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Haus der Flüsse Wenn blaue Murmeln schießen

Welche Fische schwimmen in Havel und Elbe, was für Bäume wachsen in einer Hartholz- und Weichholzaue, wohin ziehen Storch, Seeadler und Gans im Winter, wie rufen Fuchs und Reh? Warum werden 23 Millionen Euro für die Havelrenaturierung ausgegeben? Antworten gibt es im "Haus der Flüsse".

Von Andrea Schröder 14.07.2015, 02:59

Havelberg l Dass die Biosphärenreservatsverwaltung Mittelelbe in der Hansestadt im Norden Sachsen-Anhalts ein Informationszentrum "Natura 2000" errichten will, war schon lange bekannt. Mit Blick auf die Bundesgartenschau 2015 Havelregion plante das Land für rund sechs Millionen Euro den Bau einer modernen, multimedialen Einrichtung auf dem Gelände an der Havel, auf dem viele Jahre Ziegel und Betonsteine produziert wurden und seit der Wende die Gebäude zu Ruinen zerfielen. Nach und nach nahm das Vorhaben konkrete Formen an, der Name "Haus der Flüsse" kam hinzu.

Schwemmgut in der Treibholzskulptur

Bald gab es Postkarten mit einer Visualisierung des künftigen Baus. Ein Stück Treibholz setzt sich langsam am Havelufer, so die Idee des Architekten Christian Däschler aus Halle. Innen und außen ist alles besonders, nichts von der Stange. Allein die Fassade ist ein Blickfang im Stadtbild geworden. Das Holz der Sibirischen Lärche ist in unterschiedlichen Breiten aufgebracht. Nach unten hin fächern die Bretter auf - wie die Borsten eines Besens, den man auf den Boden drückt. So steht das Haus seit dem Buga-Start am 18. April äußerlich fertig da. Nur bis sich die Türen endlich öffneten, dauerte es viel länger als geplant. Seit einigen Tagen können Besucher die Ausstellung erkunden. Ich auch.

Gespannt bin ich auf den Fluss, in dem mir virtuell das Wasser über die Füße plätschert und den ich mit Hilfe anderer Besucher zum Überlaufen bringen kann. Das Simulieren des Hochwassers funktioniert noch nicht. Dafür zeigt mir Projektleiter Armin Wernicke von der Biosphärenerservatsverwaltung, was passiert, wenn ein Fluss seinen natürlichen Lauf nehmen kann oder er durch begradigte Kanäle fließen muss. Die blauen Murmeln schießen durch den künstlichen Kanal, im natürlichen Flusslauf brauchen sie viel mehr Zeit.

27 Stationen gibt es im "Haus der Flüsse". Im Eingangsbereich erfahre ich Wissenswertes zum Schutzgebiet "Natura 2000" und dem Unesco-Programm "Man and Biosphere" (Mensch und Biosphäre, kurz MaB). Die Weltkugel dreht sich, ich sehe, wo sich überall Reservate befinden, kann Infos abrufen. Eine Treibholzskulptur verdeutlicht, was sich im Fluss so alles an Schwemmgut sammelt.

Was ist ein schneller Silberfalter?

In einer Vitrine stehen Honig, Liköre, Fahrradmodell, Fernglas und weiteres mehr. Regionale Produkte und Partner werden aus Bereichen wie Tourismus und Landwirtschaft aufgezeigt. Mensch und Biosphäre eben. Die Betonung liegt auf Und.

Mein Blick geht hoch Richtung Decke. Kranich, Reiher und Schwarzstorch aus Holz schweben dort. Drücke ich beim Vogelzug auf einen Knopf, bewegt sich der jeweilige Vogel. In einem Horst steht ein Seeadler, in einem anderen ein Storchenpaar mit einem Jungen.

Es sind Präparate, genau wie jene in der Vitrine mit Tieren der Aue. Schaut die Wölfin freundlich oder doch listig? Auf jeden Fall macht sie so gar keinen bösen Eindruck in stiller Eintracht mit Biber, Feldhase, Fischotter, Grünspecht und Zauneidechse. Drücke ich auf einen Knopf, steht das Tier im Rampenlicht und ich kann Wissenswertes lesen. Gleich daneben spielen die Muskeln eines kräftigen Oberarmes in Rindenoptik. Ich lerne, dass Flatterulme, Stieleiche und Wildbirne typisch für die Hartholzaue sind. Um die nächste Station herum ist es ein athletischer Körper in Laufbewegung, der über die Weichholzaue informiert.

