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Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Mit Einzug der ersten Familien in Tröglitz endet monatelanges Tauziehen

Rund zwei Monate nach dem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz sind die ersten Asylbewerber in dem Ort in Sachsen-Anhalt aufgenommen worden.

12.06.2015, 01:22

Naumburg (AFP) l Zaghaft lächelnd und etwas verschüchtert betreten die drei Familien aus Indien und Afghanistan den großen Saal im Naumburger Landratsamt. Selten wird Flüchtlingen in Deutschland solch ein Empfang bereitet. Doch es geht um Tröglitz, jenen kleinen Ort in Sachsen-Anhalt, wo vor rund zwei Monaten ein Brandanschlag auf eine geplante Asylbewerberunterkunft verübt wurde. Nun sind die ersten neun Flüchtlinge angekommen - und der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), stellt sie an diesem Donnerstag auf einer Pressekonferenz vor.

Ulrich ist sich dieses ungewöhnlichen Schrittes durchaus bewusst. Er spricht von einer "Gratwanderung zwischen dem, was man den einzelnen Personen an öffentlicher Aufmerksamkeit zumuten kann, und dem öffentlichen Interesse". Ulrich wertet es zugleich als klares "politisches Signal", dass an der Unterbringung von Flüchtlingen in Tröglitz festgehalten werde, "auch wenn dies einige Menschen anders sehen". "Ich freue mich sehr, dass wir nach den schwierigen Wochen und Monaten so weit gekommen sind", fügt Ulrich hinzu.

Erste Patenschaften übernommen

Tatsächlich wurde in dem 2700-Einwohner-Ort lange Zeit Stimmung gemacht gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Rechtsextreme, aber auch Bürger demonstrierten. Markus Nierth fühlte sich von den Rechten derart bedroht und von den Behörden im Stich gelassen, dass er Anfang März als Bürgermeister zurücktrat. Als Unbekannte am Osterwochenende dann den Brandanschlag auf die geplante Asylbewerberunterkunft verübten, galt Tröglitz als Symbol für Fremdenfeindlichkeit in Deutschland.

An diesem Donnerstag nun spricht Nierth in Naumburg von einer "Chance" für Tröglitz. Nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge liege es an den Tröglitzern selbst, "etwas daraus zu machen, auf die Menschen zuzugehen oder in Ängstlichkeit verfangen zu bleiben".

Nierth und seine Familie gehören zu den Ersten, die Patenschaften übernommen haben. Sie helfen den beiden afghanischen Familien beim Einleben. Seine Töchter seien bereits mit ihnen einkaufen gewesen, sein Sohn spiele mit dem elfjährigen Sajad. "Und heute Nachmittag wollen wir Zahlen lernen", sagt Nierth sichtlich begeistert.

Joachim Laake, der die indische Familie Patel im Alltag begleitet, berichtet von bislang überwiegend "wohlwollenden Tönen" in Tröglitz. "Wir brauchen keine Demonstrationen von rechts, wir brauchen Menschlichkeit, wir brauchen Toleranz", sagt er.

Und die Flüchtlinge? Sie seien "freundlich empfangen worden", berichtet die Familie Patel mit Hilfe eines Dolmetschers. Auch die beiden afghanischen Familien, die eine monatelange Flucht zu Fuß und per Boot hinter sich haben, blicken zuversichtlich in die Zukunft. Die 19-jährige Zainab Ahmadi, die ihre kleine Tochter auf dem Schoß hält, will ihren Schulabschluss nachholen. Der elfjährige Sajad Gorbani wird bald die Grundschule besuchen.

Die Flüchtlinge haben vor ihrer Ankunft in Tröglitz von den Vorfällen dort erfahren - und reagierten Ulrich zufolge "sehr gefasst". Sie wollen nun so schnell wie möglich Deutsch lernen. "Diese Menschen haben Vertrauen in unsere Gesellschaft, dass hier die Menschenrechte geachtet werden", sagt Nierth.

Tröglitz wird sich am Umgang mit den Flüchtlingen messen lassen müssen. Mit neuen Demonstrationen rechne er nicht, betont Ulrich, er könne dies aber auch nicht ausschließen. Für die Unterbringung der Flüchtlinge wurde ein Sicherheitskonzept erarbeitet. Bei der Wahl der beiden Wohnungen, in denen die Familien leben, weil die Asylbewerberunterkunft nach dem Anschlag unbewohnbar ist, wurden Polizei und Staatsschutz mit eingebunden. "Was die Flüchtlinge jetzt vor allem brauchen, ist Ruhe, um sich einleben zu können", sagt Ulrich.