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Regionalstudie Wie die Sachsen-Anhalter ticken

12.02.2014, 01:20

Das Verlagshaus "Mediengruppe Magdeburg" - Herausgeber der Volksstimme und des General-Anzeigers - stellt in den nächsten Tagen eine der größten bislang in Sachsen-Anhalt erarbeiteten Regional-Analysen vor. Redakteur Oliver Schlicht sprach darüber mit dem Projekt-Bevollmächtigten Torsten Bühring.

Volksstimme: Herr Bühring, Umfragen werden fast täglich in Deutschland veröffentlicht. Was unterscheidet die MM-Regioscan-Analyse von anderen Befragungen?

Torsten Bühring: Viele Studien haben eine sehr kleine Fallzahl. Oftmals wird mit 300 oder 400 Interviews gearbeitet. So erstellte Informationen sind nicht immer sehr sicher. Was unsere Studien einmalig macht, ist zum einen die Anzahl von 2576 Interviews, die geführt wurden. Das ist jeder 344. Bewohner ab einem Alter von 14 Jahren im mittleren und nördlichen Sachsen-Anhalt. Zum anderen erheben viele Studien bundesweite Informationen. Wir haben uns auf lokale Daten konzentriert und gezielt das erfragt, was uns und unseren Partnern, der Magdeburger IHK und der Handwerkskammer, wichtig war. Und das sind immerhin 180 verschiedene Themenbereiche.

Volksstimme: Die Interviews wurden 2013 in vier Monaten geführt. Wie wurden die 2576 Gesprächspartner ausgewählt?

Bühring: Insgesamt wurden die Personen aus einem Kreis von genau 886.281 Menschen im Umfragegebiet ausgewählt. Die jüngsten waren 14 Jahre alt. Wir haben aber auch einen 90-Jährigen interviewt. Ausgewählt wurde nicht einfach jeder 344. Passant, der aus dem Bahnhof kam. Gemeinsam mit dem Hamburger Marktforschungsinstitut BIK wurden Menschen ausgesucht, die unsere Region repräsentieren. Es kommen alle Bevölkerungsschichten, Bildungsabschlüsse, Einkommensklassen, Geschlechter, Wohnorte und so weiter vor.

"Man bildet sich ein, die Menschen zu kennen. Aber das ist nur so ein Bauchgefühl."

Volksstimme: Warum wird ein solcher Umfrage-Aufwand betrieben? Lohnt sich das? Gerade in solchen Nah-Regionen wie im Volksstimme-Verbreitungsgebiet sollten die Befindlichkeiten der Menschen doch halbwegs bekannt sein?

Bühring: Man bildet sich ein, die Menschen zu kennen. Aber das ist nur so ein Bauchgefühl. Tatsächlich hat man zu vielen Menschen überhaupt keinen Kontakt. Leute, die in kleinen Gemeinden mit 2000 Einwohnern in der Altmark wohnen, die gestalten ihren Alltag ganz anders, haben andere Gewohnheiten als Stadtbewohner. Solche Daten zu erheben, ist für ein Medienhaus, wie wir es sind, deshalb sehr wichtig. Aber auch für Planer, Landratsämter, Unternehmer, Händler und viele andere.

Gerade zum Beispiel kleine Einzelhändler haben solche Daten nicht. Die arbeiten vielfach auch aus dem Bauchgefühl heraus. Man kann zwar die Kunden an der Kasse oder auf dem Parkplatz befragen. Aber die Gründe, warum andere Menschen überhaupt nicht im Geschäft ankommen, erfährt man auf diese Weise nicht.

Volksstimme: Nennen Sie ein Beispiel aus der Daten-Analyse: Was hat Sie denn zum Beispiel am Altmärker, der in der 2000-Seelen-Gemeinde lebt, überrascht?

