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15-jähriger Gymnasiast aus Kalbe hört in seiner Freizeit sogenannte Zahlensender Geheime Signale aus dem Weltempfänger

Von Conny Kaiser 25.02.2011, 04:31

Sven Freitag aus Kalbe kennt die erstaunten Blicke, wenn er jemandem von seinem ungewöhnlichen Hobby erzählt. Der 15-jährige Gymnasiast hört Zahlensender. Sender, wie sie bis heute von verschiedenen Geheimdiensten dieser Welt genutzt werden.

Kalbe. Eigentlich ist Sven Freitag ein ganz normaler Jugendlicher. Allerdings einer mit einem ausgeprägten Faible für Zahlen und Technik. Nicht von ungefähr ist der 15-Jährige, der in Kalbe zu Hause ist und der die zehnte Klasse des Gardelegener Geschwister-Scholl-Gymnasiums besucht, Mitglied in einer Computer-Arbeitsgemeinschaft.

Doch es sind nicht nur die neuesten Errungenschaften der Technik, die den Jugendlichen sehr interessieren. "Ich bastele auch gern an Radios herum, nehme sie auseinander und baue sie dann wieder zusammen", sagt Sven Freitag. Und genau bei einer solchen Bastelstunde machte er vor etwa einem Jahr eine ungewöhnliche Entdeckung.

"Ich habe einen Weltempfänger zusammengesetzt und ging dann die verschiedenen Frequenzen durch. Auf einmal bin ich da auf so etwas gestoßen", so der 15-Jährige. "So etwas" hatte er bis dahin noch nicht gehört. Der Gymnasiast vernahm über die Kurzwelle seines Radios eigenartige Geräusche. Erst ein Rauschen, dann eine weibliche Stimme, die ganz offenbar von einem Computer erzeugt wurde. In englischer Sprache ratterte sie monoton irgendeine Zahlenfolge herunter. Dann erneut ein Rauschen und sie verstummte wieder. Sven Freitag wusste anfangs nicht, was es damit auf sich hatte. Aber er begann zu recherchieren. Und er landete auf diese Weise bei "Kopf".

"Kopf" hört außerhalb der virtuellen Welt des Internets auf den Namen Jochen Schäfer. Er ist 38 Jahre alt und lebt in Marburg. "Kopf" ist von Geburt an blind. Dafür ist sein Hörvermögen umso ausgeprägter. Schon im Alter von fünf Jahren, so erzählt er im Gespräch mit der Volksstimme, habe er das erste Mal über das heimische Radio einen Zahlensender empfangen. Als Grundschüler begann er dann, sich intensiver mit diesen mysteriösen Nachrichten zu beschäftigen, auch wenn er sie nicht entschlüsseln konnte. Inzwischen gilt Jochen Schäfer als eine führende Persönlichkeit der Szene, eben als Kopf der Zahlensender-Fans in ganz Deutschland. Und als solcher ist er auch ein begehrter Gesprächspartner für die Medien. Der jüngste Beitrag über ihn und seine außergewöhnliche Freizeitbeschäftigung wurde im Dezember im Pro7-Wissenschaftsmagazin Galileo ausgestrahlt.

Ein uraltes Verfahren

Auch dem Nachrichtenmagazin Spiegel hat er schon ein Interview gegeben. Damit, so Jochen Schäfer, sei die öffentliche Aufmerksamkeit im Jahre 2002 eigentlich erst so richtig auf das Thema Zahlensender gelenkt worden.

