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Zwei Verletzte schweben noch in Lebensgefahr Nach Zugunglück: Ermittler nehmen Lokführer ins Visier

Von Winfried Borchert 01.02.2011, 04:37

Nach dem schweren Zugunglück von Hordorf, bei dem Sonnabendnacht zehn Menschen getötet und 23 verletzt wurden, wird gegen den Lokführer des Güterzuges ermittelt. Es wird geprüft, ob menschliches oder technisches Versagen den Zusammenstoß zweier Züge verursacht hat. Zugleich gerät die Deutsche Bahn (DB) in die Kritik. Sie hat die Nachrüstung mit Sicherungstechnik offenbar verschleppt.

Magdeburg. Noch in der Unglücksnacht hatten Bundespolizei, Staatsanwaltschaft und Experten des Eisenbahnbundesamtes (EBA) in Hordorf die Ursachenforschung aufgenommen. In dem Börde-Ort waren am Sonnabend um 22.24 Uhr ein aus Magdeburg kommender Harz-Elbe-Express (HEX) und ein Güterzug aus dem Harz frontal zusammengestoßen.

Zwei Verletzte schweben noch in Lebensgefahr, unter ihnen ein zehnjähriges Mädchen. 13 Verletzte, darunter ein Brasilianer und ein Portugiese, konnten inzwischen aus den Krankenhäusern entlassen werden. Bei den drei bisher identifizierten Toten handelt es sich um drei Männer im Alter von 63 und 74 Jahren aus dem Harzvorland sowie den 35-jährigen HEX-Lokführer.

Der völlig zerstörte HEX-Zug wurde gestern zerlegt. Die Teile wurden zur Untersuchung ins VIS-Bahnwerk Halberstadt gebracht. "Wir arbeiten mit allen verfügbaren Ressourcen. Vor allem von der Auswertung der Fahrtenschreiber erhoffen wir uns im Laufe der Woche weitere Erkenntnisse", sagte Heike Schmidt, Sprecherin des Eisenbahnbundesamtes.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den 40-jährigen Lokführer der Güterbahnfirma VPS (Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter) ein. Er soll ein Haltesignal überfahren und damit das Unglück verursacht haben. Er erlitt nur leichte Prellungen. Untersucht wird auch, ob der Lokführer seinen mit zwei Lokomotiven bespannten Güterzug von der zweiten Lokomotive aus gesteuert hat. "Technisch ist dies möglich, es würde allerdings gegen alle Vorschriften verstoßen", sagte EBA-Sprecherin Schmidt. Magdeburgs Leitende Oberstaatsanwältin Uta Wilkmann sagte: "Auch das wird zu überprüfen sein."

Zugleich wird diskutiert, ob zeitgemäße Sicherungstechnik das Unglück verhindert hätte. Zugbeeinflussungssysteme, die bereits seit 1934 in Deutschland verwendet werden, bremsen einen Zug automatisch, sobald ein Halt-Signal überfahren wird. Auf der Strecke Magdeburg – Halberstadt gibt es diese Technik nur teilweise, in Hordorf fehlt sie.

Die Strecke Magdeburg – Halberstadt ist für bis zu 100 km/h zugelassen. Laut Vorschriften muss auf solchen Strecken zwar keine Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) installiert sein, das Bundesverkehrsministerium könnte dies aber anordnen. Eine Anfrage der Volksstimme, warum dies nicht geschah, beantwortete das Ministerium ausweichend. Nach Volksstimme-Recherchen hat die Bahn in Sachsen-Anhalt trotz mehrfacher Mahnungen der Landesregierung auch die Strecken Haldensleben – Oebisfelde, Halberstadt – Blankenburg, Magdeburg – Loburg und Güsten – Dessau noch nicht durchgängig mit PZB ausgerüstet.

Eine Bahn-Sprecherin sagte, die DB investiere pro Jahr in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen eine Million Euro in die Nachrüstung mit PZB.

Grünen-Verkehrspolitiker Anton Hofreiter bezeichnete das als unzureichend. "Die Bahntochter DB Netz ist für das Schienennetz zuständig. Allein 2009 hat sie 750 Millionen Euro Gewinn an den DB-Mutterkonzern abgeführt, der auch mit diesem Geld im Ausland Firmen aufgekauft hat." Sicherheitstechnik sei also keine Frage des Geldes, sondern der Priorität.

Innenminister Holger Hövelmann (SPD) hat bis zum Freitag Trauerbeflaggung in Sachsen-Anhalt angeordnet.