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Seit 2006 graben Experten auf dem Schauplatz einer der verlustreichsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges Auf der Suche nach mehr als 6000 Toten

Von Bernd Kaufholz 15.04.2011, 04:35

Dort, wo vor 378 Jahren im Dreißigjährigen Krieg protestantische und katholische Truppen aufeinanderstießen und Schwedenkönig Gustav II. Adolf den Tod fand, befindet sich heute eines der größten Ausgrabungsfelder der "Schlachtfeld-Archäologie". Internationale Experten dieses Bereichs informierten gestern an historischer Stätte bei Lützen (Burgenlandkreis) über Ergebnisse der Grabungen.

Lützen. Die Bundesstraße 87 teilt nicht nur den kleinen sachsen-anhaltischen Ort Lützen unmittelbar vor den Toren Leipzigs – sie teilt auch das Areal, auf dem eine der blutigsten Schlachten des Drei-ßigjährigen Krieges stattgefunden hat.

Seit gut fünf Jahren sind auf beiden Seiten der Fernstraße Ausgräber des Landesamts für Archäologie in Halle dabei, dem Boden die Geheimnisse des Gemetzels vom 16. November 1632 zu entreißen.

Harald Meller, Chef-Archäologe des Landes, gestern an historischer Stätte zu den Hintergründen für das erste Projekt Sachsen-Anhalts, das sich mit sogenannter Schlachtfeld-Archäologie beschäftigt: "Da denkt man, dass man alles über die Schlacht bei Lützen weiß, doch wenn man sich die Sache genauer ansieht, wird schnell klar, dass noch Fragen über Fragen offen sind."

Wo waren die Kämpfe an jenem denkwürdigen Tag genau? Wie war der Schlacht-Verlauf? Welche Truppe hat wo gestanden? Fragezeichen und noch einmal Fragezeichen.

"Nehmen wir die Gewehrkugeln", gibt Meller einen Denkanstoß. "Deren Verteilung und Häufung sagt bereits Einiges über den Verlauf des Kampfes aus. Auch darüber, wer sich an welchem Ort gegenüber gestanden hat."

"Jeder dreht die Ereignisse in eine günstige Richtung"

Auf "Teilnehmerberichte" der Schlacht könne man sich nur wenig stützen, meint Meller. "Beide Seiten lügen. Keine hat verloren. Jeder dreht die Ereignisse in eine für ihn vorteilhafte Richtung."

Viele Schuh- und GürtelSchnallen, hunderte von Kugeln, kleine Bronzefiguren und nicht zuletzt der zwei Euro große bronzene Löwenkopf mit Schlange im Maul hat der Boden in den vergangenen Jahren den mit Metalldetektoren ausgerüsteten Archäologen wieder herausgeben müssen.

"Bei dem Löwenkopf handelt es sich um den ,Löwen aus Mitternacht‘ oder nordischen Löwen", erläutert Grabungsleiter André Schürger. Der Löwe symbolisiere den Schwedenkönig Gustav II. Adolf, die "Negativfigur", Schlange, seinen Gegenspieler, den katholischen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. "Gustav Adolf war der erste große Propagandastratege", sagt Schürger. Er hat Flugblätter drucken lassen und auch solche Darstellungen wie den Löwen verteilt."

Gefunden sei die Bronze wenige Meter neben dem heutigen Gedenkstein in Lützen. Schürger: "Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich der Schwedenkönig mit seinem eigenen Propagandasymbol geschmückt hat. Aber an der Fundstelle lagen sein Leibregiment und seine Leibgarde. Möglicherweise gehörte der Löwe einem dieser Männer." Weil das Symbol mit zwei Löchern versehen ist, gehe er davon aus, dass der Löwe an einem Bekleidungs- oder Ausrüstungsgegenstand befestigt war.

Um den Fund des Bronzekopfes rankt sich eine kleine Geschichte. Denn der "Lützener Löwe" wurde ausgerechnet von einem Schweden gefunden. Bo Knarrström, einer von drei europäischen Experten für Schlachtfeld-Archäologie, hatte die Bronze entdeckt.