Daneben die Insektenlupe. Ich muss wissen, was zusammenpasst. Dann zeigt sich das Foto samt Infos vom Edelfalter Großer Fuchs oder von der Langflügeligen Schwertschrecke. Wie an manch anderen Stationen auch, ist hier was zum Schmunzeln dabei. Wähle ich die Begriffe "schneller" und "Silberfalter" aus, saust ein vermeintliches Insekt über den Bildschirm und ich lese, dass es so schnell ist, dass es bisher niemand richtig gesehen hat.

Bevor ich an der Vitrine mit Fröschen, Unken und Kröten durch Klopfen mit den Fingerknöcheln mein Froschkonzert anstimme, lausche ich erstmal den einzelnen Tönen und weiß nun, dass es Teichfrösche sind, die zu Hause nachts ihre Lieder quaken. Sedimente aus Flussläufen sind dargestellt, ein farbiges Blumenrad zeigt die Blütenvielfalt, eine Tafel das Wanderverhalten von Tieren, eine Vitrine verschiedene Brutvögel, die sich an Elbe und Havel wohlfühlen.

<6>Noch nie gesehen habe ich das flauschige Nest einer Beutelmeise, das aus Spinnweben, Samenwollen und Pflanzenfasern gebaut wird. Das Auenmodell mit einer großen Lupe hat sich in den ersten Tagen der Öffnung des Hauses schon als ein Besuchermagnet herauskristallisiert. Im virtuellen Aquarium schwimmen Hecht, Wels, Flunder, Stör und Aal. In der Mittleren Elbe und der Unteren Havel leben von einst 46 aktuell 42 Fischarten.

Über verschiedene Naturschutzprojekte mit imposanten Fotos informiert eine andere Station. Mit dabei die Havelrenaturierung, die im und am Haus der Flüsse mehrfach eine Rolle spielt. Bis 2021 sollen Altarme wieder angeschlossen und Deckwerke beseitigt werden. Ein Beispiel dafür ist die Petroleuminsel, auf die vom Flüssehaus ein Steg führt. Einen herrlichen Blick darauf gibt`s auch von der Empore im Haus aus, die über Treppe und Aufzug zu erreichen ist.

<7>In der Ecke sitzen drei Figuren. Ich setze mich ihnen gegenüber und drücke eine Taste auf dem Bildschirm. Sollten Auenlandschaften besser als Acker genutzt werden? Ich höre mir an, was Urlauber, Naturfreund und Geschäftsfrau dazu sagen. Die Antworten sind teilweise provozierend, regen an, über Naturthemen nachzudenken.

Der Nachtgang zeigt, wie Fuchs und Reh rufen

An einer großen Tafel werde ich auf eine Flussreise auf Elbe und Havel mit Sehenswürdigkeiten in den Städten mitgenommen. Eine Station befasst sich mit Havelberg. Aktuelles und Historisches ist anhand von Texten und Fotos zu erfahren. Als der Dom erscheint, kann ich das Bildschirmfoto gleich mit dem Original durch die große Panoramascheibe vergleichen.

<8>Diesen Blick kann der Besucher auch beim Ausruhen in der Klangecke genießen. Mein zum Teil in der Ausstellung erlangtes Wissen kann ich an einem Quiz testen. Aus vier Antworten muss ich die richtige finden. Wie viele Vögel an der Decke schweben, habe ich nicht gezählt. Ich rate 13. Richtig sind 16.

Fasziniert bin ich vom Nachtgang. Eine Uhr zeigt an, welche Tiere zu welcher Zeit aktiv sind und welche Laute sie von sich geben. Ich weiß jetzt, wie Fuchs und Reh rufen. Hinter den Scheiben leuchten die Tiere auf. Dargestellt wird, wie Mensch, Fuchs und Fledermaus nachts sehen. Die Lichtverschmutzung ist ebenfalls Thema und es gibt den Tipp zum ersten deutschen Sternenpark im Westhavelland.

<9>Mein Fazit: Das Warten hat sich gelohnt. Die Schau ist informativ und sehenswert für Jung und Alt. Und das Beste ist, das "Haus der Flüsse" bleibt auch nach der Buga. Der Eintritt ist kostenlos.