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Ein Jahr danach an vier Brennpunkten Flut 2013: Die Wunden sind noch nicht verheilt

Ein Jahr nach dem Hochwasser an Elbe, Saale und Havel sind die Wunden
vielerorts noch immer nicht verheilt. Volksstimme-Reporter besuchten
vier Brennpunkte der Flut vom Juni 2013.

Von Andreas Pinkert, Anke Schleusner-Reinfeldt und Oliver Schlicht 31.05.2014, 01:22

Magdeburg l Es war ein Gewässer so groß wie ein Ostsee-Bodden - zwischen Groß Rosenburg und Breitenhagen (Salzlandkreis)wurden nach dem Bruch des Saaledeiches die Felder bis zu zwei Meter Wasserhöhe überflutet. Bewirtschaftet werden diese Felder überwiegend von der Lödderitz Breitenhagen GbR. Bernd Knopf, Geschäftsführer des Agrarbetriebes: "Auch mein Vater Hans hat so etwas hier noch nie erlebt. Es war unvorstellbar."

95 Prozent der 1500 Hektar Ackerfläche des Betriebes waren überflutet. Gerste, Weizen, Raps, Zuckerrüben, Mais. Das Wasser stand in den Senken bis Ende August. Zum Glück fanden die Experten aber keine nachweisbaren Vergiftungen durch ausgetretenes Heizöl aus umliegenden Ortschaften. "Die Wassermassen haben das offenbar fortgespült", glaubt der Landwirt.

Im Spätsommer wurde die Biomasse zerkleinert und untergepflügt. Nach der Herbstaussaat dann der nächste Schock: Extreme Niederschläge setzen dem verschlammten Boden weiter zu. "Die Herbstsaat ist aufgegangen und gleich wieder abgesoffen."

Die Fruchtfolge auf den Äckern musste hochwasserbedingt umgestellt werden. Notgedrungen gegen alle sonst üblichen Gewohnheiten. "Getreide auf Getreide - das macht eigentlich niemand."

Über zwei Millionen Euro Ernteschäden im Betrieb

Inzwischen steht aber wieder Weizen und Gerste auf den Feldern. "Zwischen 2,2 und 2,5 Millionen Euro beträgt der Ernteschaden", beziffert Knopf. Der Betrieb bekam Ausgleichzahlungen. "Ohne die schnelle und unbürokratische Hilfe des Landwirtschaftsamtes in Wanzleben hätten wir es wohl kaum geschafft", so der Landwirt.

Gleich zwei Katastrophen auf einmal erlebten die Kanuten der Turn- und Sportgemeinschaft (TSG) Calbe. Am Morgen des 7. Juni 2013 erhielten die Sportler eine ebenso erschreckende wie unglaubliche Nachricht. Ihr Bootshaus, das bereits anderthalb Meter im Hochwasser der Saale stand, brannte lichterloh. Trotz gefährlicher Strömung brachte die Freiwillige Feuerwehr den Brand nach sechs Stunden unter Kontrolle.

Für das Vereinsheim gab es jedoch keine Rettung mehr. Rund 180 Mitglieder, darunter ein Drittel Kinder, waren plötzlich ohne Domizil. "Für uns war es besonders bitter", erinnert sich TSG-Abteilungsleiterin Christel Löbert. "Erst wenige Tage vorher hatten wir die letzten Hochwasserschäden von 2011 beseitigt." So wurde der Saal hergerichtet, die Decke erneuert und frische Gardinen angebracht.

Was nach der Katastrophe folgte, war eine grandiose Welle der Unterstützung und Spendenbereitschaft. Rund 180.000 Euro kamen zusammen. Die gute Nachricht: Mit den Eigenmitteln kann ein neues Bootshaus für knapp 1,3 Millionen Euro an gleicher Stelle entstehen. Zusammen mit der Stadt führten die rührigen Sportler unzählige Gespräche mit Vertretern der Ministerien. "Wir erwarten im Juni den Fördermittelbescheid vom Land", sagt Löbert.

Pläne für neues Bootshaus sind fertig

Die Baupläne liegen vor. Das neue Domizil wird barrierefrei und zum Schutz vor künftigen Hochwassern auf einer Böschung errichtet, 50 Zentimeter über der Höchstmarke des vergangenen Jahres. "Das neue Bootshaus wird so schön erstrahlen wie nie zuvor", schwärmt schon jetzt Bürgermeister Dieter Tischmeyer.

Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) ist vom Schwärmen noch weit entfernt - zumindest beim Gedanken an die Schäden, die das Hochwasser am Netz der städtischen Magdeburger Verkehrsbetriebe (MVB) angerichtet hat. Das Elbehochwasser trat im Hafen am nördlichen Stadtrand über die Kaimauern und überspülte den Betriebshof der MVB und die Gleisanlagen auf dem August-Bebel-Damm auf mehrere Kilometer Länge. Seither fährt die Straßenbahn in das Industriegebiet, wo knapp 5000 Menschen beschäftigt sind, nur stark eingeschränkt. "Mehrere Gutachten mussten erstellt werden. Das dauert", so Trümper.

Inzwischen ist klar, dass die Stromanlagen empfindlich beschädigt wurden. Der Schaden für die MVB wird insgesamt auf bis zu zehn Millionen Euro geschätzt. Immerhin: Ab dem 2. Juni sollen die Straßenbahnen endlich wieder bis zum Barleber See verkehren - aber zeitlich eingeschränkt. Trümper: "Das MVB-Stromnetz ist in diesem Bereich nicht voll belastbar. Deshalb dürfen dort nur drei Bahnen gleichzeitig unterwegs sein." Bis Ende 2015 soll das Stromnetz der Straßenbahn repariert sein.

Auf Eis gelegt hat das Hochwasser den bereits fertig geplanten neuen Betriebshof Nord der MVB am August-Bebel-Damm. 35 Millionen Euro sollte dieser Neubau eigentlich kosten. "Der Betriebshof muss jetzt hochwassertauglich abgesichert werden. Das erfordert eine weitgehende Neuplanung", erklärt der Oberbürgermeister. Wann dieses für den öffentlichen Nahverkehr in Magdeburg wichtige Vorhaben umgesetzt werden kann, ist bislang ungewiss.

Sogar zwei Meter hoch im Deichbruchwasser standen die Hallen in dem 60 Jahre alten Schönhauser Traditionsbetrieb Thermoplast. Dort werden Wickelhülsen hergestellt. Schönhausen gehört zu Fischbeck im Landkreis Stendal - ebenfalls ein Hochwasser-Brennpunkt. Erst in den vergangenen Tagen konnten die zerstörten Lagerhallen bei Thermoplast abgerissen werden. Derzeit entsteht auf dem Gelände eine neue große Produktionshalle.

Hängepartie mit Sorgen verfolgt

Verbandsbürgermeister Bernd Witt hat die lange Hängepartie der Firma mit Sorgen verfolgt. Bis Dezember musste die Geschäftsführung auf die Zusage der EU-Fördermittel warten. Die neuen Maschinen sollen Anfang Juni, nach einem Jahr Pause, anlaufen. Die zehn Beschäftigten haben dann endlich wieder Arbeit. "Mich freut, dass die wirtschaftlichen Folgen der Flut nun langsam heilen und es zumindest hier sichtbare Erfolge beim Wiederaufbau gibt", sagt Bernd Witt.

Vor einem Jahr war der Deich in Fischbeck gebrochen und das ausströmende Elbwasser flutete 210 Quadratkilometer Land. 987 Wohnhäuser standen im Wasser, teilweise bis zu zwei Meter hoch. Längst sind nicht alle Flutopfer in ihre Eigenheime zurückgekehrt, über zehn mussten abgerissen werden, vier Häuser werden im Moment wieder aufgebaut.

"400 Maßnahmen zum Wiederaufbau hat die Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land im Herbst bei der Investitionsbank beantragt, bewilligt sind gerade mal 25", erzählt der Verbandsbürgermeister. Und auch die befinden sich überwiegend in Planung und konnten noch nicht umgesetzt werden. Lediglich eine Maßnahme - die Sanierung der Keller im Fischbecker Neubaublock - ist abgeschlossen.

"Der Arbeitsaufwand ist für jedes einzelne Vorhaben enorm. Wenn die Genehmigungsverfahren nicht so aufwendig wären, könnten wir schon weiter sein", beklagt Witt. Er vermisse die vom Land und auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Besuch im August in Fischbeck versprochene unbürokratische Hilfe. Sehr dankbar ist das Elbe-Havel-Land dagegen für Geldspenden in Gesamthöhe von rund 1,3 Millionen Euro. Noch fünf Jahre wird es dauern, schätzt er, bis in Fischbeck die Schäden beseitigt sind.

Lesen Sie in der kommenden Woche zur Hochwasser-Problematik ein Interview mit Burkhard Henning, dem Leiter des Landesbetriebes für Hochwasserschutz.