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Zum Vizemagdeburger des Jahres 2009 wählten die Leser der Volksstimme Ballett-Direktor Gonzalo Galguera / Die Laudatio Bewegender Tanzkünstler mit großer Botschaft

14.01.2010, 04:52

Auf Platz 2 bei der Wahl zum Magdeburger des Jahres 2009 wählten die Leserinnen und Leser der Volksstimme den Direktor des Ballett Magdeburg, Gonzalo Galguera. Die Laudatio hielt Volksstimme-Redakteurin Katja Tessnow.

Tanzen ... Ballett ... Nun ja, ich bin mir fast sicher, da werden jetzt einige von Ihnen denken : Es gibt Wichtigeres auf der Welt. Ballett ist nicht jedermanns Sache, auch wenn die Magdeburger Fangemeinde wirklich groß ist. Ich möchte gerne versuchen, auch jene unter Ihnen, die noch nie im Ballett waren – zumal in einem von Gonzalo Galguera erdachten –, davon zu überzeugen, dass der Mann den Preis, der ihm gleich zuteil werden wird, unbedingt verdient hat. Die anderen, die Ballettfreunde, wissen es ohnehin.

Tanz, bewegte Körper – das ist die Sprache von Gonzalo Galguera, seine Gabe, seine anrührende Art, sich zu den großen Fragen und Problemen unserer Zeit zu äußern. Und nichts Geringeres will Gonzalo Galguera. Damit ist es ihm ernst.

Stellungnahmen

zu den großen

Fragen unserer Zeit

Galguera sagt : " Ich finde es schlimm, wenn ein Künstler ohne Haltung, ohne ein Anliegen lebt. Wirklich bewegende Kunst hat immer eine große Botschaft. "

Große Botschaften wiederum sind einfach. Es sind Botschaften von der Liebe unter den Menschen und vom Frieden auf Erden. Wünsche, die jeder Mensch teilt und die doch so schwer Realität werden.

Gonzalo Galguera stellte sich, bevor er 2006 als Direktor das Magdeburger Ensemble übernahm, anno 2005 mit dem Tanzabend " Credo " dem hiesigen Publikum vor. " Credo " heißt " Ich glaube ", und Galguera erzählte in drei anrührenden Sequenzen von seinem Glauben an den Sieg der Menschlichkeit über eine Welt voll von Leid und Schmerz und voller Krisen. Der Abend begann in Lateinamerika und endete mit Johannes Brahms romantisch-lebenspraller 2. Sinfonie. Galguera wäre nicht einverstanden, würde ich jetzt sagen, er habe sie " vertanzt " oder eben vom Ensemble vertanzen lassen. Er selbst hat es mal so formuliert : " Ich will Musik nicht vertanzen, ich will sie vertiefen. "

Das ist zugegeben etwas anderes und ein hohes Ziel. Ebenso hoch waren und sind die Ansprüche, die Galguera an seine Tänzerinnen und Tänzer stellt. Wer zu Höhen strebt, darf ein Scheitern im Einzelnen nicht scheuen. Es gab manchen Ballettfreund, der sich bei Galgueras Einstand in Magdeburg sorgenvoll fragte, ob der Mann das Ensemble nicht überfordern würde. Das hat er nicht. Er hat gefordert, viel gefordert. Freilich, sogar so viel, dass auch probenabseits auf großer Bühne mal ein Schritt danebenging. Mich hat das nie gestört, im Gegenteil. Nur, wer mutig genug auch zum Scheitern ist, wird an seine Grenzen gehen und über selbige hinaus. Eine Entwicklung war schnell unverkennbar. Galguera und das Ensemble sind zusammengewachsen in beiderlei Wortsinn.

Vom Internat

in Havanna auf die

Bühnen der Welt

Gonzalo Galguera wurde vor 40 Jahren auf Kuba geboren. Statt des Tanzes wurde ihm die Heilkunst in die Wiege gelegt, aber der wohl recht quirlige Gonzalo konnte sich nicht für den Arztberuf erwärmen. So sollten es die schönen Künste werden, befanden die Eltern und schickten den Sohn im zarten Alter von sieben Jahren nach Havanna aufs Internat. Da standen Klavier und Saxofon für ihn parat. Galguera versuchte sich drei Jahre lang daran. Dann rieten die Lehrer den Eltern zum Wechsel in ein bewegungsreicheres Fach, und schon vier Jahre später sollte der junge Galguera, erst 15-jährig, einen Preis beim nationalen Choreografiewettstreit in Havanna einheimsen.

Es wird mit diesen frühen Erlebnissen zu tun haben, dass Gonzalo Galguera wenig Angst vor dem Scheitern hat, sondern es als Chance begreift.

Nach Engagements in Havanna, Lima in Peru und Madrid in Spanien kam Galguera 1991 nach Deutschland, zunächst als Tänzer an die Komische Oper Berlin. Er tat gut daran, seine Lust zur eigenen Choreografie neben dem Tanz niemals aus den Augen zu verlieren. 1999 übernahm Galguera die Leitung des Balletts am Anhaltischen Theater in Dessau. Er machte sich dort so viele Fans wie hier ; zu ihnen gehörte früh ein gewisser Tobias Wellemeyer. Jetzt lag Magdeburg nahe.

Auf " Credo " folgten zahlreiche weitere zutiefst berührende Produktionen ; Beispiele : " Requiem " - Galguera wagt sich im November 2006, Monate nachdem er das Magdeburger Ensemble übernommen hat, an jene Toten- oder Seelenmesse, über deren Entstehung Mozart verstarb. Jedem, der die Inszenierung gesehen hat, wird mindestens die Szene in Erinnerung geblieben sein, in der Menschen, ganz in orange Kleidung gehüllt, in Ketten und an Gitter hängen ; Guantanamo, ohne Worte. Galguera reihte sich in den aufkeimenden, aber 2006 noch lange nicht überall mehrheitsfähigen Ruf nach Schließung des US-amerikanischen Gefangenenlagers im rechtlichen Niemandsland ein. Obama wird erst zwei Jahre später gewählt.

