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V-Mann "Corelli" Von Geheimnissen, die längst keine mehr waren

Innenminister Stahlknecht wird vorgeworfen, in einem Hintergrundgespräch einen V-Mann enttarnt zu haben. Schaut man genauer hin, stellt man fest: Der Mann war bereits aufgeflogen.

Von Michael Bock 26.06.2015, 03:10

Magdeburg l Nächste Woche wird Innenminister Stahlknecht vor die Parlamentarische Kontrollkommission und den Innenausschuss des Landtags zitiert. Er soll zu seiner Rolle bei der Enttarnung des V-Manns "Corelli", alias Thomas Richter, Auskunft geben.

Auslöser ist das als "amtlich geheim" eingestufte Gutachten des Sonderermittlers Jerzy Montag. Dieser hatte im Auftrag des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundes mögliche Zusammenhänge zwischen dem V-Mann Richter aus Halle und dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) untersucht. Er geht in dem Gutachten auf das Hintergrundgespräch bei Stahlknecht ein: "Der Innenminister hat in einem Pressegespräch am Vormittag des 17. September 2012 die Pressevertreter darum gebeten, bei ihrer Berichterstattung darüber, ob oder dass der V-Mann Corelli identisch mit dem Neonazi Thomas Richter ist, behutsam vorzugehen, um den V-Mann nicht zu gefährden. Dies ist von den Journalisten mit hoher Wahrscheinlichkeit als eine Bestätigung ihrer Annahme gesehen worden."

Die "Mitteldeutsche Zeitung" kommentierte das am 23. Juni 2015 so: "Die Wertung des Sonderermittlers könnte für Stahlknecht Folgen haben; in Betracht kommt Paragraf 353b des Strafgesetzbuches - Geheimnisverrat." Seitdem steigt der Erregungspegel im Landtag. Die Opposition und in sehr scharfem Ton auch der Koalitionspartner SPD setzen Stahlknecht mächtig zu. Tatsächlich aber scheint der Vorwurf des Geheimnisverrats abwegig zu sein. Denn zum Zeitpunkt des Gesprächs war "Corelli" bereits enttarnt.

Zurück ins Jahr 2012: Schon im August berichteten Medien - etwa "taz" und "Mitteldeutsche Zeitung" - über Thomas Richter und seine Verbindungen zur Terrorzelle NSU um Uwe Mundlos. Im politischen Raum war das Thema bekannt; auch der Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau. Die Linke-Politikerin stellte am 13. September 2012 im NSU-Untersuchungsausschuss eine bemerkenswerte Frage. Sie fragte den damaligen Präsidenten des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Ku-Klux-Klan in Baden-Württemberg: "Können Sie sich daran erinnern, und ist Ihnen in diesem Zusammenhang ein V-Mann ,Corelli` in Erinnerung oder die Berichte eines V-Manns ,Corelli`?" Damit war eine Spur zu Thomas R. gelegt. Denn die "taz" hatte bereits im August berichtet, dass dieser auch Ku-Klux Klan-Mitglied war.

Dem MDR sagte Pau: "Zumindest ein uns bekannter Nazi aus Sachsen-Anhalt hat sich bis zum Abtauchen des Trios im Freundeskreis von Uwe Mundlos aufgehalten."

Am 14. September 2012, nur einen Tag später, veröffentlichte die Linke in Sachsen-Anhalt eine Pressemitteilung. Kernsatz: "Es gibt Hinweise darauf, dass ein Vertreter der Neonaziszene aus Sachsen-Anhalt, der Kontakt zu Mundlos hatte, zugleich Informant des Verfassungsschutzes war." Ein Neonazi aus Sachsen-Anhalt mit Nähe zur NSU? Das konnte eigentlich nur Thomas R. sein. Ein Verfassungsschutz-Informant? Da deutete doch vieles auf "Corelli" hin. Das Puzzle setzte sich zusammen. Und so brachte der MDR am Abend desselben Tages das Innenministerium mit einer brisanten Anfrage in Alarmstimmung: "Gab es beim Verfassungsschutz einen Informanten mit dem Decknamen Corelli? Wenn ja, handelt es sich dabei um Thomas Richter?"

Minister Stahlknecht sagt jetzt: "Spätestens da war mir klar, dass die Quelle in Teilen der Medienvertreter enttarnt war." Das sah wohl auch der Bundesverfassungsschutz so. Der hatte schon am 3. September beschlossen, die Identität von Thomas R. zu ändern.

Stahlknecht informierte am 17. September 2012 telefonisch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und den Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, über die - wie er glaubte - unmittelbar bevorstehende öffentliche Enttarnung. Es folgte ein streng vertrauliches Gespräch mit der journalistischen Spitze der "Volksstimme", des "Mitteldeutschen Rundfunks" und der "Mitteldeutschen Zeitung". Stahlknecht bat die Medienvertreter um einen sensiblen Umgang mit ihren Informationen. In dem Gespräch bestätigte er nicht, dass Corelli und Thomas Richter ein und dieselbe Person seien. Stahlknecht: "Ich habe meine Amtspflicht ausgeübt, um ein Menschenleben zu schützen." Was er zu diesem Zeitpunkt wohl nicht wusste: Thomas R. war schon in Sicherheit gebracht worden.

Linken-Politikerin Pau war indes über das Treffen informiert. So berichtete sie am 8. Oktober 2014 im Innenausschuss des Bundestags über den vertraulichen Termin. Dort sei die Identität von "Corelli" aufgedeckt worden, behauptete sie. Sonderermittler Montag wusste sogar, wer an den Gesprächen teilgenommen hatte.

Thomas Richter, der dem Verfassungsschutz 18 Jahre lang als Top-Quelle in der rechtsextremen Szene gedient hatte, tauchte zunächst in Großbritannien unter. Voriges Jahr starb er an einem Zuckerschock.