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Plattenbauten in der DDR Stadtplaner: Gründerzeitviertel wären alle weg

Es ist in der Städtebaugeschichte ein einmaliger Vorgang: Binnen weniger
Jahre werden Millionen Wohnungen aus dem Boden gestampft, von denen 25
Jahre später schon wieder Hunderttausende dem Erdboden gleich gemacht
wurden. Ohne Bomben, sondern mit Baggern. Die Rede ist von der Platte,
dem DDR-Neubau schlechthin.

Von Jens Schmidt 04.12.2014, 02:17

Magdeburg l Sie wucherten in neuen Vierteln am Rande der Großstädte, sie standen in kleinen Städten, sie drangen ins Innere der Altstädte vor. Bis 1990 entstanden laut DDR-Zählung drei Millionen Plattenbauwohnungen - aktuelle Berechnungen gehen von knapp zwei Millionen aus. Und es wäre nach 1990 noch weitergegangen, da die Altbausubstanz schneller verfiel, als Neubauviertel nachwachsen konnten.

Vor allem in Innenstädten sollten noch zig Gründerzeitbauten verschwinden - um der Platte Platz zu machen. In Magdeburg etwa war der südliche Stadtteil Sudenburg mit seiner weithin bekannten Halberstädter Straße an der Reihe gewesen. Heinz-Joachim Olbricht, heute Stadtplanungschef in Magdeburg, stand damals in den 80er Jahren am Reißbrett und erinnert sich noch gut an die Vorgaben: "Eine Altbausanierung durfte maximal 40 000 Mark pro Wohnung kosten." Dach, Treppenhaus, Keller inklusive. Das war bei dem heruntergekommenen Zustand fast nie möglich. Also hieß das: "Bis auf ein paar Gedächtnishäuser, wie das damals genannt wurde, wäre alles weggewesen."

Olbricht plante unter anderem die Heidestraße in Sudenburg, wo auf beiden Seiten Gründerzeitbau an Gründerzeitbau stand. "Das erste und letzte Haus in der Reihe wollte ich wenigstens behalten, damit Jüngere eine Anmutung von dem haben, was hier mal stand." Ansonsten wäre alles komplett weggerissen worden - für die Platte. Die durfte in den 80ern für die Innenstadt immerhin etwas aufgehübscht werden: Mit Mansarden- statt Flachdach, so dass sie nicht mehr ganz so trist aussah wie die Beton-Kartons aus den 70er Jahren. "Dennoch blieb es einfältig und monoton." Schon der Versuch der Planer, die 12 Meter langen Blöcke wenigstens etwas zu versetzen, scheiterte an den technologischen Vorgaben: Das Baukrangleis war 36 Meter lang, abgestimmt auf Montagetempo und Abbindezeiten des Betons: Also mussten mindestens drei Blöcke nebeneinander streng in einer Linie stehen. 36 Meter Grau an Grau. Mit nahezu schmuckfreier "Lochfassade": Fenster an Fenster, alle gleich groß, ein paar Türen - fertig. "So konnten keine typischen innerstädtischen Strukturen geschaffen werden", blickt Olbricht zurück.

"Bis auf ein paar Gedächtnishäuser wäre alles weggewesen."

Wäre die DDR am Leben geblieben, hätte die SED nach dem Wohnungsbauprogramm wohl gleich ein Plattensanierungsprogramm auflegen müssen. Eigentlich sollten die Blocks ja für 100 Jahre stehen, doch es machten sich schon recht schnell Verfallserscheinungen breit. Das Problem: Eine Platte besteht aus drei Schichten - Innenschale, Wärmedämmung und Außenfassade. Alle drei Schalen sollten mit nichtrostenden Edelstahlankern verbunden werden. Sollten. Da Material notorisch knapp war, kam oft normaler Stahl zum Einsatz. Der rostete. Schon in den 80er Jahren kamen erste Fassadenschalen ins Rutschen.

Der Plattenbau ist keine Erfindung der DDR. Etwa ab 1920 setzte sich das Verfahren durch, da mit ihm in kurzer Zeit deutlich mehr Wohnungen gebaut werden konnten als in der hergebrachten Stein-auf-Stein-Methode. Die architektonische Grundlage lieferte vor allem das Bauhaus aus Dessau: Einfache, glatte Fassaden waren nun angesagt, auf jeglichen Stuck und anderen Zierrat wurde verzichtet. Erste Viertel in Tafelbauweise entstanden in den 20er Jahren in Frankfurt/Main und Berlin-Lichtenberg.