"Ich erinnere mich noch ganz genau. Es war der erste Tag meines Einsatzes in Lützen im Jahr 2009. Ich suchte mit meinem Metalldetektor den Boden ab und kurze Zeit später machte ich die Entdeckung." Ein Fund, der in Schweden mit sehr großem Interesse aufgenommen wurde.

Schlachtfeld-Archäologie hat im Gegensatz zu anderen Ländern in Deutschland noch keine lange Tradition. "Sich archäologisch mit Schlachten und Kriegen zu beschäftigen, war lange Zeit – mit Blick auf die deutsche Vergangenheit – nicht besonders populär", sagt Meller. Und das, obwohl besonders der mitteldeutsche Raum mit 20 historischen Schlachtfeldern fast übersät ist. Doch inzwischen sehe das anders aus. Meller kündigte an, dass demnächst eine Broschüre über Ausgrabungen auf Schlachtfeldern im mitteldeutschen Raum erscheinen werde.

"Die Oberflächenarbeiten sind in Lützen nun so weit abgeschlossen", sagt Susanne Friedrich, zuständig für archäologische Großprojekte. "Nun werden wir uns um die Opfer der Schlacht kümmern."

Subtrahiere man die Bodenerosion der vergangenen gut 350 Jahre von der üblichen Bestattungstiefe von 1,50 Metern, müssten die sterblichen Überreste der mehr als 6000 Toten in etwa ein Meter Tiefe liegen. Die vorherrschende Bodenart spreche nicht dagegen, dass noch Knochen gefunden werden könnten.

"Wir gehen davon aus, dass die Toten in Massengräbern beigestzt wurden", so Friedrich. Das sei eine Arbeit der Bevölkerung gewesen, die Kriegsparteien hätten sich nicht darum gekümmert.

Ausgrabungsleiter Schürger: "Die Kaiserlichen hatten keine Zeit. Sie sind schon am Abend des Kampftages abgerückt. Die Schweden haben nur nach den Ausrüstungen geschaut. Beigesetzt haben sie die Opfer ebenfalls nicht. Das taten dann die Bauern."

Einige Hinweise, wo sich Massengräber befinden könnten, gibt es in Überlieferungen aus dem 18. Jahrhundert, sagt Maik Reichel, Leiter des Lützener Museums. Da sei von "Hügeln" die Rede. Auch, dass "landschaftliche Gegebenheiten" genutzt worden sein könnten, wie Teiche und Mulden, um die Toten darin beizusetzen und sie danach mit Erde zu bedecken, wäre möglich.

"Aus der Idee wurde ein internationales Projekt"

Allgemein bedauert wird in diesem Zusammenhang, wie Anfang der 1990er Jahre beim Bau des heutigen Edeka-Marktes verfahren wurde. Er wurde unmittelbar auf dem Schlachtfeld errichtet. Reichel: "Die Bestimmungen, wie mit archäologisch brisanten Bereichen zu verfahren ist, waren noch nicht so eindeutig wie heute." Die Ausgräber sind sich sicher, dass beim Bau des Supermarkts vor knapp 20 Jahren Bestattungsplätze zerstört worden sind.

Reichel ist so etwas wie der Vater der Lützener Ausgrabungen. Anlässlich der 375-Jahr-Feier des Ortes hatte er 2006 – damals noch Bürgermeister – angeregt, auf dem Schlachtfeld vor den Toren seines Ortes nach Artefakten der Schlacht im Dreißigjährigen Krieg zu suchen.

"Natürlich freue ich mich, dass aus der Idee inzwischen ein internationales Projekt geworden ist." Und auch für den Schweden Bo Knarrström und die Briten Timothy Sutherland und Tony Pollard ist das Schlachtfeld bei Lützen eine wahre Fundgrube geworden. Sie bringen immer wieder ihre langjährigen Erfahrungen mit solcherart Grabungen ins Burgenland.