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Wende-Drama "Bornholmer Straße" Charly Hübner: "Wir wollten auffallen und nerven"

30.10.2014, 01:11

"Polizeiruf 110"-Star Charly Hübner über seine Jugend in der DDR, das Wende-Drama "Bornholmer Straße" und warum sein erster West-Besuch mit einer Enttäuschung begann - darüber hat Cornelia Wystrichowski für die Volksstimme mit ihm gesprochen.

Volksstimme: Herr Hübner, vor 25 Jahren fiel die Mauer, jetzt spielen Sie in einer ARD-Komödie den Mann, der im November 1989 als Erster die Grenze öffnete. Wissen Sie noch, wo Sie in jener Nacht waren?
Charly Hübner: Das ist eine herrliche Geschichte. Mein Vater war Sachse und hat 1964 in Mecklenburg einen Karnevalsclub gegründet. Zum Jubiläum 1989 wollten wir Jungen im Ort die Alten mit einem Programm überraschen, das ihre Veranstaltungen verhohnepipelt. Am 9.11. war Generalprobe im "Kulturhaus Juri Gagarin" - alle waren total glücklich, der Wirt schmiss eine Runde Bier nach der anderen, und wir kriegten von den Ereignissen im weit entfernten Berlin gar nichts mit.

Sie hatten es in Ihrer DDR-Schulzeit nicht immer leicht...
Wir waren eine Clique von sechs Jungs und haben versucht, den Westen zu kopieren, mit Jeansanzügen oder einer alten Motorrad-Lederjacke, die man einem Bauern abkaufte. Aber vor allem die Musik, die wir hörten, hat Aufsehen erregt. Die Oma meines Freundes hat aus West-Berlin Platten besorgt, "Motörhead", "Dead Kennedys" und so. Es musste einfach nur schnell und laut sein. Das haben die in der Schule missverstanden. Man wurde dann nach dem Unterricht zum Gespräch zitiert und gefragt: "Seid ihr radikal? Habt ihr was vor?" Dabei waren wir einfach nur Teenager, wir wollten halt auffallen und nerven.

Wann sind Sie zum ersten Mal in die Bundesrepublik?
Fünf Tage nach dem Mauerfall bin ich mit einer Freundin nach West-Berlin zu ihren Verwandten. Der Schock war groß, weil es immer hieß, der Westen sei echt bunt - der Stadtteil Wedding sah aber genauso aus wie die DDR. Als wir später am Ku`damm waren, sah der Westen dann aber so aus, wie wir das erwartet hatten.

In "Bornholmer Straße" spielen Sie nun den Mann, der die Grenze geöffnet hat. Der Film basiert auf der wahren Geschichte von Harald Jäger, der in der Nacht nach der Schabowski-Pressekonferenz als Leiter des Grenzübergangs Bornholmer Straße die Passkontrollen einstellte und Tausende DDR-Bürger nach West-Berlin ließ. Hat Sie die Idee gleich überzeugt, das Ganze als Tragikomödie zu erzählen?
Ja, sofort. Diese Art von menschelnder Komik hat man in deutschen Filmen ja kaum, meistens schlagen unsere Komödien einen exemplarischeren direkten Ton an. In "Bornholmer Straße" hat man dagegen auf der einen Seite die existenzielle Not von Harald Jäger, auf der anderen Seite sehr komische Situationen. Allein schon wie sich die Wachleute auf diesen kleinen Hund stürzen, der die Grenze passiert, und ihn erkennungsdienstlich behandeln wollen - und das wenige Tage nach der Millionendemo auf dem Alexanderplatz. Grotesk.

Wie hat es sich bei den Dreharbeiten angefühlt, als die DDR Ihrer Teenagerzeit noch einmal lebendig wurde? Gedreht wurde ja unter anderem in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn.
Ganz viel ging über Gerüche, weil in Marienborn noch dieses DDR-Linoleum liegt. Diese Ost-Gerüche, diese furchtbar hässlichen Uniformen - das fühlt sich ja aus heutiger Sicht an wie Plastehosen. Die Dreharbeiten waren nicht unanstrengend, weil wir fünf Wochen lang durchgerockt haben und nur nachts gedreht haben. Nach zehn Tagen Nachtdreh kann man eigentlich nicht mehr, weil man den Schlaf nie reinkriegt. Aber dann habe ich den Film gesehen und dachte: Wahnsinn. Ich hätte nicht gedacht, dass er so großartig werden würde.

Gibt es Dinge aus der DDR, denen Sie nachtrauern?
Nein, nicht wenn man so materialistisches Zeug nimmt. Alle Autos, die ich in meinem Leben fahren durfte, finde ich besser als den Trabi und den Wartburg meiner Eltern. Aber wir hatten bei mir daheim früher so ein Siedlungsfest, da kamen viele Schichten zusammen - Lehrer, Funktionäre, Bauarbeiter, das war ja politisch gewollt in der DDR. Kaum war die Mauer gefallen, trennte sich das Oben vom Unten. Die Auflösung dieser sozialen Zweckgemeinschaften ist das Einzige, wo ich ostalgisch bin.