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Innenminister über abgelehnte Asylbewerber "Nicht jeder kann bleiben"

Abgelehnte Asylbewerber müssen schnell zurück - damit widerspricht
CDU-Innenminister Holger Stahlknecht SPD-Chefin Katrin Budde, die ein
Ende der bisherigen Abschiebepraxis fordert. Mit dem Minister sprach
Volksstimme-Reporter Jens Schmidt.

04.07.2015, 01:07

Volksstimme: Herr Minister, abgelehnte Asylbewerber sollen schnellstmöglich wieder zurückgeschickt werden. Darunter können aber auch gesuchte Fachkräfte sein. Ist unsere Abschiebepraxis falsch?
Holger Stahlknecht: Nein. Wir müssen zwischen Asyl und Zuwanderung unterscheiden. Zur Zuwanderung: In der Tat werden wir einen erheblichen Arbeitskräftemangel bekommen - in 20 Jahren fehlen voraussichtlich bis zu 6 Millionen Beschäftigte in Deutschland. Es gilt, frühzeitig die Weichen zu stellen und um die besten Köpfe zu werben. Für EU-Bürger gilt schon Freizügigkeit. Etliche polnische und spanische Staatsangehörige sind hier bereits tätig. Wir müssen aber auch wissen, sobald die Löhne in deren Heimatländern steigen, werden viele wieder zurückkehren. Daher brauchen wir auch Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten. Wer zu uns kommt, muss aber Voraussetzungen mitbringen: Er muss Deutsch können und es muss einen beruflichen Bedarf geben.

Etwas ganz anderes ist Asyl. Da kommen Menschen zu uns, die vor Krieg und Folter fliehen. Sie haben ein Schutzbedürfnis und dürfen deswegen hierbleiben - das gilt ohne Wenn und Aber. Wer aber kein Schutzbedürfnis hat, muss Deutschland wieder verlassen. Ich will, dass dann auch zügig abgeschoben wird.

Genau das findet Ihr Koalitionspartner SPD zu undifferenziert. Parteichefin Budde fragt, wieso Sachsen-Anhalt gesuchte Fachleute abschieben soll?
Zunächst: Fachleute sollen über Zuwanderung geworben werden. Entscheidend ist aber, dass in Deutschland Gesetze gelten - und zwar für alle. Wenn jemand mit Tempo 80 statt der erlaubten 50 fährt, bekommt er ein Bußgeld oder eine Ersatzfreiheitsstrafe - gleich, ob er ein ansonsten netter Kerl ist oder nicht. Wenn jemand Asyl beantragt, aber kein Asylgrund vorliegt, dann muss er Deutschland verlassen. Alles andere wäre eine ungleiche Anwendung von Recht. Lassen wir das zu, ist der soziale Frieden in Deutschland gefährdet. Etwas anderes ist es, wenn Menschen über viele Jahre hinweg in Kettenduldungen hier leben, ihre Kinder hier in die Schule gehen, sie also integriert sind: Da ist es nicht vermittelbar, diese Menschen noch abzuschieben.

Sind diese Regeln nicht zu starr?
Wir müssen uns mehr öffnen und das Regelwerk zur Zuwanderung verschlanken - das stimmt. Ich bin sehr für ein modernes Zuwanderungsgesetz und in diesem Punkt mit CDU-Generalsekretär Tauber einig. Ich bin aber strikt dagegen, Asyl- und Zuwanderungsrecht zu vermischen. Wir brauchen klare Regeln und keine Einzelfallentscheidungen nach Gutdünken.

