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Verein Bürgerinitiative Stendal bietet Helfern Hilfe an "25-Stunden-Tag" für pflegende Angehörige

Von Wolfgang Schulz 15.02.2011, 04:32

In Stendal betreut der Verein Bürgerinitiative wochentags von 8 bis 16 Uhr Demenzerkrankte und Schlaganfallbetroffene. Die ehrenamtlichen Vereinsmitglieder entlasten damit zugleich die pflegenden Angehörigen der Erkrankten. Gestern wurde der Verein mit dem Berliner Gesundheitspreis 2010 ausgezeichnet.

Stendal. Die 19 Räume im Erdgeschoss des Plattenbaus aus DDR-Zeiten in der Stendaler Carl-Hagenbeck-Straße sind alle hell und freundlich, als wollten sie damit einen kleinen Sonnenstrahl in das Leben der Tagesgäste bringen. 28 Frauen und Männer finden hier wochentags für ein paar Stunden ein zweites Zuhause. Sie sind an Demenz erkrankt oder hatten einen Schlaganfall, von dem sie sich noch nicht erholt haben. 35 bis 40 Mitglieder des Vereins Bürgerinitiative Stendal kümmern sich ehrenamtlich um sie. Die ausgebildeten Betreuer sprechen mit ihnen, lesen vor, regen zu kleinen gymnastischen Übungen und Fingerspielen an, basteln und malen mit den Gästen.

"Im Jahre 2004 haben wir den Verein gegründet", sagt die Vereinsvorsitzende Marion Kristin Mohr, "um bürgerschaftliches Engagement zu bündeln". Ziel sei der Aufbau eines zusätzlichen sozialen Netzwerkes von freiwilligen Helfern und Unternehmen der Region gewesen. "Wir wollen Leute zusammenbringen, die Hilfe brauchen, und zugleich denen helfen, die wegen der hohen Belastung bei der Betreuung Angehöriger selbst Hilfe benötigen."

Bestes Beispiel für dieses Anliegen ist Ingrid Heyer. Die 67-Jährige hat selbst bis zur eigenen Erschöpfung ihren Mann gepflegt und ist heute eine Stütze des Vereins. "Angehörige von Demenzerkrankten haben einen 25-Stunden-Tag", sagte sie aus ihrer langjährigen Erfahrung in der häuslichen Pflege. "24 Stunden muss der erkrankte Angehörige betreut werden, und für sich selbst brauchte man wenigstens auch eine Stunde."

Solche Erlebnisse sind es, die die Vereinsmitglieder zusammenschweißen. 327 Mitglieder hat der Verein heute schon. Sie zahlen zwei Euro im Monat. Davon und über die 5 Euro pro Tag von den Tagesgästen finanziert sich der gemeinnützige Verein. Dazu kommen Zuschüsse vom Land und vom Verband der Pflegekassen.

Der Verein bietet neben der Tagesstätte die sogenannte Hilfe zur Selbsthilfe und das Generationscafé an. Bei der Selbsthilfe werden haushaltsnahe Dienstleistungen erbracht, Besuche organisiert und Haustiere betreut. Bedürftige Hilfeempfänger zahlen dafür 5 Euro pro Stunde.

Großer Beliebtheit erfreuen sich die monatlichen Themennachmittage im Generationscafé. Bei Kaffee und Kuchen satt für 2,50 Euro wird "Futter für den Geist" gereicht, erklärt Babett Jungblut. Die 26-jährige Studentin der Fachhochschule Magdeburg-Stendal ist Mitglied im Vereinsvorstand und organisiert mit anderen Jugendlichen die Themennachmittage, an denen nicht selten Referenten von der Fachhochschule beteiligt sind. Die wissenschaftliche Begleitung durch Studenten und Dozenten ist ein weiterer Pluspunkt und ein Qualitätsmerkmal für den Verein. Entstanden sind bereits Filme und ein Theaterstück, die über Demenz und Möglichkeiten der Betreuung informieren.

"Noch immer ist die Demenz- erkrankung ein weitverbreitetes Tabuthema", sagt Marion Kristin Mohr, obwohl immer mehr Menschen daran erkrankten. Oft werde die Krankheit nicht erkannt, und Angehörige fühlten sich "schuldig". Nicht selten seien viele Aufklärungsgespräche notwendig, weiß Eileen Pohl, die stellvertretende Leiterin der Tagesstätte. "Inzwischen ist es aber so, dass die Angehörigen ihre Leute mit einem guten Gefühl zu uns bringen, weil sie wissen, dass sie hier bestens betreut werden." Außerdem hätten sie "endlich mal ein paar Stunden Zeit für sich selbst", könnten zum Friseur oder zur Fußpflege gehen. "Man sieht es den Angehörigen schon nach 14 Tagen bis drei Wochen an, wie gut es ihnen bekommt, dass sie die Pflege mal in andere Hände legen können." Nach 16 Uhr und bis zum anderen Morgen sei dann sowieso wieder "Schicht" für die Angehörigen.

Diese Unterstützung von Angehörigen hat dem Verein die Auszeichnung mit dem Berliner Gesundheitspreis 2010 eingebracht. Der Wettbewerb stand unter dem Motto "Auch Helfer brauchen Hilfe" – Modelle zur Entlastung pflegender Angehöriger. "Das Preisgeld können wir natürlich sehr gut gebrauchen", sagt die Vereinsvorsitzende. Der Verein habe bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, die Preisgelder seien stets voll in die Vereinskasse geflossen. Trotzdem wäre es begrüßenswert, wenn von den Pflegekassen eine stärkere finanzielle Förderung käme. "Immerhin haben wir in den vergangenen vier Jahren durch die Tagesstätte bei der Betreuung von mehr als 60 Personen den Pflegekassen rund 475 000 Euro erspart", rechnet die Chefin vor. Die Gäste hätten sonst ins Pflegeheim gemusst.