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Ballettdirektor Gonzalo Galguera ist Kandidat für den Titel " Magdeburger des Jahres 2009 " Ein tanzverrückter Weltbürger mit Zuhause in Neustadt

Von Katja Tessnow 03.12.2009, 05:51

Gonzalo Galguera leitet seit 2006 das Ballett am Theater Magdeburg. Wenn Tanzfreunde ihn schon jetzt als " Magdeburger des Jahres " gekürt wissen wollen, ist das eine hohe Respektbezeugung und zugleich Ausdruck einer Hoffnung – der Hoffnung, dass Galguera dem hiesigen Theater die Treue hält. Der 40-Jährige hat sich schnell viele Freunde in der Stadt gemacht. Dabei setzt er künstlerisch auf alles andere als auf schnelle Effekte. " Mein Herz schlägt für das Ziel, das Ballett Magdeburg zu einer der führenden Compagnien in Deutschland zu machen. "

Magdeburg. " Eine Wegwerfmentalität, eine, Kunst to go ‘ – ich hasse das ", sagt Galguera. Er meint einen Trend zur Kurzlebigkeit und zur Oberflächlichkeit in der Kunst und vor den Theatertüren sowieso. Ausschließlich unterhaltsame, aber beliebige Kost, dargereicht als nette, leichte Geste, das ist nicht die Sache des gebürtigen Kubaners. Ihm geht es um wirkliche Emotionen, Schmerzen, Ängste, Hoffnungen, um Erkennbarkeit und darum, dass das Publikum dem Ensemble und seinem Leiter tief in die Seele blicken kann, sich vielleicht auch daran reibt, was es da zu sehen bekommt. " Ich weiß um die Gefahr, in die man sich dann begibt. Man macht sich nackt. "

Bereits bei einer seiner Magdeburger Einstiegsinszenierungen als neuer Ballettdirektor (" Requiem "/ 2007 ) hielt Galguera nicht mit persönlichen Haltungen hinterm Berg. So verlegte er Mozarts Totenmesse kühn ins amerikanische Hochsicherheitsgefängnis Guantanamo. So etwas kann ins Plakative, Agitative, Missionarische abgleiten. Nicht, wenn einer so ehrlich selbst auf der Suche nach Antworten ist wie Galguera. Es war weit vor der Ära Obama weiß Gott nicht unstrittig schick, US-amerikanische Menschenrechtsfehlleistungen unterm Banner der Terrorismusbekämpfung zu geißeln.

Galguera macht sich erkennbar. Ein Wagnis. Das Magdeburger Publikum dankt es ihm.

Mit seiner jüngsten Produktion, dem Ballettabend " Heilig !", wagt sich Galguera auf nicht minder dünnes Eis. Was kann das Magdeburger Publikum, vielfach konfessionell ungebunden, mit getanzten Debatten über Religion und Gesellschaft anfangen ? Offenbar viel. Die Premiere – umjubelt. Die weiteren Vorstellungen – gut besucht. " Für so eine Inszenierung braucht es eine jahrelange innere Suche. So etwas macht man nicht mit links. " Galguera bekennt sich zum eigenen Ringen mit dem Hier und Heute, zur Suche nach einem Standpunkt in der Gesellschaft, nach Antworten. " Wenn hinterher Gäste zu mir kommen, sich dazu ihre eigenen Gedanken machen und mit mir diskutieren, dann bin ich glücklich und weiß, dass ich mir den richtigen Beruf ausgesucht habe. "

Es freut Galguera sehr, dass das Publikum sich mehr und mehr mischt. " Manchmal kommen Damen vom Einlassdienst und berichten vor Vorstellungsbeginn, da seien eine ganze Menge junge Menschen gekommen. " Die Begeisterung der Einlassdamen mag Indiz dafür sein, dass junges Publikum im Ballett nicht alltäglich ist oder es zumindest lange nicht war.

