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Einen Tag zu Gast im Bischof-Weskamm-Haus in Magdeburg Damit die Familie mal durchatmen kann: Tagespflege statt Heimaufenthalt

Von Bernadette Olma 27.06.2008, 15:01

Magdeburg. Wird ein Angehöriger zum Pflegefall, steht die Familie vor einer schweren Entscheidung: Pflegeheim oder Pflege in der Familie? Das Konzept der Tagespflege bietet einen Mittelweg. Pflegebedürftige verbringen ihren Tag in der Einrichtung, kehren aber allabendlich in die gewohnte Umgebung zurück. Ein Besuch im Bischof-Weskamm-Haus am Magdeburger Marienstift.

Seit gut einem Jahr ist im Leben der Zimmermanns nichts mehr so, wie es war. "Den 5. März 2007 werde ich mein Leben lang nicht vergessen", sagt Renate Zimmermann (70). Sie sitzt in der Sofa-ecke im Wohnzimmer des Bischof-Weskamm-Hauses, einer Einrichtung der Caritas-Trägergesellschaft St. Mauritius (ctm). Ihr Blick ist auf das Esszimmer gerichtet. Am Tisch sitzt ihr Mann. Den Oberkörper nach vorn gebeugt. Ganz langsam greift er nach einem Glas Wasser. Für ihn ein Kraftakt.

Das war nicht immer so. Der heute 72-Jährige war, was man einen rüstigen Rentner nennt. Das Leben des Ehepaars sorgenfrei und unbeschwert. Bis der ehemalige Maschinenbauschlosser im März des vergangenen Jahres einen schweren Schlaganfall erlitt. "Von da an war alles anders", sagt seine Frau. "Plötzlich ist man ganz allein." Die Ärzte haben ihr damals dazu geraten, ihn in ein Pflegeheim zu geben. "Das habe ich nicht übers Herz gebracht." Sie hat sich nach Alternativen umgeschaut und sich letztlich für die Tagespflege des Bischof-Weskamm-Hauses in Magdeburg entschieden, ein Baustein des Einrichtungsverbundes, zu dem auch Pflegeheim, betreutes Wohnen und Sozialstation gehören.

Dreimal die Woche kommt Kurt Zimmermann hier her. Tage, an denen seine Frau auch mal durchatmen kann. Die restliche Woche über betreut sie ihn zu Hause. "Er ist wie ein Dreijähriger, muss gefüttert, gewindelt und permanent beaufsichtigt werden." Mit der Tagespflege sei es aber schon deutlich besser geworden. "Er macht Fortschritte. Eingestiegen ist er mit der Pflegestufe II, wurde aber nach einigen Monaten ob der positiven Entwicklung heruntergestuft", sagt Renate Zimmermann.

Es ist Zeit für die Stuhlgymnastik. Kurt Zimmermann folgt der Ergotherapeutin Astrid Harenberg ins Foyer. Er sucht sich ein Plätzchen im Stuhlkreis. Aus dem CD-Spieler klingt leise Musik. Astrid Harenberg macht die Übungen vor. Schulternkreisen, Fingertraining und mit den Beinen strampeln wie beim Fahrradfahren – Übungen, die das Koordinationsvermögen und den Bewegungsapparat trainieren.
Sport ist ein wichtiger Bestandteil im Konzept der Tagespflege. "Viele der Gäste leiden unter Demenz. Denen sind die normalen Bewegungsabläufe nicht mehr vertraut", sagt Christiane Grosewa, Leiterin der Tagespflege. Deshalb werden auch Handgriffe im Haushalt regelmäßig geübt. Sie trennen die Wäsche, befüllen gemeinsam die Waschmaschinen oder gießen die Blumen im Garten. "Es ist wichtig, dass die Gäste eine Aufgabe haben." So haben sie das Gefühl, gebraucht zu werden, sagt Schwester Christiane, wie sie von allen genannt wird.

