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DDR-Handy "Hallo, hier spricht Blaumeise 3"

Der Untergang der DDR fiel zeitlich zusammen mit dem weltweiten Aufbruch in eine neue Technikwelt: Mobilfunk und Internet. Und wenn die DDR zehn Jahre älter geworden wäre? Das technische Know-how war da, nur der politische Wille fehlte.

Von Oliver Schlicht 21.11.2014, 02:10

Berlin l Nein, die 88 Jahre sind Gottfried Schuppang nicht anzusehen. Er sitzt in seiner kleinen Wohnung unweit der Alten Försterei von Union Berlin und erinnert sich stets mit einem Lächeln auf den Lippen an sein Arbeitsleben zurück. Der Witwer wohnt allein. Kaum jemand in der Nachbarschaft weiß, dass Diplom-Ingenieur Gottfried Schuppang einer der besten Funkexperten der DDR war. Ende der 1970er Jahre landete der damalige Hauptabteilungsleiter Forschung und Entwicklung vom Funkwerk Köpenick den Coup schlechthin: Er baute im Staatsauftrag in Mexiko ein Funktelefonnetz auf und entwickelte das einzige Mobiltelefon Made in GDR.

Er erinnert sich: "Der Prototyp des Gerätes, den wir in Berlin getestet haben, bekam von der Stasi die Funkkennung ,Blaumeise 3`. Die Leute haben anfangs immer den Hörer aufgeknallt, wenn ich mich damit zu Testzwecken ins normale Telefonnetz eingewählt habe." Denn Schuppang musste sich mit "Hier spricht Blaumeise" melden. Der über drei Kilogramm schwere Kasten war natürlich kein Mobiltelefon im heutigen Sinn. Er war eine Spezialanfertigung im Rahmen eines sehr speziellen Auftrags.

1979 kam ein Vize-Fachminister der DDR - der ehemalige Chef des Funkwerkes Köpenick - von einer Mexiko-Reise mit einem ungewöhnlichen Ansinnen zurück. Er hatte den Mexikanern in Aussicht gestellt, dass die DDR imstande sei, in der mexikanischen Provinz ein Telefon-Funknetz aufzubauen. Ein Millionenauftrag winkte. "Die haben dort die deutschen Staaten nicht unterschieden. Für die waren wir Deutsche, die das hinkriegen", erinnert sich Schuppang. Er wurde in Berlin kurzerhand zum leitenden Entwicklungsingenieur berufen und musste sofort nach Mexiko fliegen, um ein konkretes Angebot zu erarbeiten und vorlegen zu können.

Ziel: Möglichst viele der 92.000 abgelegenen Ortschaften mit weniger als 200 Einwohnern mit mindestens einem Telefon auszustatten. "Und zwar auf dem Funkweg. Denn Telefondrähte für Überlandleitungen wurden immer wieder gestohlen."

Schon nach dem ersten Gespräch mit den mexikanischen Experten wusste Schuppang: "Die haben denen etwas angeboten, was wir überhaupt nicht hatten." Doch der DDR-Konsul flehte ihn auf den sprichwörtlichen Knien an, ein Angebot zu erarbeiten. "Denn Erich Honecker sollte 1981 zum Staatsbesuch kommen", erzählt Schuppang schmunzelnd.

Zwei Wochen brauchte er in Mexiko, dann lag ein Angebot vor. Und tatsächlich: Die DDR bekam einen 25-Millionen-Dollar-Auftrag zum Netzaufbau in mehreren Regionen. Zurück in Berlin konnte Schuppang sogar die Arbeitsbedingungen in selten erlebter Freiheit diktieren. "Ich bekam Zugang zu Elektronikbauteilen, deren Einfuhr durch die Embargopolitik des Westens eigentlich verboten war. Und ich konnte ein Team von 25 Ingenieuren bestimmen."

Trotz Westverwandtschaft zur Arbeit nach Mexiko

Selbst die Westverwandtschaft dieser Kollegen war kein Hindernis. Mehrfach reisten die Ingenieure nun nach Mexiko, um das Netz dort aufzubauen. Drei Monate vor dem Honeckerbesuch im Herbst 1981 war das Netz in den Bundesstaaten Oaxaca, Veracruz und Guerreroin startklar. Es bestand aus stationären Telefonen, die über Funkstationen im UHF-Band funkten und ins normale Telefonnetz eingespeist wurden.

Die "Blaumeise" - das Mobiltelefon - war ein Sonderfall. "Das haben wir auf speziellen Wunsch eines Gouverneurs entwickelt, der von seinem Ferienhaus in den Bergen und aus dem Auto heraus telefonieren wollte", erzählt der Ingenieur. So kam es, dass Schuppang als vermutlich einziger "Ossi" mit einem Mobiltelefon aus VEB-Produktion 1981 durch Berlin fuhr und in Dresden und Leipzig anrief. Und das, obwohl die meisten seiner Landsleute nicht einmal ein normales Telefon hatten. Schuppang: "Auch über das Projekt in Mexiko wurde in DDR-Medien so gut wie nicht berichtet. Da wollte man keine falschen Erwartungen wecken."

Prototyp ist nicht verloren gegangen

Von der "Blaumeise", die eigentlich "UDS 721 U" heißt, gab es nur zwei Geräte - das inzwischen verschollene Gerät in Mexiko und einen Prototypen zum Testen in Berlin. Der Zufall wollte es, dass ausgerechnet dieses wichtige Stück Industriegeschichte nicht verloren ging, sondern in den Händen von Bernd Schmidl landete. Der Rundfunkmechaniker betreibt gemeinsam mit Ehefrau Helma im heimischen Luckenwalde ein privates Funk- und Rundfunkgerätearchiv.

"Etwa 3000 Geräte haben wir derzeit. Damit bestücken wir regelmäßig Ausstellungen", erzählt der Sammler, während er die Drei-Kilo-Blaumeise vorsichtig aus dem Holzregal im Keller hebt. "Bei der Werksauflösung der Funkwerkaußenstelle in Dabendorf bei Zossen im Jahr 2004 hatte ich mich umgeschaut. Dort war mir das Gerät für wenige hundert Euro angeboten worden", erzählt er.

Dass dies der Prototyp des mexikanischen Mobiltelefons von Ingenieur Gottfried Schuppang war, hat er erst einige Jahre später erfahren. Nach einem ersten TV-Bericht 2009 wurde die Geschichte vom einzigen "Handy" der DDR dann zunehmend populär. "Wenn wir in Schulen unterwegs sind, frage ich immer die Kinder, wer am längsten mein Handy mit dem ausgestreckten Arm halten kann. Die ,Blaumeise` ist dann immer ein Lacher", erzählt Schmidl.

Die Funknetztechnik, die Ingenieur Schuppang mit seinem Team einst entwickelt hat, wurde in den 1980er Jahren dann auch noch in den Jemen, nach Madagaskar und Algerien exportiert. Die Arbeiter im Fernmeldetechnik-Anlagenbau Berlin hatten einen ganz speziellen Namen für die Geräte. Schuppang: "Sie nannten es Indianertelefon."