" Keine Schmerzen " - 2007 lädt Galguera die Gothic-Pop-Ikone Marianne Iser mit ihrem Duo " Schneewittchen " zu einem Konzert-Ballett-Experiment ins Magdeburger Opernhaus ein. Das schwarzmagische Unterfangen spaltet durchaus Teile des Stammpublikums, aber eines gelingt Galguera damit allemal : Er gewinnt neue und vornehmlich junge Zuschauer fürs Ballett.

Mit " Die verlorenen Schritte " hält Galguera 2008 ein Plädoyer auf die Vielfalt der Kulturen und für ihren Erhalt. Die Inszenierung wird zur Hommage an die Tradition der Urvölker Lateinamerikas. Das Magdeburger Publikum feiert sie einmal mehr mit minutenlangem, stehendem Applaus.

2009 lädt Galguera die spanische Choreografin Mònica Runde ans Magdeburger Theater ein und bittet sie um eine Arbeit zum Thema Japan. Es entsteht " Ginkgo. Warum ?", ein Tanzabend, der sich ein Bild der Hoffnung nach der Katastrophe zum Ausgangspunkt nimmt. Nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima treibt ein verbrannter Ginkgo-Baum noch im selben Jahr wieder Blätter … Gonzalo Galguera selbst tanzt eine Hauptrolle.

In " Heilig " kehrt er, der religiöse Galguera, wiederum sein Innerstes nach Außen und diskutiert auf der Tanzbühne Glaubensfragen, die immer auch gesellschaftliche Fragen berühren ; solche, nach dem falschen und dem wahren Heiland, nach dem richtigen Standpunkt im Hier und Heute. Der " heilige " Ballett-Abend bewegt das Publikum tief, ob konfessionell gebunden oder nicht. Dass nach solchen Aufführungen Gäste zu ihm kommen und die getanzten Debatten mit Worten weiterführen wollen, das macht Galguera nach eigenem Bekenntnis richtig glücklich. Er wisse dann, dass er den richtigen Beruf ausgesucht habe.

Am Rande : Auch, wer von Ihnen noch nie im Ballett war, wird sich jetzt vorstellen können, dass das Beschriebene sich kaum in Spitzenröckchen und Rüschenblüschen erzählen lässt. Seien sie also versichert, dass sowohl Kleiderordnung als auch Körpersprache im Ballett heute deutlich variabler sind, als sterbende Schwäne vergangener Jahrhunderte das vermuten ließen. Galguera wird von seinen Fans gerade dafür geschätzt, dass er versucht, den Reichtum heutiger Möglichkeiten des Tanzes immer noch zu erweitern.

Galguera sagt, er habe das Magdeburger Publikum sehr schätzen gelernt, seine Offenheit, seine Neugier ; keine Unverbindlichkeiten, sondern eine ganz verbindliche, emotionale Zuwendung spüre er da. Er habe hier in Magdeburg das Gefühl, jeden Tag einen Traum zu träumen. Dem Publikum wie dem Ensemble, den Kollegen fühle er sich sehr zu Dank verpflichtet für die bewusste und herzliche Wahrnehmung seiner Arbeit ; der richtige Boden für einen Künstler, um ein Werk zu schaffen.

Die Compagnie

soll zu den besten des Landes gehören

Womit wir wieder bei den hohen Ansprüchen des Gonzalo Galguera wären. Eine Compagnie will er formen, die zu den besten des Landes gehört. Das braucht Zeit ; fünf Jahre, vielleicht sechs oder sieben. Sein aktueller Vertrag läuft allerdings 2011 aus. Wenn so viele Ballettfreunde Galguera schon jetzt, nach drei Magdeburger Jahren, zum Jahresmagdeburger gekürt wissen wollen, dann ist das neben tiefem Respekt und großer Zuneigung wohl auch Ausdruck der Hoffnung, dass Galguera wirklich Magdeburger werden und bleiben darf. Er selbst bekennt frei heraus, dass er gerne bleiben würde. Nicht nur, dass er Magdeburg heute sein Zuhause nennt und sich pudelwohl in seinem Kiez in Neue Neustadt fühlt. ( Galguera : " Ich habe hier meine Freunde, meinen Bäcker und meine Elbe …").

Eine " Kunst To Go " sei eben seine Sache nicht, sagt Galguera und meint rein unterhaltsame Kost, schnell aufgewärmt, schnell gereicht, dafür kassiert, gut amüsiert, morgen wieder vergessen, schöner Schein. Zu Dekorationszwecken allein will Galguera sich und sein Ensemble nicht hergeben. Man kann sich denken, dass einer wie er im steten Streit auch jene Grenzen ausloben und zu erweitern versucht, die ihm ein Stadttheater setzt. Das liegt in der Natur der Sache, auch der wirtschaftlichen oder eben zuschussbedürftigen Sache. Galguera tritt nicht als Bittsteller auf, sondern er sagt : " Wir müssen beweisen, warum wir so gut sind für das Theater und für diese Stadt. "

Ich hoffe, auch jene, die mit Ballett bisher nichts am Hut hatten, haben jetzt eine Ahnung davon. Das Magdeburger Ballett-Publikum hat Gonzalo Galgueras Botschaft wohl verstanden und wählt ihn zum Vizemagdeburger des Jahres 2009.

Herzlichen Glückwunsch !