1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Umgang mit sexueller Belästigung: Richter sehen es anders als Politiker Rechtsausschuss tagte erneut und will Handlungsempfehlungen erarbeiten

Umgang mit sexueller Belästigung: Richter sehen es anders als Politiker Rechtsausschuss tagte erneut und will Handlungsempfehlungen erarbeiten

Von Jens Schmidt 10.03.2012, 05:22

Der Rechtsausschuss im Landtag hat sich gestern erneut mit dem Thema sexuelle Belästigung befasst. Es offenbart sich ein eklatanter Widerspruch zwischen Politikern und Richtern, der Frauen verunsichern dürfte.

Magdeburg l Elf Gleichstellungsbeauftragte aus Ministerien und Behörden wurden befragt. Thema: Wie gehen Chefs damit um, wenn Mitarbeiterinnen Vorwürfe sexueller Belästigung erheben? Anlass war ein Verdachtsfall in der Staatskanzlei. Im Landesverwaltungsamt wurden drei Fälle aktenkundig. "Auf der nächsten Sitzung an 13. April wollen wir die Dinge auswerten und Handlungsempfehlungen an die Behörden erstellen", sagte Ausschuss-Chef Ralf Wunschinski (CDU) auf Anfrage.

Anlass für die Befassung mit diesem Thema war ein Vorgang in der Staatskanzlei 2005, der seit 2011 auch den Landtag beschäftigt. In der Staatskanzlei hatte eine Mitarbeiterin ihrem Abteilungsleiter mitgeteilt, dass sie sexuell belästigt worden sei. Der Vorwurf fiel während eines Personalgesprächs, als es um ihre Beurteilung ging. Ihre zum Teil als schlecht eingeschätzten Leistungen führte sie auch darauf zurück. Namen sollen nicht gefallen sein. Der Abteilungsleiter meldete dies dem zuständigen Abteilungsleiter für Personal. Doch die Vorgesetzten taten den Vorwurf sexueller Belästigung als Schutzbehauptung ab, da die Mitarbeiterin nur eine bessere Beurteilung erreichen wolle. Dies wurde bei der Rechtsausschuss-Sitzung im Februar von allen Fraktionen kritisiert. CDU-Fraktionschef André Schröder sagte: "Es darf kein Klima entstehen, in dem Frauen sagen: Das anzusprechen bringt nichts oder schadet mir."

Selbst wenn die selten beweisbaren Vorwürfe zunächst nur pauschal vorgebracht werden und manche Mitarbeiterinnen auch als schwierig gelten mögen - dies sei kein Grund, Vorwürfen nicht nachzugehen, sagte Justiz-Staatssekretär Eberhard Schmidt-Elsaeßer (SPD) der Volksstimme: "Das muss ohne Ansehen der Personen geschehen. Zumal: Frauen wird in solchen Fällen ja oft schnell unterstellt, sie seien nicht glaubwürdig."

Staatskanzleichef Rainer Robra (CDU) verfügte 2012: Äußern Bedienstete Vorwürfe sexueller Belästigung, sei dies künftig von Vorgesetzten schriftlich festzuhalten und in jedem Fall binnen dreier Tage ihm mitzuteilen.

Schlichten oder maßregeln?

Der Streitfall in der Staatskanzlei hat zu einer Diskrepanz zwischen der politischen und juristischen Bewertung geführt. Für Richter ist das Erheben pauschaler Vorwürfe - auch wenn dies behördenintern geschieht - eine gravierende Sache. Rückschau: 2006, als die Mitarbeiterin wegen der schlechten Beurteilung gegen die Staatskanzlei gerichtlich vorging, wurde auch der Vorwurf wiederholter sexueller Belästigung erhoben. Nun war die Angelegenheit keine interne mehr, sondern eine öffentliche. Die Staatskanzlei kündigte der Mitarbeiterin fristlos, woraufhin sie Kündigungsschutzklage erhob. Während mehrerer Prozesse wurde der Vorwurf präzisiert, die beiden betroffenen Beamten wiesen diesen zurück; letztlich blieb der Vorwurf unbewiesen.

Die Arbeitsrichter hielten in der Gesamtschau eine Abmahnung statt einer Kündigung für angemessen, stellten aber auch fest: "Die Äußerung der Klägerin, ihr früherer Vorgesetzter (...) habe sie in den Jahren 2001 bis 2003 wiederholt sexuell belästigt, ohne dass sie diese pauschale Behauptung mit Tatsachen unterlegt, stellt hingegen an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung dar." Die Richterin am Landesarbeitsgericht ging noch einen Schritt weiter: Nicht nur der öffentlich erhobene, sondern auch der intern geäußerte Vorwurf gilt als höchst jobgefährdend für die Frau: "Wie das Arbeitsgericht zutreffend aufgeführt hat, ist der gegenüber einem Kollegen oder Vorgesetzen erhobene Vorwurf der wiederholten sexuellen Belästigung über mehrere Jahre auch ohne nähere Konkretisierung geeignet, den Ruf des Betroffenen im Kollegenkreis und gegenüber dem Arbeitgeber zu untergraben. (...) Einen so schwerwiegenden pauschalen ehrverletzenden Angriff auf einen seiner Referatsleiter muss der Beklagte (die Staatskanzlei, Anm.d.Red.) nicht hinnehmen." Das Gericht hob wegen des arg gestörten Verhältnisses zwischen Staatskanzlei und der Mitarbeiterin das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auf.

Der Fall offenbart einen eklatanten Widerspruch zwischen Politik und Gerichtsbarkeit. Staatssekretär Schmidt-Elsaeßer hatte nämlich dafür geworben, auch bei pauschalen Vorwürfen zu schlichten statt zu maßregeln: "Ich würde zuerst herausfinden wollen, warum die Kollegin, die sich an mich wendet, nicht mehr sagen will - ob es Konfliktängste gibt oder etwa Furcht vor einer schlechten Beurteilung." Und: "Ob an dem Vorwurf nun etwas dran war oder nicht - das Gespräch mit den Männern ist auf jeden Fall wichtig."