Bühring: Der Altmärker fällt zum Beispiel dadurch auf, dass er beim Möbelkauf vorher sehr genau alles plant. 92 Prozent der Altmärker kaufen nicht spontan Möbel ein. 21 Prozent der Magdeburger gehen dagegen spontan los und kaufen Möbel. Der Altmärker bezieht auch gern Freunde und Bekannte in die Möbelkauf-Planung mit ein. Der Katalog allein reicht ihm nicht. Das war für mich schon ungewöhnlich, dass man andere Menschen so intensiv in die Lebensplanung mit einbezieht. Von mir selbst kenne ich das zum Beispiel nicht.

Volksstimme: Der "mm regio-scan" hat fünf Befragungsgebiete unterschieden: Harz, Börde, Altmark, Magdeburg und der süd-östliche Elbe-Fläming-Raum. Gibt es in den grundsätzlichen Lebensverhältnissen der Menschen Unterschiede zwischen diesen Regionen?

Bühring: In Magdeburg - aber das war sicher zu erwarten - ist das Einkommen höher und die Menschen sind jünger. Der Harz ist unserer Studie zufolge die Region, die am kritischsten zu sehen ist. Es gibt mehr alte Menschen und die Einkommen liegen unterhalb des Durchschnitts. Überrascht hat uns, dass die Menschen in der Börde größere Zukunftsängste haben als anderswo. Und das, obwohl die Börde-Bewohner laut Studie am jüngsten sind und das höchste Einkommen haben.

Volksstimme: Eigentlich wird ja die Altmark häufig wegen hoher Abwanderungsraten mit Zukunftsangst in Verbindung gebracht. Hat sich das bestätigt?

Bühring: Nicht direkt. Die Altmark ist sehr zweigeteilt. Der Landkreis Stendal hat tatsächlich große Probleme. Zum Beispiel gibt es für Frauen schlechte Beschäftigungsmöglichkeiten. Fünf Prozent der angestellten Frauen pendeln zur Arbeit nach Magdeburg. Die Menschen dort sind überdurchschnittlich unzufrieden mit den Verkehrswegen und dem öffentlich Nahverkehr. Die Bewohner der West-Altmark verdienen besser, das macht sie zufriedener.

Allerdings müssen sie überwiegend nach Niedersachsen zur Arbeit fahren. Etwa 27 Prozent der Männer pendeln täglich auch in weit entfernte Orte wie Braunschweig und Hannover.

Volksstimme: Ist der Ost-Harz ähnlich eng mit dem niedersächsischen West-Harz verzahnt, was Berufspendler betrifft?

Bühring: Die Ost-Harzer pendeln mehr nach Magdeburg und in Richtung Börde. Und das nicht nur bei der Arbeit. Auch beim Einkaufen gibt es bei den Ost-Harzern wenig Ambitionen in Richtung Niedersachsen.

Volksstimme: Die Mediengruppe Magdeburg als Herausgeber der Umfrage hat natürlich auch die Mediennutzung der Sachsen-Anhalter interessiert. Große Regionalzeitungen wie die Volksstimme stehen im Wettbewerb mit kostenlosen Internetangeboten. Wie schlägt sich die Tageszeitung?

Bühring: Also die Studie hat gezeigt, dass die Befragten sehr stark an regionalen Informationen interessiert sind. 79 Prozent vertrauen da der Tageszeitung. Das ist der höchste Wert aller Medien. Und wohl gemerkt: Unter den repräsentativ ausgewählten Befragten sind auch viele Nicht-Abonnenten von Zeitungen. 22 Prozent informieren sich im Internet über lokale Nachrichten.

"Radio wird gern gehört. Es wird aber primär als Unterhaltungsmedium wahrgenommen."

Volksstimme: Welche Rolle spielen das regionale Radio und Fernsehen?

Bühring: Radio wird gern gehört. Viele haben angegeben, dass sie den ganzen Tag irgendwo Radio hören. 87 Prozent geben das Radiohören als wichtige Freizeitaktivität an. Bei lokalen Nachrichten wird Radio nicht so hoch bewertet. Es wird primär als Unterhaltungsmedium wahrgenommen. Das regionale Fernsehen wird von 51 Prozent als wichtiges Nachrichtenmedium eingeschätzt. Im Ranking der Nachrichtenkompetenz rangiert das regionale Fernsehen nach der Tageszeitung und dem Radio in unserer Umfrage auf dem dritten Platz.

