1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Fröhliche D-Mark-Schlangen

Währungsunion Fröhliche D-Mark-Schlangen

Der Abschied vom DDR-Geld fiel den Ostdeutschen leicht, hielten sie doch nun eine Währung von Weltgeltung in der Hand. Über Nacht veränderten sich damit aber Warenangebot und Preisgefüge fundamental.

Von Steffen Honig 01.07.2015, 03:04

Magdeburg l Frohe Kunden trotz stundenlanger Wartezeiten - so etwas hat Astrid May in ihrem 34-jährigen Berufsleben bei der Magdeburger Sparkasse nur einmal erlebt. Der Sommer 1990 hatte es eben in sich, politisch genauso wie finanztechnisch. Überall zwischen Kap Arkona und Fichtelberg war das Wechselfieber ausgebrochen. Für den großen Geldumtausch legten die Beschäftigten der DDR-Kreditinstitute einen Kraftakt sondergleichen hin. An geregelte Arbeitszeiten war in den entscheidenden Tagen nicht zu denken, erinnert sich die Sparkassen-Angestellte May: "Wir waren in der Zentrale von morgens um sieben bis Mitternacht beschäftigt, einschließlich Sonnabend und Sonntag."

Schon weil die technischen Bedingungen andere waren als heute. "Wir hatten keine Kopierer und keine Computer, sondern benutzten Blaupapier, um die Aktenberge zu bewältigen," sagt Astrid May, damals Abteilungsleiterin und gleichzeitig Pressesprecherin.

49.000 neue Konten in Magdeburg eröffnet

Für den Umtausch galt der generelle Satz von 1:1 bis zur Obergrenze von 4.000 D-Mark für DDR-Bürger von 15 bis 59 Jahren. Ältere erhielten bis zu 6.000 D-Mark, bei Kindern bis 14 wurden 2.000 DM festgelegt. Für alles, was darüber hinausging, galt der Kurs von 2:1. Um sich möglichst viel der harten Währung zu sichern, schoben die Ostdeutschen ihre Ersparnisse zwischen den Familienmitgliedern trickreich hin und her.

Das hatte für die Banken und Sparkassen fatale Folgen: "Im ersten Halbjahr 1990 haben wir bei der Magdeburger Stadtsparkasse 49.000 neue Konten eingerichtet", weiß Astrid May. Nach dem 1. Juli setzte der umgekehrte Prozess ein: Das Geld auf den Konten wurde erneut neu aufgeteilt. Da dies ein Massenphänomen war, konnte ein Sparkassen-Termin inklusive stundenlangem Schlangestehen tagesfüllend werden. "Und dennoch haben wir kein böses Wort gehört", lobt die Sparkassen-Vertreterin rückblickend die Kundschaft.

Was sich in Magdeburg abspielte, lässt sich auf die gesamte untergehende Republik übertragen. Das gigantische Volumen verdeutlicht die Zahlenbilanz der Währungsunion: Vor dem 1. Juli 1990 verfügten die DDR-Bürger über Guthaben in Höhe von 165,6 Milliarden Ost-Mark. davon konnten 64,8 Milliarden 1:1 gegen D-Mark umgetauscht werden, der Rest wurde im Verhältnis 2:1 in harte Mark gewechselt. Nach der Währungsunion waren demnach 115,2 Milliarden D-Mark im Osten in privater Hand. Improvisation war bei der Umtauschaktion Trumpf. Da Unmengen an D-Mark-Beständen unters Volk zu bringen waren, musste zu unorthodoxen Aufbewahrungsmitteln gegriffen werden: In Säcken und Schuhkartons wurden die Geldschein-Stapel bei der Sparkasse gelagert. Und das bei derart einfachen Sicherheitsvorkehrungen, dass jedem Bankräuber das Herz höher schlagen würde. Doch mit denen hatten es die Banken im Osten erst später richtig zu tun.

Die Konkurrenz war allerdings auch im Bankwesen schon da: Die Kreditinstitute aus dem Westen stellten an zentralen Stellen in Magdeburg Container auf, die aber im Gegensatz zu den damals 36 Sparkassen-Geschäftsstellen mit modernster Technik ausgerüstet waren. Die Umstellung von Ost-Mark auf D-Mark war ein kompletter Systemwechsel. Statt der eher betulichen Planwirtschaft galten nun die Gesetze des Marktes. Dies schlug sich rasch im freien Fall der ostdeutschen Wirtschaft nieder. Sämtliche Produkte aus der DDR waren auf einmal härtester Konkurrenz ausgesetzt.

Ende der Subventionen und Öffnung des Tors zur Welt

Die DDR-Bürger spürten die Unterschiede, als am 2. Juli die Läden öffneten. Ein Farbfernseher, preiswert und sofort zum Mitnehmen - bitteschön! Brötchen für fünf Pfennig und Fahrscheine für 15 Pfennig - damit war es vorbei. Was in der DDR subventioniert worden war, wurde sofort teurer. Die D-Mark öffnete aber die Tür zur Welt: Viele nutzen die neuen Scheine, um in den Urlaub abzudüsen.

Das wertlos gewordene DDR-Geld wurde von der Staatsbank eingesammelt und eingelagert oder gleich vernichtet. Als "Alu-Chips" sind die Pfennig- und Mark-Münzen im kollektiven Gedächtnis erhalten geblieben.