1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. "Wir hätten die Solarförderung eher senken müssen"

EIL

"Wir hätten die Solarförderung eher senken müssen"

12.12.2012, 14:29

Selbst Befürworter des Ökostroms halten seine Förderung für teilweise überzogen. Das EEG ein Auslaufmodell? Mit SPD Fraktionsvize Ulrich Kelber sprachen die Volksstimme- Redakteure Alois Kösters und Jens Schmidt.

Volksstimme: Herr Kelber, die Strompreise klettern und klettern. Wann war Ihnen klar, dass dies zu einem Politikum werden kann.

Ulrich Kelber: Wir haben immer gesagt, dass Investitionen Geld kosten...

Volksstimme: Es geht um Milliarden- Subventionen für Windräder und Solarmodule ...

Kelber: ... Womit ja die Investitionen bezahlt werden. Aber wir hätten auch ohne erneuerbare Energien viel Geld in die Hand nehmen müssen. Deutschland lebt doch seit Jahren von der Substanz: Veraltete Kohlekraftwerke, überlastete Netze. Und da war es doch besser, in zukunftsfähige statt in überkommene Technologien zu investieren.

Volksstimme: Wir zahlen mittlerweile pro Jahr mehr als sechs Milliarden Euro Vergütung für Solarstrom – eine Energieart, auf die man sich wetterbedingt nicht einmal sicher verlassen kann. Da hört bei vielen Verbrauchern das Verständnis auf.

Kelber: Die Politik hat ja gegengesteuert und die Vergütungen gesenkt – aber ich räume ein: zu spät. Bis 2009 hatte sich der Solarstromanteil langsam entwickelt – dann schnellte er rasant nach oben. China hat mit seiner Preispolitik eine Dynamik ausgelöst, die alles in den Schatten stellte und die wir unterschätzt haben. Aber Politik ist lernfähig.

Volksstimme: Also war die Förderung der Photovoltaik überzogen?

Kelber: Im Nachhinein muss ich sagen: Ja. Wir hätten die Förderung
schon 2008 stärker senken müssen. Aber: Die steigenden Stromkosten gehen nicht allein auf die Erneuerbaren zurück. So
müssen die Verbraucher dafür zahlen, dass Deutschland den Off shore-Netzbetreiber Tennet aus der Haftung entlässt. Ich halte das für völlig überflüssig - da Tennet dem niederländischen Staat gehört und nicht pleitegehen kann. Zwei Cent kommen drauf, weil die Bundesregierung noch mehr Firmen vom Netzentgelt befreien will. Die SPD hält das für weit überzogen. Dass die Aluhütte entlastet wird, ist nachvollziehbar, da sie im internationalen Wettbewerb steht. Die meisten Zementfabriken aber beliefern den heimischen Markt.

Also: Wir fordern mehr Diff erenzierung; dadurch würden die
Haushalte entlastet. Außerdem plädiere ich dafür, dass der Staat
bei den Netzbetreibern einsteigt. Stromnetze sind - wie Autobahnen
- die Lebensadern der Gesellschaft. Das ist Daseinsvorsorge, die wir nicht allein Privaten überlassen dürfen. Zudem würde der Netzausbau günstiger, da der Staat keine Gewinne erwirtschaften muss.

Volksstimme: Könnten Strompreise dadurch wieder sinken?

Kelber: Es würde die Kostenentwicklung dämpfen. Die Preise müssen nicht weiter so drastisch steigen wie zuletzt.

Volksstimme: Aber die nächste EEGUmlage kommt bestimmt.

Kelber: Die wird 2013 für 2014 deutlich niedriger ausfallen als 2012
für 2013.

Volksstimme: Woher dieser Optimismus?

Kelber: Von den 1,7 Cent, die jetzt dazukamen, waren 0,6 Cent eine Nachzahlung für 2011. Das heißt: Wir zahlen jetzt so viel mehr drauf, weil wir 2011 fast nichts draufgelegt haben. Außerdem planen die Netzbetreiber eine beachtliche Reserve von 0,3 Cent. Diese Kosten fallen 2013 nicht an. Und man bedenke: 2013 ist Bundestagswahl. Umweltminister Altmaier wird im Wahlkampf sicher behaupten, dass das alles sein Verdienst sei.

