1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Schüler-Projekt: Wernigeröder Broschüre sorgt in Israel für Rauschen im Blätterwald

Gerhart-Hauptmann-Gymnasium als "antisemitisch" und "israelfeindlich" gescholten. Von Bernd Kaufholz Schüler-Projekt: Wernigeröder Broschüre sorgt in Israel für Rauschen im Blätterwald

29.10.2011, 04:20

Die Broschüre der Schüler aus Wernigerode und dem israelischen Nazareth sollten der Höhepunkt des bilateralen Schulprojekts werden. Dann kam alles ganz anders: "Antisemitisch" empören sich israelische Zeitungen.

Das deutsch-israelische Projekt zu den Themen "Bildung und Menschenrechte" sollte ein Höhepunkt am Wernigeröder Gerhart-Hauptmann-Gymnasium werden. Mit der Welle der Empörung, die nach Abschluss der Schülerforschung im Zusammenhang mit der 30 Seiten langen Broschüre von Jerusalem nach Wernigerode schwappte, hätten weder Schüler noch Lehrer der Harzer Bildungseinrichtung gerechnet.

Der amtierende Schulleiter Herbert Siedler zur Volksstimme: "Uns als antisemitisch und israelfeindlich zu bezeichnen, wie es die Publikation ,Jewish World\' sowie die Zeitungen ,Yedioth Ahronot\' und ¿Jerusalem Post\' getan haben, können wir nicht auf uns sitzenlassen."

Auslöser für die Kritik sind zwei der Schülerzeichnungen mit der die Broschüre illustriert ist. Auf einem Bild sind zwei Klassenräume zu sehen. Die "jüdische Schule" sauber, ordentlich mit wenigen orthodox-jüdischen Schülern mit Kippa und Schläfenlöckchen, die "palästinensische Schule" überfüllt, mit Spinnweben und Gitterfenstern.

Die zweite Zeichnung zeigt einen israelischen Panzer, der hinter einem dunkelhäutigen palästinensischen und einem weißen israelischen Jungen steht. Beide reichen sich die Hände. Der Eindruck werde erweckt - so die Kritik - dass der Palästinenser durch das Kriegsgerät zum Handschlag genötigt werde.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die im Textteil beschriebenen Parallelen zwischen der Teilung Deutschlands und Palästinas.

Die Wernigeröder sind entsetzt und haben in einer Stellungnahme ihrem Unmut Ausdruck verliehen. Sie schrieben unter anderem: "Wir sind empört über den Artikel ,Compensating with Hatred\' (Ausgleich mit Hass, d. Red.) eines Journalisten, der unsere gemeinsam erstellte Broschüre (Gymnasium Wernigerode und Massar-Gymnasium Nazareth, d. Red.) zum Anlass nimmt, uns antisemitisches Gedankengut zu unterstellen. Ohne je mit einem Schüler oder Verantwortlichen des Projekts gesprochen zu haben, projiziert er in unsere Schülerreflexionen negatives Gedankengut hinein."

Wie die Idee für das bilaterale Projekt geboren wurde, berichtet der Initiator des Projekts, Stephan Wohlgemuth, der Volksstimme.

"Eine ehemalige Schülerin, die inzwischen in Israel verheiratet ist, meldete sich im Mai 2009 bei mir. Ihr Vorschlag war eine Schulpartnerschaft zwischen unserer Einrichtung und der "Massar"-Schule in Nazareth (Massar Institute for Education, d. Red.), wo sie seit zwei Jahren als Deutschlehrerin tätig war."

Die Schulleitung gab im September 2009 grünes Licht für einen Schüleraustausch und Wohlgemuth begann mit der Organisation. "Wir wandten uns an den Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz (PAD) und die Stiftung ,Erinnerung, Verantwortung und Zukunft\' (EVZ). Es ging um konkrete Projekte und die Finanzierung."

Im Mai 2010 machten Gerhart-Hauptmann-Gymnasium und EVZ in Berlin-Wannsee Nägel mit Köpfen. Und Anfang Juli 2010 standen auch das Thema: "Bildung und Menschenrechte" sowie die Höhe des Zuschusses, 21590 Euro, fest.

