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Kaffeehauskultur Courage und Kaffee auf der Speisekarte

Die Volksstimme sucht den „Magdeburger des Jahres“. Zu den Kandidaten gehören die Kaffeehausbetreiber Karolin Köppe und Andreas Bellini.

03.12.2014, 11:05

Magdeburg l Kaffee genießen, entspannen, sich treffen, Zeitung lesen, hier und da kulturelle Events - so in etwa sieht die Idealvorstellung von Karolin Köppe und Andreas Bellini aus, wenn sie an ein Kaffeehaus denken. Und so lautet auch das Credo für das Café der beiden Wirte. Er, der gebürtige Potsdamer, Koch, Betriebswirtschaftler und Weltenbummler in Sachen Gastronomie. Sie, die studierte Grafikdesignerin mit Wurzeln in Magdeburg. Beide lernen sich kennen und lieben - und beide verschlägt es bei der Suche für einen Neustart mit einem Kaffeehaus im Juni 2013 aus Berlin nach Magdeburg in die Guerickestraße 66 - weil die Stadt aufbricht, weil die Kaffeehausszene überschaubarer ist und die Bedingungen fu¨r Neugründungen gut sind.
Nun also sitzen sie in ihrem kleinen, aber feinen Kaffeehaus "Strudelhof" mit 35 Plätzen und leben ihren Traum vom Kaffee genießen, Zeitung lesen und Entspannen - wohlgemerkt nicht fu¨r sich, sondern für ihre Kundschaft. "Wir sehen uns als Treffpunkt verschiedenster Generationen, ganz normal - vom Studenten, Rentner, Ku¨nstler, Familien, so wie im typischen Wiener Kaffeehaus." Was aber ist normal? Nazis, Ausländerfeinde, Menschenhasser, Hetzer - sie sind es jedenfalls nicht, diese "normalen" Magdeburger - und doch gibt es sie. In der Nacht zum 15. Januar 2014 wird das den Neu-Gastronomen vorgefu¨hrt. Unbekannte beschädigen das Schaufenster des Kaffeehauses mit einem Stein. Die Scheibe splittert, hält aber. Ein Zettel im Schaufenster hatte wohl provoziert. Unter einer Hitler-Karikatur stand "Kein Kaffee fu¨r dich und deine Freunde" sowie die Mitteilung, dass an dem Tag das Kaffeehaus geschlossen bleibt, da die beiden an der Gegendemonstration teilnehmen. Es war ihr persönlicher Protest gegen den Naziaufmarsch in Magdeburg und rechte Tendenzen in der Gesellschaft. "Wir waren erst geschockt, aber wir haben auch gleich gesagt: Wir lassen uns nicht einschu¨chtern", erinnern sich beide an jenen Tag und sagten sich damals: Jetzt erst recht!
Angeregt von einer ähnlichen Idee in Regensburg gehen Andreas Bellini und Karolin Köppe in die Offensive statt in den Ru¨ckzug. Sie u¨bertragen die Aktion "Wir servieren Zivilcourage" von Regensburg nach Magdeburg und scharen andere Magdeburger Gastronomen um sich. Nicht zufällig zum Weltfriedenstag im September 2014 starten sie mit ihrer Aktion in die Öffentlichkeit. Seither werben Aufkleber an der Tu¨r. Die Botschaft: Hier wird Zivilcourage und Kaffee serviert. 10 Restaurants, Kneipen, Cafés und kulturelle Institutionen aus der City schlossen sich der Aktion an. Seither stehen die beiden mit ihrem kleinen Kaffeehaus in großer Verantwortung. Mut und Zivilcourage sind das eine. Betriebswirtschaftliche Zwänge das andere. Zivilcourage deckt schließlich weder Betriebskosten noch Kredite, von Gewinn gar nicht zu reden.
Trotzdem: "Wir haben keinen Moment daru¨ber nachgedacht, ob uns so eine symbolische Aktion irgendwie schaden könnte", sagt Andreas Bellini. Portugal und Österreich gehörten schon zu seinen Stationen. Da war er selbst Ausländer. Hier ist es jetzt umgekehrt. Und hier will er mit seiner Partnerin ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass setzen. Wahrgenommen wird die Aktion. Gäste berufen sich darauf und bestärken die Inhaber. Aber es gibt auch das Gegenteil: Am Schaufenster läuft auch schon mal jemand provozierend mit dem Hitlergruß vorbei.
Aktion mit Symbol für alle Lebensbereiche
"Magdeburg ist eine sehr schöne Stadt im Aufbruch, mit Entwicklung. Die u¨berlassen wir nicht solchen Leuten", sind sich Karolin Köppe und Andreas Bellini trotzdem und gerade deswegen einig. Und sie wissen, dass der Kampf nicht leicht ist. Einige angesprochene Restaurants lehnten ihre Anfrage bei der Aktion mitzumachen ab. "Wir akzeptieren das natürlich. Es zeigt aber auch, dass das Klima hier noch nicht so ist wie es sein sollte", sagt Karolin KöppeUnd genau deswegen servieren sie auch in Zukunft Zivilcourage und Kaffee in einem und hoffen noch mehr Nachahmer zu finden - nicht nur in der Gastronomie. Ihre Aktion verstehen sie als Symbol. Zivilcourage könne schließlich jeder jeden Tag im privaten Leben servieren. Eine klare Meinung fu¨r Toleranz und Demokratie könne ein Anfang sein, sind sich beide sicher.
Mehr über die Magdeburger des Jahres und ein Online-Wahlbüro unter www.volksstimme.de/magdeburgerdesjahres