Volksstimme: Steigenden Preisen bedeuten mehr Steuereinnahmen.
Sollten nicht die Steuern für Strom gesenkt werden ?

Kelber: Nicht pauschal für alle. Aber die Versorger sollten verpflichtet werden, einen Niedrigverbrauchertarif einzuführen. Eine bestimmte Menge Strom muss dann preisgünstiger verkauft werden - und für diese Menge könnten dann 7 statt 19 Prozent Mehrwertsteuer erhoben
werden.

Volksstimme: Sollte für den dringend notwendigen Netzausbau die Bürgerbeteiligung eingeschränkt werden?

Kelber: Nein. Ich denke, dass wir umso schneller vorankommen, desto früher und besser wir alle einbeziehen.

Volksstimme: Manche fordern, das EEG abzuschaffen.

Kelber: Von heute auf morgen geht das nicht, da wir bei den Erneuerbaren noch Leistung aufbauen müssen. Ich kann mir aber eine regionale Differenzierung vorstellen. Man könnte etwa den Windstrom in Baden- Württemberg höher vergüten als in Schleswig-Holstein – da wir im Süden viele Verbraucher, aber noch wenige Windräder haben. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir nach 2020 kein EEG mehr haben werden. Dann haben wir einen neuen Strommarkt, der auch Platz für Erneuerbare bietet.

Volksstimme: Einige Versorger fordern, den Ausbau der Erneuerbaren
zu drosseln, solange es keine praktikablen Stromspeicher gibt.

Kelber: Das ist ein Schmarrn. Wir sind von Speicherlösungen im großen Stil noch sehr weit weg, benötigen diese auch nicht. Vor 2030, so sagen es uns fast alle Fachleute, ist da kein großer Wurf zu erwarten. Und heutige Lösungen sind noch viel zu teuer.

Volksstimme: Vielleicht erfindet die Politik ja noch eine Speicher- Umlage für den Verbraucher.

Kelber: Wir müssen ja nun nicht jede neue Technologie subventionieren. Wir dürfen die Fehler nicht wiederholen.

Volksstimme: Aber die Sonne scheint nicht immer und der Wind bläst nicht dauerhaft. Also brauchen wir Speicher - oder aber doch noch viele Jahre die zuverlässige Kohle.

Kelber: Es sind auch dezentrale, kleinere Lösungen machbar. Gasturbinen etwa. Was die Kohle angeht: Wir wollen kein Kohle-
Ausstiegsprogramm. Und wir wollen - anders als die Grünen - auch niemandem verbieten, ein Kohlekraftwerk zu bauen. Ob sich das künftig noch rechnet, ist das Risiko des Unternehmens und nicht des Staates. Zudem: Jedes Kohlekraftwerk muss CO2-Zertifikate für Kohlendioxid kaufen. Die Aufgabe des Staates ist es, die Gesamtmenge aller Zertifikate zu senken, um die Klimaschutzziele
zu erreichen. Das geschieht ab 2013 jährlich durch die gemeinsamen
Vorgaben der EU.

Volksstimme: Dann muss der Staat doch keine teuren Förderprogramme mehr auflegen und kann Klimaschutz dem Markt
überlassen?

Kelber: Jein. Wir brauchen auch einen ordnungspolitischen Rahmen.
Also Kohlekraftwerke mit 24 Prozent Wirkungsgrad sollten verschwinden. Ich erwarte von einem modernen Kohlekraftwerk
schon möglichst 48 Prozent Wirkungsgrad und eine wirtschaftliche
Nutzung der Abwärme zum Beispiel für Fernheizungen. Und
wir brauchen Förderprogramme für neue Technologien. Das schafft der heutige Markt nicht von selbst.