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Mit neuem Arzneimittelneuordnungsgesetz wächst Verunsicherung bei Apothekern und Patienten "Ich habe doch keine Prostata"

Von Silke Janko 16.02.2011, 05:28

Seit Inkrafttreten des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes zu Jahresanfang haben viele Apotheker ihren Kunden viel zu erklären. Neu ist, dass Patienten jetzt nicht nur Austauschpräparate erhalten, sondern auch wirkstoffgleiche Präparate eines anderen Anwendungsgebietes.

Altenweddingen. Martin Wolff, Inhaber der Löwen-Apotheke in Altenweddingen (Landkreis Börde), erläutert ein Beispiel: "Terazoflo 5mg", bisher zugelassen zur Behandlung von Bluthochdruck und gutartiger Prostatavergrößerung, muss seit Jahresanfang gegen "Teramar 5mg" ausgetauscht werden. Beide Präparate haben den gleichen Wirkstoff Terazosin. Das letztere ist allerdings nur als Prostatamittel zugelassen - so steht es auch auf der Packung. Wenn er dieses Mittel einer Kundin als Austauschpräparat, so wie die Kassen es jetzt verlangen, vorlegt, glauben diese an eine Verwechslung des Apothekers. Selbst der Hinweis, dass das Medikament den gleichen Wirkstoff enthält, können viele seiner Kundinnen nicht nachvollziehen: "Aber ich habe doch gar keine Prostata."

Apotheker Wolff will diesen von den gesetzlichen Kassen vorgeschriebenen Austausch nicht verantworten. Er gibt seiner Kundin ein anderes Präparat und hat damit eine Menge bürokratischen Ärger. Rückruf beim Arzt, gegenzeichnen des Rezeptes. Tut er dies nicht, bleibt er auf den Kosten sitzen. "Die Kassen sind da rigoros bei Kontrollen."

"Meine Mitarbeiterinnen haben schon Fransen am Mund." Immer wieder müssen sie erklären, warum sich die Patienten jetzt schon wieder auf neue Medikamente einstellen müssen. "Wir müssen jetzt viele besorgte Patienten beruhigen, wenn sie jetzt ihnen völlig unbekannte Mittel erhalten", schildert der Apotheker die Lage.

Der Grund liegt im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG), das zu Jahresanfang in Kraft getreten ist. Bundesgesundheitsminister Philipp Roesler (FDP) will damit rund 2,5 Milliarden Euro bei den stetig steigenden Ausgaben für Arzneimittel (insgesamt 32,4 Miliarden Euro für 2009) sparen. Die Umstellung auf neue Präparate ist vielen Patienten zwar schon geläufig. Denn seit 2007 dürfen die gesetzlichen Kassen Rabattverträge mit den Pharmaherstellern für wirkstoffgleiche, preisgünstigere Medikamente (sogenannte Generika) aushandeln. Mit dem neuen Gesetz ist jetzt erstmals möglich, nicht nur wirkstoffgleiche Präparate auszutauschen, sondern auch wirkstoffgleiche, nicht explizit für die Behandlung der jeweiligen Krankheit zugelassene Präparate. Wie etwa bei Bluthochdruck kann der Patient jetzt auch ein wirkstoffgleiches Mittel erhalten, das bisher nur bei gutartigen Prostatavergrößerungen verschrieben wurde.

Wolff nennt ein weiteres Beispiel: So erhalten Patienten mit Restless-Legs-Syndrom (ruhelose Beine) jetzt ein wirkstoffgleiches Präparat, das für Parkinson zugelassen ist. "Da gibt es natürlich bei den Kunden viele Fragen. Die sagen uns, ,ich habe kein Parkinson‘."

Ähnlichen Ärger gibt es bei den Packungsgrößen. So werden im EDV-Programm der Apotheke für das Bluthochdruckmittel "Delix", Wirkstoff Ramipril, für die kleinste Packungsgröße N1 jetzt zwei bis fünf verschiedene Stückzahlen angegeben. Welche Packungsgröße der Arzt gemeint haben könnte, weiß der Apotheker nicht. "Wir müssen noch häufiger als früher Rücksprache mit dem Arzt halten", erklärt Wolff. Besonders schwierig dürfte es werden, wenn Packungsgrößen bei Antibiotika nicht mehr stimmen: Wenn die Behandlung zu früh beendet wird, droht ein Rückfall. Als Beispiel nennt er einen für die Behandlung von Kindern bestimmten Penicillinsaft - der bisher in der Größe von 200 ml abgegeben wurde. Das laut Rabattvertrag vorgeschriebene Austauschpräparat umfasst nur 100 ml. "Wir müssen da höllisch aufpassen, damit uns keine Fehler unterlaufen." In einem Rundbrief hat er die ambulant tätigen Mediziner in und um die Gemeinde Sülzetal bereits auf die Schwierigkeiten bei der Umsetung des neuen Gesetzes hingewiesen und sie gebeten, besser die genauen Mengen (Stückzahlen bzw. ml-Angaben) der verordneten Medikamente auf den Rezepten anzugeben.

Den Kunden die neue Sachlage immer wieder zu erklären, kostet die Mitarbeiter nicht nur Zeit und Kraft, sondern auch Nerven. "Wir sind die Überbringer der schlechten Nachrichten." Besonders ärgert Wolff, der zugleich Pressesprecher der Apothekerkammer ist, dass die Kassen offenbar ihre Versicherten nicht entsprechend auf die Neuerungen aufmerksam gemacht haben. Ebenso ungeklärt ist, wie bei der jetzt möglichen Kostenerstattung zu verfahren ist, wenn der Patient sein gewohntes Präparat weiter haben will. Wie hoch der zu tragende Eigenanteil ist, ist laut Wolff noch ungeklärt. Er rät, sich vorab bei seiner Kasse zu erkundigen.