1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. "Diktatoren gibt es nicht in der Linken"

Volksstimme-Interview mit Landesparteichef Höhn über Führungsstil und Spaltungsgefahr "Diktatoren gibt es nicht in der Linken"

24.05.2012, 03:20

Trotz massiver Stimmenverluste und Führungsquerelen: Sachsen-Anhalts Linken-Chef Matthias Höhn sieht für seine Partei keine Spaltungsgefahr. Mit ihm sprachen die Volksstimme-Redakteure Jens Schmidt und Steffen Honig.

Volksstimme: Herr Höhn, sind Sie nach dem Rückzug Lafontaines erleichtert?

Matthias Höhn: Erleichtert wäre der falsche Ausdruck. Ich nehme seine Entscheidung mit Respekt zur Kenntnis. Diese bringt mehr Klarheit in die Situation. Die Delegierten können jetzt zwischen verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten auswählen. Das ist gut so.

Volksstimme: Warum ist nach Meinung der meisten Ost-Linken Dietmar Bartsch besser als Lafontaine?

Höhn: Es ist ja nicht so, dass es ein homogenes Meinungsbild gibt. Was aber viele befremdet hat, war das Verfahren: Dass Oskar Lafontaine zwei Wochen vor der Wahl kommt und sagt: Ich kandidiere - aber nur, wenn der andere Kandidat zurückzieht. Es ist doch keine Katastrophe, wenn es mehrere Bewerber gibt.

Ich freue mich über die Kandidatur von Dietmar Bartsch, weil ich denke, dass er erfahren genug ist, die Partei in einer so schwierigen Situation zu führen. Es geht nicht nur um mediale Präsenz. Die neue Führung muss auch wieder eine stärkere Innensicht entwickeln. Wir verlieren Mitglieder im Westen, im Osten fehlt uns Nachwuchs. Wir brauchen eine andere Kultur im Umgang miteinander: Viele Beschlüsse wurden von oben nach unten durchgestellt; in einer linken Partei gibt es aber ein anderes Verständnis von Mitgliederbeteiligung. Man hat auch versucht, Debatten abzuwürgen - aus Angst, als zerstritten dazustehen. Dabei ist es doch nicht schlimm, eine Kontroverse kulturvoll auszutragen.

Volksstimme: Da Sie von Kultur sprachen: Ihr Parteichef Ernst hat einen Mitgliederentscheid über die Kandidatenfrage abgebogen - wie sich herausstellte, war das satzungswidrig. Wie würden Sie den Führungsstil bezeichnen? Diktatorisch?

Höhn: Diktatoren gibt es nicht in der Linken. Aber wir haben bisweilen einen Stil, der auf Dauer nicht gut geht. Bei uns sind ehemalige SED-Mitglieder mit ihren biografischen Brüchen und Erfahrungen genauso wie Aktive aus den sozialen Bewegungen. Auch unsere Wählerschaft ist bunt gemischt. Uns wählt der antikapitalistisch motivierte Protestwähler, aber auch die Landesbedienstete, der es zunächst darum geht, dass wir uns um die konkreten Belange des öffentlichen Dienstes kümmern. Damit muss man produktiv umgehen.

Volksstimme: Ist die Spannbreite zwischen West und Ost so groß, dass die Partei vor einer Spaltung steht?

Höhn: Nein. Alle - in Ost wie in West - wissen doch ganz genau, dass sie einzeln keine Chance haben. Als Regionalpartei wären wir hier im Osten in Kommunen und Landtagen vielleicht noch einige Jahre erfolgreich. Als Bundespartei aber könnten wir uns nicht dauerhaft etablieren. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Nur 1998 schaffte die PDS bei einer Bundestagswahl den Sprung über die 5-Prozent-Hürde. Die Spaltungsgefahr wird meiner Ansicht nach herbeigeredet - leider auch in unserer eigenen Partei.

Volksstimme: Sie haben aber im Westen massiv verloren. Wie wollen Sie denn die Wähler dort zurückholen?

Höhn: Wir haben es bundesweit versäumt, uns ausreichend auf neue Entwicklungen einzustellen. Es gibt eine spürbar wachsende Erwartung von Bürgerinnen und Bürgern nach realen Beteiligungsmöglichkeiten. Zudem ist es ein Unterschied, ob eine SPD in der Bundesregierung oder in der Opposition ist. Das Thema Mindestlohn zum Beispiel haben wir jahrelang allein besetzt - nun ist die SPD angeblich auch dafür. Darum muss es uns gelingen, auch neue Themen aufzubauen: Stärkung demokratischer Beteiligung statt autoritärer Politik, wie sie derzeit von der Bundesregierung praktiziert wird, oder die demokratische und soziale Dimension der dringend notwendigen Energiewende, die von anderen Parteien völlig ausgeblendet wird.

Volksstimme: Wäre mit Bartsch an der Spitze eine Koalition mit der SPD auf Bundesebene leichter möglich?

Höhn: Unser Parteitag hat nicht zum Ziel, eine Koalition mit der SPD 2013 zu ermöglichen. Manche behaupten das - ich halte das aber für Unfug. Es liegt zudem doch nicht allein an uns, sondern hängt ganz stark von der SPD und ihrer realen Politik ab. Die Sozialdemokraten hätten hier in Sachsen-Anhalt doch im vorigen Jahr eine Koalition bilden können. Sie haben es nicht gemacht. Richtig ist aber: Der Gestus, dass wir als einzige die richtigen Antworten auf alles haben, dieser Gestus bringt keinen Erfolg. Wir müssen weg von diesem Stil: Wir gegen alle. Eine Partei ist dann politisch erfolgreich, wenn sie für ihre Positionen Bündnispartner und gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt - so ist es auch in unserem Programm formuliert.

Volksstimme: Sie wollen Bundesgeschäftsführer werden und wechseln im Falle eines Wahlerfolgs nach Berlin. Geben Sie Parteivorsitz und Landtagsmandat auf?

Höhn: Den Vorsitz ja, das Mandat nicht. Ich bin seit vielen Jahren und sehr gern landespolitisch aktiv. Und ich finde es auch gut, wenn im Bundesvorstand auch aktive Landespolitiker sind.

Volksstimme: Bekommt Sachsen-Anhalts Linke eine Landeschefin? Wie man hört, gehört Birke Bull zum Favoritenkreis.

Höhn: Lassen Sie uns darüber sprechen, wenn es so weit ist und die Nachfolgefrage sich wirklich stellt, denn noch bin ich nicht gewählt.