Auch Gonzalo Galguera war die Liebe zum Tanz übrigens nicht in die Wiege gelegt. 1969 wurde er auf Kuba in eine Ärztefamilie hineingeboren. " Mein Großvater versuchte mich als Kind für diesen Beruf zu begeistern. " Das misslang. Im Alter von 7 Jahren schickten ihn die Eltern auf eine Kunstschule mit Internat nach Havanna. Der kleine Galguera studierte drei Jahre Klavier und Saxofon. Die Liebe zur Musik und zu den Instrumenten ist geblieben, aber sie war offenbar nicht groß genug, keine Berufung. " Die Lehrer haben meine Eltern gewarnt, dass so aus mir nichts werden wird. " Am Anfang der Karriere – ein Versagen. " Man muss Fehler machen dürfen. Das ist sogar wichtig, um seinen Weg zu finden ", sagt Galguera heute und legt deshalb großen Wert auf eine langfristig angelegte Ensemblearbeit : " Es braucht viel Geduld und einen langen Atem, um eine Compagnie mit eigener Handschrift und Ausstrahlung zu formen, um ein wirkliches Werk zu erschaffen. Wir sind erst am Anfang. "

Weil Gonzalo – nun 10 Jahre – ein so agiler Bursche war, versuchten die Eltern es mit dem Ballett. Auch da dauerte es bis der Knoten platzte, " aber als ich ein junger Mann wurde, stand fest, ich will ein großer Tänzer werden ". Dann ging alles Schlag auf Schlag. Schon mit 13 strich Galguera den Vizetitel bei einem nationalen Choreografiewettbewerb ein. Nach Engagements als Tänzer in Kuba und Peru ging Galguera 1990 nach Europa, zunächst nach Madrid, dann an die Komische Oper Berlin.

Obwohl er 1998 offiziell die Tanzschuhe an den Nagel hängte und sich im Hauptberuf der Choreografie widmet, Galguera kann das Tanzen doch nicht ganz lassen. Er steht noch regelmäßig mit dem eigenen Ensemble auf der Bühne. " Ich werde heute keine köperlichen Höchstleistungen mehr bringen, aber ich brauche den Tanz als Meditation, als Suche. Außerdem gibt es, wenn ich mit dem Ensemble tanze, keine Hierarchie. Dann kämpfen wir alle für das gleiche Ziel, für zwei Minuten Applaus. "

1999 begann Galgueras Karriere (" Das Wort mag ich eigentlich nicht. ") als Ballettdirektor. Zunächst ( sehr erfolgreich ) in Dessau. Dort wurde der vormalige Magdeburger Intendant Tobias Wellemeyer auf ihn aufmerksam ; er holte ihn her. " Ich habe gleich gespürt, dass diese Stadt meine künstlerische Heimat werden kann. Ich hoffe sehr, dass man meine Handschrift am Theater weiter haben will. "

Galguera, nicht ein Tief-, aber schon gar kein Hochstapler, will nicht weniger, als die Magdeburger Compagnie zu einer führenden in ganz Deutschland machen. Dabei setzt er aufs klassische Handlungsballett wie auf neue, moderne Tanzstile, vor allem auf Offenheit. Stolz erzählt Galguera von Gastspielen im fernen Lateinamerika : " Da fragen die Leute zuerst : Magdeburg ? Dann sind sie begeistert, informieren sich im Internet, sind noch begeisterter. Plötzlich repräsentieren wir Deutschland, nicht Berlin, Hamburg oder München. "

Der Weltbürger Galguera ist in Magdeburg angekommen auch ganz privat mit Hauptwohnsitz, Lebenspartner und Katze. " Kuba bleibt meine Heimat, aber Magdeburg ist mein Zuhause geworden. Ich wohne in Nord, Neue Neustadt, mittendrin zwischen Arbeitslosen, Ausländern, ganz normalen Leuten ... Ich fühle mich hier pudelwohl. Ich bin neben dem Theater ein häuslicher Typ. Ich habe hier meine Freunde, meinen Bäcker, meine Elbe. " Und Gonzalo Galguera hat hier ein Publikum gefunden, das er sehr schätzt : " Es sage niemand, die Leute hier seien oberflächlich. Meine Erfahrung ist eine ganz andere. Unser Kontakt ist innig. Wir wachsen zusammen. "