Nachdem Jugendliche aus der Schule in Nazareth, an der Juden, Christen und Moslems lernen, über das PAD-Projekt Wernigerode besucht hatten, flogen die Sachsen-Anhalter mit dem Projektpaket von EVZ in der Tasche vom 30. Oktober bis 6. November 2010 nach Israel.

"Wir haben Zeitzeugen befragt", erzählt ein heute 16 Jahre alter Teilnehmer, "haben an Menschenrechtsworkshops teilgenommen und Vorträge über Bildungschancen gehört."

Allerdings sei dabei "der politische Aspekt nicht außen vor geblieben", sagt Deutsch- und Religionslehrer Wohlgemuth. "Schließlich sind unsere Schüler denkende Menschen."

Schulleiter Siedler: "Natürlich haben wir in der Vorbereitung auf das besondere, durch die Geschichte begründete Verhältnis zwischen Israel und Deutschland hingewiesen." Und er sei sich sicher, dass die zwölf Gymnasiasten der Klassenstufen 10 und 11 das auch verinnerlicht hatten.

Die Ergebnisse der Schülerforschung waren in eine Broschüre eingeflossen, das Heftchen in Nazareth gedruckt worden.

Siedler: "Die Auswahl der Beiträge und Illustrationen wurde wie abgesprochen in Israel getroffen. Allerdings, so räumt er ein, habe es an Zeit gefehlt, sich vor der Drucklegung das fertige Manuskript vorlegen zu lassen. Möglicherweise hätte man dann noch das eine oder andere ändern können, zum Beispiel sollten alle Textbeiträge dreisprachig erscheinen - hebräisch, deutsch und englisch - was jedoch nicht durchgängig umgesetzt wurde.

Der Stein kam am 13. September 2011 ins Rollen anlässlich des Israel-Projekttags an der Hochschule Harz in Wernigerode.

Ein 16-jähriger Schüler erzählt: "Es gab auch einen Workshop zum Thema Journalismus. Daran nahm auch ein Reporter aus Israel teil. Er hat unsere Fragen sehr einseitig oder gar nicht beantwortet - zum Beispiel zu den Bildungsunterschieden jüdischer und palästinensischer Kinder und Jugendlicher." Knapp zwei Wochen später seien in Israel auf der Internet-Seite "Jewish World" und in der Zeitung "Yedioth Ahronot" Artikel erschienen, die sich mit der angeblichen Israelfeindlichkeit der Wernigeröder beschäftigten.

In der Schusslinie stand nun auch die EVZ. Stiftungs-Vorstandsvorsitzender Martin Salm wies in einer ersten schriftlichen Stellungnahme die Vorwürfe entschieden zurück.

Fünf Tage später jedoch ein zweites Statement. Darin bedauerte Salm die "missverständliche Publikation. Insbesondere zwei Zeichnungen wurden von israelischer Seite als antisemitisch gelesen. Dies bedauere ich zutiefst." Er erkenne, welche bildlichen Elemente als antisemitischer Stereotyp gelesen werden könnten. "Ich bin der festen Überzeugung, dass sie nicht antisemitisch motiviert sind."

Zurückgerudert war die Stiftung, nachdem die "Jerusalem Post" negative Reaktionen jüdischer Organisationen in den USA und Deutschland veröffentlicht hatte und deutsche Behörden, darunter das Außenministerium, Erklärungen gefordert hatten.

Sachsen-Anhalts Kultusminister hat inzwischen klare Worte gesprochen: "Ich finde es toll, wenn Schülerinnen und Schüler Projekte zu Israel machen. Der deutsch-israelische Schüleraustausch ist ein wichtiger Bestandteil der internationalen Zusammenarbeit unserer Schulen, gerade vor dem Hintergrund der besonderen deutschen Verantwortung."

Beim Schüleraustausch bekämen Kinder und Jugendliche ein realistisches Bild vom jeweils anderen Land. Darin liege der Sinn eines solchen Austauschs. Natürlich werde dabei auch die Vielschichtigkeit der Gesellschaft zum Thema.

"Ich bin mir sicher, dass Schüler genauso wie Lehrer verantwortungsvoll und kritisch mit den Erfahrungen der Reisen umgehen."