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Magdeburg vor dem ersten Bürgerentscheid seiner Stadtgeschichte "Ja" oder "Nein" zur Ulrichskirche?

Von Rainer Schweingel 17.03.2011, 05:31

Wenn am Sonntag rund 200 000 Magdeburger über den neuen Landtag mitentscheiden, können die Elbestädter auch in einer wichtigen Frage der Stadtentwicklung ein Votum abgeben. Im zeitgleich stattfindenden Bürgerentscheid geht es um die Frage: Soll die Ulrichskirche im Zentrum der Landeshauptstadt wiederaufgebaut werden oder nicht.

Magdeburg. Stadionneubau für den 1. FCM, Tunnelröhre am Bahnhof oder Hundertwasserhaus im Schatten des Doms: Wichtige Entscheidungen über die Stadtentwicklung haben die Elbestädter schon immer bewegt. Keine aber stand und steht so im Zentrum der Debatte wie die Frage, ob die Ulrichskirche wiederaufgebaut werden soll.

"Ja" oder "Nein" oder ein dritter Weg?

Seit vor rund drei Jahren ein Kuratorium mit dem Arzt Tobias Köppe an der Spitze diese Idee in die Öffentlichkeit trug, ist eine Debatte entbrannt, die es seit den bewegten Tagen rund um die politische Wende 1989/90 so nicht mehr gab. Gegner und Befürworter übertreffen sich in ihren Argumenten für oder gegen die Kopie des geschichtsträchtigen Gotteshauses. Andere sind weder für noch gegen den Wiederaufbau, sondern favorisieren den dritten Weg: eine Gedenkstätte für die im Zweiten Weltkrieg beschädigte und 1956 gesprengte Kirche.

Öffentlich und emotional, manchmal auch ein wenig mehr, wird über Vor- und Nachteile eines Wiederaufbaus gestritten. Die Magdeburger Volksstimme druckte hunderte Leserbriefe zu dem Thema, ließ Experten zu Wort kommen und Vertreter beider Initiativen im Pro&Kontra-Streit die Argumente abwägen. Als dieselbe Zeitung im November 2010 Befürworter und Gegner zu einem öffentlichen Forum in die Johanniskirche einlädt, sind binnen Minuten die 660 Plätze im Auditorium besetzt, dutzende Interessenten mussten gar vor der Tür bleiben. Knapp 19 000 Elbestädter haben ihre Entscheidung schon per Briefwahl getroffen, Tendenz stark steigend. Auch gestern Nachmittag war Schlangestehen im Briefwahllokal angesagt. Die Ulrichskirche "zieht".

Was aber ist nun richtig? Gibt es überhaupt ein "falsch"? Auf diese Frage wagen Beobachter keine Antwort, erst recht nicht trauen sie sich eine Prognose zu, wie wohl der Bürgerentscheid über die Ulrichskirche ausgeht.

Klar ist nur: Beide Seiten präsentieren größtenteils nachvollziehbare Argumente – für ihre jeweiligen Positionen. Die Kirche wäre zweifelsohne ein neuer markanter Innenstadtpunkt und ein Symbol für engagierte Bürger, aber ebenso auch ein Zerstörer einer der letzten Grünflächen in der City und ein Blockierer für einen Platz, an dem sich Magdeburg – als Generationenaufgabe – ein wirkliches und neues Stadtzentrum schaffen könnte, was ihr bisher fehlt.

Eine Stadt rückt zusammen

Unterm Strich bleibt wertfrei die Erkenntnis: Die Idee des Wiederaufbaus hat eines schon bewirkt: Elbestädter – und übrigens auch viele außenstehende Freunde der Stadt – beschäftigen sich mit der Stadtentwicklung mehr denn je. Niemand will sich mehr mitten in die Stadt ungefragt etwas vor- oder hinsetzen lassen. Die 1990er Jahr haben da ihre Spuren hinterlassen. Magdeburg und Magdeburger sind allein schon deswegen enger zusammengerückt.

Das neue Mitbestimmungsbedürfnis hat zu einer kommunalpolitischen Premiere geführt. Die Abstimmung über die Ulrichskirche ist der erste Bürgerentscheid der Stadt Magdeburg überhaupt. Nach- dem der Stadtrat einen Vorschlag von Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) für einen Bürgerentscheid durchfallen ließ und stattdessen in einem Beschluss den Wiederaufbau der Kirche unter bestimmten Bedingungen grundsätzlich "begrüßte", begehrte das Magdeburger Volk buchstäblich auf. Innerhalb weniger Wochen sammelte eine Bürgerinitiative um Rolf-Dieter Weske sowie Bettina und Josef Fassl 13 000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid, 3000 mehr als notwendig gewesen wären. Magdeburgs erster Bürgerentscheid war auf den Weg gebracht – ebenso überraschend wie die nicht vermuttete heiße Debatte um die Kirche selbst.

Somit haben nun die Magdeburger dass letzte Wort in Sachen Ulrichskirche, allerdings nicht ohne eine kommunalrechtliche Spitzfindigkeit. Da sich das Bürgerbegehren gegen einen positiven Stadtratsbeschluss richtet, musste eine negative Fragestellung im Bürgerentscheid zum Leidwesen der Wähler entwickelt werden.

Aufmerksamkeit bis zur Entscheidung

Und so ist bei der Premiere des Bürgerentscheids besondere Aufmerksamkeit gefragt. Da die Frage deshalb "Sind Sie gegen den Wiederaufbau der Ulrichskirche?" lautet, müssen Gegner der Ulrichskirche mit "Ja" und Befürworter mit "Nein" stimmen. Alles klar?

Bis zuletzt ist also höchste Aufmerksamkeit gefragt in der Streitfrage Ulrichskirche, die die Landeshauptstadt spaltet wie keine andere Frage in den vergangenen 20 Jahren.