immer super, die Reihenfolge hat er im Nu drauf. Gerade keines zur Hand? Umso besser. Dann prägt er sich auf Wunsch die Handynummern der Mädels ein.

Bitte ein Selfie!
Neulich hatte Lukas Hoyer einen Hauch von Promigefühl. Beim Maifeuer in seiner Heimat Biederitz (Jerichower Land) sprachen ihn zwei Jungs an: "Du bist doch der Weltmeister!" Sogar ein Selfie mit ihm wollten sie. "Aber sonst gibt‘s für uns keine Sonderbehandlung", erzählt er und lacht. "Nicht mal bei den Physik-Hausaufgaben."

Der 18-Jährige und sein Teampartner Daniel Busse (16) aus Wedderstedt im Harz sind amtierende Weltmeister im Roboterbauen. Ihr "RotecIV" findet sich im Labyrinth so gut allein zurecht, dass sich die Gymnasiasten mit ihm in Brasilien gegen 15 Nationen durchgesetzt und so in ihrer Altersklasse den Titel beim RoboCup geholt haben.

Einen Nutzen, meinen beide, haben sie daraus bisher nicht gezogen. "Zumindest keinen direkten", sagt Daniel Busse. "Ich durfte vor kurzem ein Praktikum an der Magdeburger Universität machen. Bei der Bewerbung habe ich den Titel angegeben, vielleicht hat das etwas geholfen."

Der Harzer ging dieses Jahr schon wieder beim RoboCup an den Start, allerdings mit einem anderen Partner. Beim deutschen Vorausscheid ist das Team immerhin auf Platz zwei gelandet. Lukas hat sich währenddessen aufs Abitur vorbereitet. Ganz lassen konnte er die Sache mit den Wettbewerben aber nicht: Mit einer Klassenkameradin hat er sich bei "Jugend forscht" beworben. Ihre Erfindung, ein günstiges Spektrometer, hat ihnen prompt einen Landessieger-Titel beschert.

Aber nochmal zurück zum Nutzen, den so ein Titel birgt: Hilft der denn eigentlich, die Mädels zu beeindrucken? Jetzt lachen beide. "Nee! Die hauen eher ab, wenn sie das hören."

Die Nächsten, bitte!
Fanmeile? Fehlanzeige! Während sich die Fußball-Nationalelf letzten Sommer von Hunderttausenden in Berlin feiern ließ, sprach Björn Bach, als er \\\'97 Weltmeister wurde, auf der Straße nicht ein einziger Fan an. Dafür hat er Jogis Jungs aber auf anderem Wege übertrumpft: Der Kanute holte nach seinem ersten noch fünf weitere WM-Titel.

Da wird selbst Jungspunt Mario Götze mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nachziehen können. "Der erste war definitiv der schönste", erinnert sich der 38-Jährige. Damals war er 21 und frisch in die Nationalmannschaft gerutscht. Im Vierer ging er in Kanada an den Start. "Den Sieg habe ich erst Tage später realisiert", erinnert sich der Magdeburger. Ein überwältigendes Gefühl. Mehr als zehn Jahre hatte er darauf hingearbeitet, zuletzt sechs Tage die Woche bis zu zwölf Stunden im Boot gesessen.

Von seinen Titeln profitiert Bach noch heute. Ohne sie würde er jetzt womöglich nicht die Landes-Jugendmannschaft trainieren und in Vereinen nach den nächsten Weltmeistern suchen. Und ohne die Rackerei in seinen aktiven Jahren, sagt er, besäße er weniger mentale Stärke.

So unbekannt wie \\\'97 ist der Magdeburger übrigens nicht geblieben. Umso mehr Titel er holte, desto öfter wurde er doch mal im Supermarkt angesprochen. An Kassen- oder sonstigen Schlangen vorgelassen hat den Weltmeister aber noch niemand, berichtet er: "Zum Glück! Ein Promi möchte ich nicht sein." Auch anhimmeln lässt er sich am liebsten nur von zwei Fans: Töchterchen Lilyana und Sohnemann Tamilo.

Immer akkurat
Nach ihrer Medaille muss Bärbel Broschat erst mal in einer alten Kiste kramen. Und nach der Geschichte dazu in ihrem Gedächtnis. Ist ja auch schon 35 Jahre her, dass die Magdeburgerin Weltmeisterin geworden ist. Broschat, damals hieß sie noch Klepp, wurde in den Niederlanden Siegerin der ersten Weltmeisterschaft der Frauen im 400-Meter-Hürden-Lauf.

Dass sie ausgerechnet im Hürden-Lauf mal einen WM-Titel abgrasen würde, daran hätte sie fünf Jahre zuvor nicht im Traum gedacht. Da lief sie nämlich noch, ohne dass Schnickschnack im Weg stand. Doch der wurde immer populärer, und ihr Trainer konnte sie breitschlagen, die Disziplin zu wechseln. Bei der WM dann galt die Magdeburgerin zwar mit als Favoritin. "Aber ich musste ausgerechnet auf der Außenbahn starten - schrecklich!" Alle liefen hinter ihr; niemand da, um sich heranzuziehen. Mit einer Brustbreite Vorsprung lief sie als Erste durchs Ziel. Im ersten Moment war in meinem Kopf alles leer", erinnert sich die heute 57-Jährige.

Der Lohn für ihre Mühen hielt sich in Grenzen: "Die Prämie lag vielleicht bei 1000 Ost-Mark", erinnert sich Broschat. Auch Ruhm gab‘s eher wenig: "Das DDR-Fernsehen hat mit uns keine Interviews geführt." Selbst ihre Sportler-Karriere hat der Titel nicht beflügelt, denn nach mehreren Verletzungen hörte sie recht bald als aktive Läuferin auf.

Ist aber alles nicht so schlimm, sagt sie: "Der Titel hat mir Selbstbewusstsein gegeben." Und Disziplin, die ihr im Job heute nutzt. Am Magdeburger Universitätsklinikum arbeitet sie in der Organisation. "Meine Kollegen sagen, ich sei ganz schön akribisch." Broschat grinst: "Ich werte das einfach mal positiv!"