Kurt Zimmermann hat sich in eine der vielen gemütlichen Ecken im Bischof-Weskamm-Haus zurückgezogen. Die Morgengymnastik hat ihn geschafft. Vor ihm auf dem Tisch liegen viele Puzzleteile. Einige wenige hat er schon zusammengefügt. Zuletzt hat er eine Vorlage mit Korken beklebt. Ein halbes Jahr hat es gedauert, bis der Baum fertig war. Auch Laubsägearbeiten und Gartenarbeit gehören zu den liebsten Beschäftigungen des 74-Jährigen.

In der Küche wird das Mittagessen vorbereitet. Es gibt Fisch. Gäste und Personal decken gemeinsam den Tisch ein. "Das dauert länger, als wenn wir das allein machen würden. Aber auch das gehört zum Training", sagt die Leiterin. In regelmäßigen Abständen kochen die Gäste ihr Lieblingsgericht oder sind zumindest an der Zubereitung beteiligt.

An jedem Platz steht ein Schild aus Papier. Darauf ist der Name vermerkt. Auf dem von Kurt Zimmermann steht noch das Wort Apfelschorle. "So weiß jede Mitarbeiterin, was das Lieblingsgetränk des jeweiligen Gastes ist." Denn auf den Flüssigkeitshaushalt wird ganz genau geachtet. 1,3 Liter soll jeder Gast pro Tag trinken. "Die Senioren, die außerhalb der Tagespflege alleine leben, vergessen das Trinken gern," sagt Christiane Grosewa.

Für sie ist die Einrichtung "das Bonbon" der Altenpflege. Wer seinen Beruf liebt, kann das hier in vollen Zügen auskosten. "Wir können uns Zeit nehmen, Gespräche führen und leisten im Voraus Biografie-Arbeit. Wir kennen jeden Gast sehr genau." Das sei auch deshalb wichtig, weil viele Demenzkranke sich in Phasen ihres Lebens versetzt fühlen, die mitunter mehr als 50 Jahre zurückliegen. "Wir holen die Menschen dann dort ab."

Auf der Anrichte in der Sofaecke stehen gerahmte Fotos. Sie zeigen Verstorbene. Ehemalige Gäste der Tagespflege. Menschen, die den Pflegerinnen besonders ans Herz gewachsen sind. Ein bisschen wie in der heimischen Schrankwand. Überhaupt erinnert die Einrichtung mehr an eine Privat-Wohnung als an eine Pflegeeinrichtung. Frische Blumen. Einige antike Möbelstücke.

Die Krankheitsbilder reichen von Depressionen bis hin zu schwerer Alzheimer. "Wir haben hier eine Frau, die alljährlich eine sogenannte Herbstdepression hatte und sich regelmäßig selbst eingewiesen hat. Seit sie zu uns kommt, geht es ihr viel besser." Die Plätze sind für Gäste der Pflegestufen eins bis drei vorgesehen. Trotzdem bleiben sie manchmal auch, obwohl es nicht mehr geht. "Wir bringen es dann einfach nicht übers Herz, sie wegzuschicken."

15 Tagespflegeplätze gibt es im Bischof-Weskamm-Haus. Zurzeit sind alle belegt. Die Warteliste ist lang. Die Kosten für den Platz sind von Gast zu Gast verschieden und hängen von der Pflegestufe ab: "Bei Herrn Zimmermann sind es 21,70 Euro pro Tag, die von der Kasse komplett übernommen werden", sagt Christiane Grosewa. Bei Pflegestufe II wären es 39 Euro und bei der dritten Stufe 50,50 Euro. "Davon werden zum Beispiel Medikamentenvergabe, Toilettengänge und ergotherapeutische Behandlung bezahlt." Die sogenannten Hotelkosten für die Verpflegung (13,69 Euro pro Tag) muss jeder selbst aufbringen.

Wer es sich leisten kann, der kommt von Montag bis Freitag in die Einrichtung. "Einige kommen täglich, andere nur zweimal die Woche. In der Regel bleiben sie acht Stunden hier und werden danach von unserem Fahrdienst wieder nach Hause gebracht." Darin liegt auch der Vorteil gegenüber einem Leben im Pflegeheim: "Die Menschen bleiben in ihrem vertrauten Umfeld. Und für die Angehörigen ist es eine große Entlastung."