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Das Gelände in der tschechoslowakischen Hauptstadt wird zwischen August und November 1989 zum begehrtesten Ziel ausreisewilliger DDR-Bürger Die letzten Tage bis zur Fahrt in die Freiheit

30.09.2014, 01:12

Im Sommer 1989 entwickelte sich die Botschaft zu dem Zufluchtsort schlechthin für ausreisewillige DDR-Bürger. In den folgenden Wochen besetzten Tausende das Gelände. Die Chronologie der Ereignisse:

l19.August: Zu diesem Zeitpunkt leben bereits rund 120 Flüchtlinge auf dem Botschaftsgelände, täglich kommen 20 bis 50 weitere hinzu.

l23.August:Der damalige Botschafter in Prag, Hermann Huber, schließt auf Weisung des Außenamtes das Barockpalais für den Publikumsverkehr. Die Konsularabteilung wird vorübergehend in einem Hotel untergebracht, um den Botschaftsbetrieb aufrecht erhalten zu können.

l2.September:Der Ansturm auf das Gelände ist ungebremst. Die Ausreisewilligen klettern über Zäune oder huschen an den zum Teil immer nachlässiger werden tschechoslowakischen Polizisten vorbei durch das Tor der Botschaft. Im Park werden Zelte und sanitäre Anlagen aufgestellt. Zu wenige für die zahlreichen Flüchtigen. Ihre Tagesaufgabe ist das stundenlange Anstehen an den Toiletten. Es wird auch ein notdürftiger Schulbetrieb für die Kinder eingerichtet. Draußen, vor dem Gelände, herrscht ein anderes Chaos. Trabants und Wartburgs der Flüchtlinge prägen das Bild der Umgebung. Die DDR bemüht sich, diese stillen Zeugnisse aber schnell verschwinden zu lassen.

l30.September: Der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher trifft am Abend am Botschaftsgelände ein. Er kommt gerade von Verhandlungen mit dem damaligen Außenminister der Sowjetunion, Eduard Schewardnadse, am Rande einer Uno-Vollversammlung in New York. Um 18.58 Uhr gibt er mit dem berühmten Satz (siehe Zitatkasten) die Ausreisegenehmigung für die rund 4000 Flüchtlinge auf dem Gelände bekannt. Eine Gedenktafel auf dem Balkongeländer erinnert an die bewegenden Worte.

l1.Oktober: Die ersten Züge fahren in die Freiheit. Es werden Sonderzüge von Prag über Dresden und Karl-Marx-Stadt bis nach Hof in Bayern eingesetzt. Zunächst haben viele Angst von den DDR-Behörden bei der indirekten Ausreise in die Bundesrepublik, doch noch von den DDR-Behörde verhaftet zu werden. Diese erweist sich aber als unbegründet. Die Flüchtige kommen vollzählig und ohne Störungen an.

l4.Oktober:Trotz erfolgter Räumung sind wieder mehr als 5000 Ausreisewillige im und 2000 außerhalb des Palais. Sie harren in der Kälte aus und warten auf den entscheidenden Schritt in die Freiheit. Es herrscht ein regelrechter Belagerungszustand. Wieder kann eine Ausreise arrangiert werden. Allerdings: Die DDR führt eine Visumspflicht nun auch für die eigentlich eng befreundete Tschechoslowakei (SSR) ein. Der Strom über die grüne Grenze im Erzgebirge versiegt, nur einer kleinen Gruppe gelingt die Flucht. Sie darf sogar mit legalen DDR-Ausreisepapieren mit eigenen Fahrzeugen in die BRD einreisen.

l1.November: Die DDR hebt die Visumspflicht wieder auf, prompt sind drei Tage später wieder mehr als 5000 Ausreisewillige auf dem Gelände der Botschaft.

l3.November:Die SSR-Behörden erlauben den DDR-Bürgern die unreglementierte Ausreise und heben somit ihren Teil des Eisernen Vorhanges, was als eine der wichtigsten Vorstufen zum Fall der Berliner Mauer gilt. Armin Hiller, Vize-Botschafter der Bundesrepu- blik, gibt dies vom Genscher-Balkon den Flüchtlingen bekannt.