Volksstimme: Der Datensatz der MM-Regioscan-Umfrage ermöglicht theoretisch Aussagen von 2,3 Millionen verknüpften Informationen. So etwas kann man ja schlecht in einem Buch drucken. Wie werden die Daten veröffentlicht und wer kann sie abrufen?

Bühring: Wir sind selbst noch dabei, die Daten zu sichten, weil sie so umfangreich sind. Wir werden ab Ende Februar bei Veranstaltungen in Magdeburg, Stendal und Wernigerode geladenen Gästen Ergebnisse der Befragung vorstellen. Und wir werden einen Teil der Daten ab März im Internet präsentieren.

Volksstimme: Wie funktioniert der Daten-Abruf im Internet?

Bühring: Die Daten sind mittels eines speziellen Tools auf der Webseite filterbar und werden im Laufe des Jahres stetig vervollständigt. Dort kann der Nutzer über eine grafische Oberfläche spezielle Parameter wie zum Beispiel Alter, Einkommen, Geschlecht, Region oder Brancheninformationen verknüpfen, um seine gewünschte Zielinformation abzurufen. Über diese Webseite können die Nutzer Kontakt zu uns aufnehmen, um sehr detaillierte Informationen zu bekommen. Diese sind dann allerdings kostenpflichtig.

Volksstimme: Wer ist das Zielpublikum dieses Tools. Ist das die breite Öffentlichkeit oder eher Wirtschaftsexperten?

Bühring: MM-Regioscan ist in jedem Fall interessant für Entscheidungsträger der Wirtschaft in unserer Region, weil man in diesen Daten Pendlerströme der verschiedenen Wirtschaftszweige gut einsehen kann. Händler können Kaufinteressen, Kaufinformationen und Käuferbewegungen sehr gut erkennen. Für den normalen Nutzer ist das auch interessant, aber er ist nicht der erste Adressant von MM-Regioscan.

"Die Volksstimme und der General-Anzeiger werden regelmäßig Daten veröffentlichen."

Volksstimme: Sicherlich auch deshalb, weil die Datensätze nicht gänzlich frei verfügbar abrufbar sind?

Bühring: Ganz genau. Tiefere Analysen aus den Daten erfordern einen hohen Arbeitsaufwand. Interessenten werden wir entsprechende Angebote unterbreiten. Das gilt auch für Fachvorträge, die unsere Experten themenbezogen anbieten werden. Ein Teil der Daten wird aber über das Online-Tool auch für alle Interessenten frei abrufbar sein. Auch wird die Mediengruppe Magdeburg in den nächsten Wochen über die Volksstimme und den Generalanzeiger regelmäßig Datenauszüge, die von allgemeinem Interesse sind, veröffentlichen.

Volksstimme: Die Mediengruppe Magdeburg hat nicht zum ersten Mal eine große Regional-Analyse erstellen lassen. Wie ordnet sich diese neue Umfrage in die bisher erstellten ein?

Bühring: Die aktuelle Regionalanalyse MM-Regioscan ist mit deutlichem Abstand die größte Befragung dieser Art, die von unserem Verlagshaus je unternommen wurde. Es gibt auf dem Markt aktuell auch keine vergleichbar aufwändige Studie, die das Lebensumfeld der Menschen im nördlichen und mittleren Sachsen-Anhalt beschreibt. Es ist bereits die fünfte Studie, die wir seit 1996 gemeinsam mit dem Hamburger Marktforschungsinstitut BIK unternommen haben. Das ist insofern wichtig, weil wir auch auf alte Daten zurückblicken und analysieren können, wie sich die Einstellungen der Menschen im Laufe der Zeit verändert haben.