Dabei ist das Versenden geheimer Nachrichten mithilfe der Kurzwelle eigentlich ein uraltes Verfahren, das bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt worden ist. Es ist so einfach wie genial. Buchstaben werden mithilfe des Blockschlüsselverfahrens in Zahlen verwandelt. Von diesen wiederum werden scheinbar zufällig gewählte Ziffern abgezogen, die dann von einer verfremdeten, nicht zuzuordnenden Stimme gesprochen werden. In unterschiedlichen Sprachen. Der Person, an die die chiffrierte Nachricht gerichtet ist, sind die Zufallszahlen sowie die jeweiligen Sendezeiten jedoch im Vorfeld auf irgendeine Weise, zum Beispiel über tote Briefkästen, zugänglich gemacht worden. Dadurch kann nur sie den eigentlichen Code entschlüsseln – und bleibt dabei anonym. Das Verfahren funktioniert, selbst wenn sich Absender und Adressat tausende Kilometer voneinander entfernt aufhalten. Die Kurzwelle macht es möglich.

Und wer will, kann mithören. Sven Freitag will. Er muss keinen Agententhriller im Fernsehen oder Kino schauen. Er erzeugt sich die Spannung selbst. Mit der Hilfe eines handelsüblichen Weltempfängers. Denn dass die Zahlensender in erster Linie von Geheimdiensten genutzt werden, gilt als unumstritten. "Auch wenn das natürlich kein Geheimdienst öffentlich zugibt", wie "Kopf" Jochen Schäfer weiß. Dennoch ist es einigen Gleichgesinnten bereits gelungen, mithilfe von Kreuzpeilungen einzelne Sendestationen ausfindig zu machen. Und dabei handelt es sich dann in aller Regel um speziell geschützte und als Militärstützpunkte deklarierte Standorte. Die können zuweilen auch ganz bestimmten Geheimdiensten zugeordnet werden. Es gibt laut Jochen Schäfer allerdings nur noch eine begrenzte Anzahl an Ländern, deren Geheimagenten über Zahlensender ihre Anweisungen erhalten. Viele Staaten seien inzwischen auf Satellitentechnik oder computergestützte Verfahren umgestiegen. Aber in Ägypten zum Beispiel – dort hat eine friedliche Revolution gerade zum Sturz von Machthaber Husni Mubarak geführt – nutze der Geheimdienst, so Schäfer, noch die Zahlensender. Bei bestimmten weltpolitischen Lagen "nehmen die Aktivitäten in diesem Bereich eindeutig zu". Das hat auch Sven Freitag am heimischen Radio herausgefunden.

"20 plus" Gleichgesinnte

Andere Staaten wiederum haben sich quasi ganz offiziell aus dem Äther verabschiedet. So wie die DDR, deren Militärsender im Mai 1990 abgeschaltet wurde. Nicht, ohne eine letzte Nachricht in die Welt hinauszuschicken. Eine ganz spezielle allerdings. Das Lied "Alle meine Entchen" wurde dabei computerverzerrt im Hintergrund gespielt. Sven Freitag hat sich über das Internet eine Aufzeichnung dieser allerletzten Sendung beschafft. Und er muss immer wieder schmunzeln, wenn er sie hört – auch wenn er selbst die DDR, ihr Militär und zum Glück auch ihren Geheimdienst nicht mehr kennengelernt hat.

Kennenlernen will er nun jedoch die Gleichgesinnten, deren Anzahl "Kopf" deutschlandweit mit "20 plus" beziffert. Sven Freitag will ihnen nicht mehr nur virtuell begegnen, sondern plant die Teilnahme an einem Szenetreffen, das für den Ostersonnabend, 23. April, in Erfurt geplant ist. Die genaue Örtlichkeit steht laut "Kopf" noch nicht fest. Fest steht aber, dass der junge Kalbenser mit anderen Interessierten eine Fahrgemeinschaft bilden will. Wer mit ihm in die geheime Welt der Zahlensender eintauchen möchte, der kann ihn über das Internet unter www.sven-freitag.de kontaktieren. Denn ein richtiger Computerfreak hat natürlich auch eine eigene Internetseite. Und die wirkt auf ihren Nutzer irgendwie auch viel einladender als die sonor gesprochene Zahlenkombination und das Rauschen, das da gerade aus dem kleinen Weltempfänger von Sven Freitag ertönt.