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Cem Özdemir, Bundeschef der Bündnisgrünen, reist am Dreikönigstag zum Wahlkampfauftakt in die Harzer Provinz "Unredlich, immer wieder die Nordverlängerung der A 14 zu versprechen"

Von Tom Koch 07.01.2011, 04:25

Blankenburg/Schierke. Dass Berliner Politprominenz sich sehr wohl auf dem Terrain der Landespolitik gut zu bewegen weiß, hat Cem Özdemir bewiesen. Der bündnisgrüne Bundesvorsitzende ist am gestrigen Dreikönigstag eigens zum Wahlkampfauftakt in die Harzer Provinz gereist.

Ob Nordverlängerung der Autobahn 14 oder die von der Bundespolitik gebeutelte Solarindustrie in Sachsen-Anhalts Süden – an thematischem Bezug mangelte es Özdemir bei seinem Sieben-Stunden-Termin nicht. Zunächst war der 45-Jährige von Berlin nach Blankenburg mit dem Zug gefahren, um die Harzer Bündnisgrünen bei ihrem Wahlkampfauftakt zu unterstützen.

Özdemir zeigte sich zuversichtlich, seiner Partei werde es in den Landtagswahlen gelingen, in die drei noch fehlenden Parlamente einzuziehen. Neben Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz zählt der Landtag in Magdeburg dazu. Er hofft auch, dass bei der Wahl in seinem Heimatland "eine grüne Sensation" gelinge, so der aus Baden-Württemberg stammende Politiker im Volksstimme-Gespräch.

Özdemir betonte, seine Partei wolle mit ihrem Nein zum Weiterbau der A 14 nach Schwerin nicht die weitere Entwicklung in Sachsen-Anhalt blockieren: "Wir sind für Ehrlichkeit beim Thema Nordverlängerung. Es ist unredlich, den Menschen in der Altmark für derzeit 1,3 Milliarden Euro immer wieder eine Autobahn zu versprechen, für die keiner einen entsprechenden Verkehrsbedarf nachweisen kann." Es sei kein Zufall, dass selbst die größten Fans der Trasse "dafür seit Jahren keine Finanzierung auf die Beine stellen konnten". Özdemir sprach sich stattdessen dafür aus, "den nicht finanzierbaren Traum einer Lobby zu beenden und endlich mit der Planung für den Ausbau der Bundesstraße 189 zu beginnen".

Dass die Grünen den Ausstieg aus dem Atomausstieg kritisieren, darf niemanden verwundern. Özdemir begründete seine Kritik an diesem Beschluss der schwarz-gelben Bundesregierung damit, dadurch würden jene vier Konzerne gestärkt, die 80 Prozent des deutschen Strommarktes beherrschten: "Ich wünsche mir von der Bundesregierung nur zehn Prozent des Mutes davon, gegen die Solarindustrie zu kämpfen, besser dafür einzusetzen, um die Monopolstrukturen der vier Energiekonzerne aufzubrechen."

"Bildungs-Soli für mehr Qualität bei der Bildung"

Der Bundesvorsitzende der Bündnisgrünen – ein diplomierter Sozialpädagoge – hat sich in Sachsen-Anhalt ausführlich zur Bildungspolitik geäußert. "Längeres gemeinsames Lernen in gut ausgestatteten Gemeinschaftsschulen ist für uns wichtig. Genauso wie der weitere Ausbau von Kindertagesstätten, speziell im Westen gibt es dabei einen Nachholbedarf." Er räumte ein, mehr Qualität und Quantität könne es nicht zum Nulltarif geben. Zur Finanzierung schlagen die Bündnisgrünen deshalb vor, den Solidaritätszuschlag in einen "Bildungs-Soli" umzuwandeln.

Özdemir: "Weil wir Veränderungen schneller erreichen wollen und eine gute Schulpolitik nicht von der Haushaltslage einzelner Länder abhängig sein darf, fordern wir, dass auch der Bund bei der Bildung Kompetenzen erhält."

Seine dick gefütterte blaue Wetterjacke hat Cem Özdemir gestern nicht gebraucht. Orkanböen und massive Schneeverwehungen auf dem Brocken haben dem Bündnisgrünen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Statt auf dem Harzgipfel empfing ihn der Brockenwirt in einem Schierker Hotel. Dort waren Vertreter von Harzer Nationalpark und der Harzer Schmalspurbahnen, des Deutschen Wetterdienstes, der auf dem Brocken eine Klima-Referenzstation betreibt, sowie der Harzer CDU-Landrat Michael Ermrich seine Gesprächspartner.

Özdemir, ein Sohn türkischer Gastarbeiter, bezeichnet sich als "säkularisierten Muslimen". Da er das jüngste Attentat gegen ägyptische Christen verabscheue, hat er gestern Abend an einem Gottesdient koptischer Christen teilgenommen. Weil der Politiker dafür schnell nach Berlin reisen musste, ist er in Braunschweig in den Zug eingestiegen.