Graue Beton-Kartons: Nicht schön, aber heiß begehrt

Die DDR-Oberen gingen in den 50er Jahren zunächst einen anderen Weg: Die zerstörten Innenstädte sollten mit prächtigen Bauten im Stil des "sozialistischen Klassizismus" auferstehen. Die Gebäude im sogenannten Stalin- oder Zuckerbäckerstil mit ihren großzügigen Wohnungen prägen in Berlin, Leipzig oder Magdeburg innerstädtische Magistralen. Da deren Bau aufwändig war, konnte die Wohnungnachfrage bei Weitem nicht gedeckt werden.

In den 60er Jahren war der Wohnungsbestand in der DDR alt und meist nicht auf der Höhe der Zeit: Was im Krieg stehen blieb, war heruntergekommen. Mit den staatlich verordneten Niedrigmieten von 30 oder 50 Mark im Monat, konnte kein Haus saniert werden. 1971 verordnete die SED auf ihrem VIII. Parteitag der DDR daher ein sozialpolitisches Programm. Dessen Kern war das Wohnungsbauprogramm, das die SED im Oktober 1973 beschloss. Bis 1990 sollte jede Familie eine Wohnung haben.

Gebaut wurde zuerst vor allem an den Stadträndern, da die gut mit Fernwärme versorgt werden konnten. In den 80er Jahren kamen auch die Innenlagen an die Reihe. Waren die Blocks auch nicht schön - sie waren aber heiß begehrt, da sie allen Komfort der damaligen Zeit boten: Bad und Toilette in der Wohnung, immer warmes Wasser, Heizkörper. Dagegen sahen die Gründerzeithäuser mit Kohleofen und Klo auf halber Treppe wahrlich alt aus.

1990 wurde aus dem heiß begehrten Objekt schnell ein Problemfall. Wer Arbeit hatte, baute sich ein Häuschen im Umland. Wer keine hatte, versuchte sein Glück im Westen. Sachsen-Anhalt verlor von 1990 bis heute ein gutes Viertel seiner Einwohner - das sind mehr als 600 000 Menschen.

Die Demografie löste das Wohnungsproblem und schuf zugleich ein Neues: Statt Knappheit herrschte nun Leerstand. 200 Milliarden Mark hatte die DDR in den Aufbau der Plattenviertel reingesteckt - nun werden zig Milliarden Euro ausgegeben, um sie abzureißen, umzubauen oder zu verkleinern. In den 90er Jahren lautete die Devise noch, die Platten aufzubessern. Im Jahr 2000 standen in Sachsen-Anhalt 200 000 Wohnungen leer. Das zwang die Politiker zum Umdenken. 286 000 Plattenbauwohnungen wurden von 1970 bis 1990 in den Bezirken Magdeburg und Halle errichtet. Fast 75 000 Wohnungen kamen in Sachsen-Anhalt unter die Abrissbirne. "Ein Ende ist noch nicht in Sicht", sagt Joachim Stappenbeck vom Bauministerium.

Viele Städte haben anhaltend hohe Leerstandsprobleme, stellt eine großangelegte Analyse fest. In Zeitz etwa stehen 26 Prozent der Wohnungen leer, in Schönebeck sind es 18 Prozent - darunter sind auch Altbauten. In Dessau-Roßlau und Magdeburg sind es knapp 15 Prozent, in Halle 11 Prozent. Der Abriss wird kombiniert mit Umbau: "Die Stadt wird vom Kopf wieder auf die Füße gestellt", meint Stappenbeck. Das heißt: Innen wachsen Mehrgeschosser, außen machen die Blocks kleineren Häusern Platz.

Selbst in Magdeburg, der einzigen Stadt mit nennenswertem Einwohnerzuwachs, müssen noch Platten weg. Zwar wurden einige der einst monotonen Blocks zu schicken Appartements verwandelt. Doch Zuzügler streben eher in sanierte oder neue Bauten an die innerstädtische Elbe. Oder sie bauen ihr Eigenheim an den Stadtrand - dort, wo einst die Platten standen.