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Entlang der Elbe Waldwärts: Die Aue lockt, der Fährmann singt

Auf dem Elberadweg treffen sich Fahrrad-Enthusiasten aus halb Europa. Ein Tour führt von Aken südlich der Saalemündung entlang.

Von Oliver Schlicht 04.08.2012, 05:21

Aken l "Wissen Sie, was die Fähre kostet?", fragt der Mann neben mir auf englisch. "One, two Euro?" Er nickt. Anfang 40 ist er. Sein Auto hat ein dänisches Kennzeichen und zwei Fahrräder auf dem Heck. Das geht ja gut los. Noch gar nicht richtig drauf auf dem Elberadweg, da trifft man schon den ersten Ausländer. Andersen Christiansen heißt er, aus Viborg kommt er. Mit Ehefrau Ule will er von Aken aus eine Woche lang nach Dresden radeln, weil "die Elblandschaft so schön ist", erzählt er.

Unten am Fluss legt die Fähre an. Jetzt geht es los. Mein weißes Mountainbike lehnt an der Reling. Einen Euro kassiert Fährmann Klaus Schmidt für die Überfahrt. Setzen hier viele Ausländer mit Fahrrädern über? "So zehn bis fünfzehn Prozent der Fahrradtouristen sind Ausländer. Ich hatte hier schon Österreicher, Schweizer, Russen und natürlich viele Holländer", erzählt er.

Und wie viele kommen so am Tag? Schmidt greift unter der Kasse nach einem Heftchen, in dem die Anzahl der Fahrgäste mit Fahrrad notiert ist. Er zählt. "Gestern waren es 120. Das ist wenig. Normal sind wochentags so um 150." Sogar über 400 kommen zuweilen täglich, wenn größere Gruppen unterwegs sind. Der Fährmann ist ein bisschen traurig, weil seine Stadt Aken den Touristen so wenig bietet, sagt er. "Frühstück? Na, vielleicht beim Bäcker. Und auf dem Marktplatz gibt es auch kaum etwas zu sehen." Schmidt nennt eine Broschüre. Da sind die anderen Fähren drin, nur seine nicht. Das sei wegen eines Verbandes, aus dem die Stadt ausgetreten ist. Das haben sie nun davon.

Tschüss Elbe, jetzt geht es erst einmal in den Wald. Rein in die Pedale, es fährt sich herrlich. Kaum Autos auf der Straße, die Sonne blinzelt durch das lichte Buchengeäst. Nach ein paar Kilometern das erste Hinweisschild mit dem markanten blauen E-Symbol. Es steht für "Elberadweg". Richtung Steckby geht es jetzt über einen betonierten Feldweg. Ein kräftiges Lüftchen von vorn erinnert in diesem freien Gelände sogleich daran, dass eine Fahrradtour Sportsgeist erfordert. Beim Verschnaufen wird man klüger. Die Sperbergrasmücke - eine Vogelart - ist hier viel unterwegs, heißt es auf einem Hinweisschild vom Biosphärenreservat Mittlere Elbe. Ein Bild vom Piepmatz gibt es auch.

Die Natur hat auf dem Feld keinen Sperber, aber einen Storch zu bieten. Der hüpft lustig hinter einem Traktor hinterher, der das Gras mäht. Traktorfahrer und Storch bilden in dieser ländlichen Einsamkeit ein trautes Paar. Schön, dass es Freunde gibt. Doch Steckby ruft. Also wieder los.

Die Glieder der evangelischen Gemeinde in diesem Dorf müssen allesamt Radfahrer sein. Ihre Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert ist voll auf die Bedürfnisse der Zweiradtouristen abgestimmt. Schon am Eingangstor des Kirchgartens ein Hinweisschild "Kirche ist offen" und ein Fahrradständer. Andere Schilder weisen den Weg zum Wasserhahn und zur Toilette. In der Kirche selbst gibt es jede Menge Infos. Schöne Idee: Auf einer Deutschlandkarte sollen alle Radfahrer ein Farbpünktchen am Heimatort aufkleben. Nun ist die Karte voll bepunktet.

Sogar den Glockenturm des alten Gemäuers kann der Besucher "auf eigene Gefahr" erklimmen. Das ist ein dunkles, enges Abenteuer, bei dem man den Radhelm besser aufbehält. Aber Kinder haben bestimmt jede Menge Spaß.

"Gott hilft, wenn man ihn braucht", hat Familie Ganter aus Frankfurt/Main ins Gästebuch geschrieben. Sie fanden vor einem Gewitter Schutz in der Feldsteinkirche. Gott ist groß. Aber in diesem Fall wäre die Gemeinde Steckby wohl der bessere Adressat. Gesa aus Hamburg und Barbara aus München sind zwei rüstige Rentnerinnen. Im Gasthof "Zum Biber" in Steckby binden sie gerade ihre "Pferde" an. "Eigentlich sind wir zu viert. Aber unsere Freundin hat den Motorschlüssel vom E-Bike verloren. Da sind zwei nochmal zum Suchen zurückgefahren", erzählt die Hamburgerin.

Das Quartett ist von Dresden nach Magdeburg unterwegs. Im Vorjahr sind sie schon von Prag bis Dresden geradelt. Da seien die Wege aber sehr schlecht. Der Vater von Gesa wuchs in Genthin auf und ging vor dem Krieg im Magdeburger Klostergymnasium zur Schule. "Das will ich mir endlich einmal anschauen", erzählt sie.

"Biber"-Wirt Ronald Finger freut sich über die Rentner. Es sind die ersten Gäste zur frühen Mittagsstunde, die auf den Holzbänken in dem ruhigen Hinterhof Platz nehmen. "Ohne den Elberadweg würde es das alles hier nicht geben", sagt der Wirt. Schon im April geht es los. "Zur Spargelzeit im Mai sind wir häufig am Wochenende so voll, dass kein Platz mehr frei ist", erzählt der Wirt. Er betreibt das Familienunternehmen gemeinsam mit Schwester Andrea. Pension mit sechs Zimmern, Gastwirtschaft mit Biergarten und eine Scheune für die Große Feier. Und bald soll die alte Garage im Hof auch noch weg. Finger schwärmt: "Dann wird der überdachte Biergarten noch größer. Die Radfahrer wollen das so. Die wollen draußen sitzen und Schnitzel essen."

Weiter geht es durch den Kiefernwald Richtung Barby. Schotterweg, aber gut befestigt. Mitten im Wald die Reste einer barocken Toreinfahrt. Hier ist mal Friedericke von Sachsen-Gotha durchspaziert, steht auf einem Schild.

"Dieser Wechsel von Baudenkmälern und traumhafter Auenlandschaften ist wirklich beeindruckend", findet Angelika Wöhrle. Sie bleibt mit Freundin Gesine Stöcker kurz stehen im Wald. Eine Lehrerin und eine Architektin aus Südhessen. Die Männer haben sie zu Hause gelassen. Jetzt radeln sie von Hamburg nach Dresden. Beide halten nicht nur nach der Romanik Ausschau, sondern "auch, was von der DDR noch erkennbar ist", so die Lehrerin.

Fähre Breitenhagen. Fährmann Karl-Heinz Orlowski singt schallend bei der Überfahrt: "Ein bisschen Spaß muss sein, dann ist der Tag voll Sonnenschein." Zwei junge Frauen im dicken Benz kichern amüsiert. Das spornt den lustigen Burschen noch mehr an.

Drüben auf dem Restaurantschiff "Marie-Gerda" ist heute die Eierlikörtorte im Angebot. Da wird doch wohl nicht Fährmann Karl-Heinz wieder ein Stückchen zu viel genascht haben?