Aber was spräche dagegen, einem abgelehnten Asylbewerber die Möglichkeit zu bieten, hier in Deutschland einen Antrag auf Zuwanderung zu stellen? Wenn es beruflich nicht passt, können Sie ihn immer noch ablehnen.
Das kann man durchaus politisch diskutieren. Dann bräuchten wir aber eine Brücke, um vom Asyl- ins Zuwanderungsrecht zu gelangen. Auch die Frage danach, ob jemand als Asylbewerber oder als Zuwanderer zu uns will, sollte dann gleich in der Zentralen Aufnahmestelle gestellt werden. Ich finde aber auch, dass sich Zuwanderungswillige schon in ihrer Heimat darauf vorbereiten sollten, wenn sie zu uns kommen wollen. So können sie bereits zu Hause Deutsch lernen, und sie sollten sich dann schon unter anderem über die Handelskammern über nachgefragte Berufe informieren. Wir dürfen auch nicht das Signal aussenden: Jeder, der will, kann in Deutschland bleiben.

Warum werden derzeit auch Flüchtlinge aus Sachsen-Anhalt nach Italien zurückgeschickt - obwohl das Land mit dem Flüchtlingsstrom massiv überfordert ist, wie Sie selbst bei einem Besuch vor Ort feststellten.
Es gilt die Regel: In dem Land, wo die Flüchtlinge ankommen, müssen sie ihren Asylantrag stellen. Bei diesen Dublin-Regelungen sehe auch ich Reformbedarf. Sie sind auf Dauer nicht durchsetzbar. Aber solange diese Regeln gelten, solange sind die Behörden gehalten, geltendes Recht einzuhalten.

Die Verfahren sollen beschleunigt werden, damit nur noch anerkannte Asylanten und Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt werden. Doch ist das überhaupt leistbar angesichts des enormen Zustroms?
Ich halte es für machbar, die Verfahren inklusive möglicher Gerichtsverfahren von derzeit einem Jahr deutlich zu verkürzen. Das muss innerhalb von zwei, drei Monaten entschieden werden. Dafür wird mehr Personal vom Bund eingestellt. Außerdem werden wir bis Oktober die Zentrale Aufnahmestelle in Halberstadt von derzeit 1000 auf 1800 Plätze vergrößern. Zudem bauen wir einen zweiten Standort auf.

Das alles geht nicht von heute auf morgen. Derzeit ist die Zentrale Anlaufstelle in Halberstadt regelmäßig ausgelastet, so dass wir momentan noch viele Flüchtlinge ohne gesicherte Bleibeperspektive auf die Kommunen verteilen müssen. Aber das wird sich auf absehbare Zeit ändern.

Kommt die zweite Zentrale Aufnahmestelle nach Halle?
Darüber werden wir voraussichtlich im September entscheiden.

Wie viele Flüchtlinge und Asylbewerber kommen derzeit bei uns an?
Im ersten Halbjahr waren es mehr als 6000. Alleine im Mai waren es 1006 Antragsteller. Bis zum Jahresende rechnen wir mit 11400. Die meisten kommen aus Syrien - das waren bis Ende Juni 1520. Darunter waren aber auch insgesamt etwa 1800 Asylbewerber aus Albanien und dem Kosovo. Dies sind sichere Staaten, die Anerkennungsquote liegt bei ihnen gegen Null.

Wie viele wurden zurückgeschickt?
Bis Juni waren es 327. Im gesamten Vorjahr waren es 628.

Ist Deutschland ein Einwanderungsland?
Eindeutig ja. Von 80 Millionen Menschen, die hier leben, haben 16 Prozent einen Migrationshintergrund. Wir haben zu spät begonnen, das anzuerkennen und darüber zu sprechen. Aber wir sind deutlich offener geworden.

Aber Ihr CDU-Generalsekretär Tauber hat für seine Idee eines Zuwanderungsgesetzes keine Mehrheit in Partei und Bundestagsfraktion.
Einstellungen, Bedenken oder gar gewisse Ängste verfliegen nicht über Nacht. Auch nicht in Sachsen-Anhalt. Aber schon bald werden auch hier mehr als 2,3 Prozent Ausländer leben. Es werden sich Freundschaften entwickeln, man wird gemeinsam in Vereinen Sport oder Musik machen, die Einheimischen werden merken, wie gut das Essen aus anderen Gegenden der Welt schmeckt. Ich bin guter Hoffnung, dass sich das Zusammenleben gut entwickelt.