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Neunter und letzter Teil der großen Volksstimme-Serie Mild, makellos, sanft – sie ist erlöst

Von Caroline Vongries 17.04.2009, 09:31

Jahrhunderte verehrt wie eine Heilige. Editha (910-946), Frau von König Otto dem Großen, ist untrennbar mit der Geschichte von Magdeburg und Sachsen-Anhalt verbunden.

Die Volksstimme geht in einer großen Serie auf Spurensuche. Lesen Sie den neunten und letzten Teil der Serie: Abschied von Editha.


Es ist der 26. Januar 946. Editha auf dem Sterbebett in ihren Gemächern in der Königspfalz. Es ist Winter. Das Licht ist rar, die Tage sind kurz, die Feuer brennen ununterbrochen. Doch ihr wird nicht mehr warm. Ein letzter Blick auf die geliebte Elbe, die Stadt, lange schon Heimat geworden. Den Kindern den Segen geben. Liudolf, 16, fast schon so alt wie Otto, als sie ihn das erste Mal sah. Luitgard, mit 12 fast so alt wie die Schwester damals, als sie beide aufs Festland kamen. In dieses neue Leben. Den Schmerz der Kinder sehen. Nicht mehr zuständig sein. So vielen hat sie Trost spenden können. Auch Sterbenden. Vorbei jetzt auch das. Sie hört die vertraute Stimme des Paters: "Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag." Das Sterbesakrament. Die Frauen singen. Dann das große Licht.

Der Tod kam plötzlich und unerwartet
Die Königin des sich nur zäh konsolidierenden Ostfrankenreichs stirbt plötzlich und unerwartet. "Der König aber empfing auf der Jagd, auf der er sich etwas zu erholen hoffte, die tödliche Schmerzenskunde", schreibt Thietmar von Merseburg.

Otto war in den letzten Stunden seiner Gattin nicht zugegen. Das muss er als bitter empfunden haben. Seine heftige Trauer ist überliefert. "Er muss sie sehr geliebt haben", sagt Landesarchäologe Harald Meller. Vier Jahre lang habe der mächtige König nicht wieder geheiratet. Bemerkenswert im Hinblick auf die Bedeutung der Königin für die soziale, spirituelle und politische Ordnung des Reichs. Für die Memoria seiner Editha ist Otto kein Aufwand zu schade. Überaus große Schenkungen an diverse Klöster sind dokumentiert. Nach unseren Maßstäben ist Editha jung gestorben, nach Rechnung des Mittelalters waren 36 Jahre ein durchaus normales Lebensalter. "Man starb damals so schnell", erklärt der Leiter des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, Professor Matthias Puhle, "ein einfacher Virus war ausreichend." Lungenentzündung? Vielleicht sind die harten Belastungen der ersten zehn Amtsjahre nicht spurlos an der Powerfrau vorbeigegangen.

Edithas Leben war reich und bewegt. Seit ihrem Aufbruch aus Winchester als junge Frau 17 Jahre zuvor hatte sie einen langen Weg hinter sich. Ständig beschäftigt, dem fremden Land ein menschliches Gesicht zu geben. Das Todesdatum wird unterschiedlich angegeben. Thietmar von Merseburg und Widukind von Corvey nennen beide den 26. Januar 946. Andere sprechen vom 29. Januar. An diesem Tag soll das feierliche Begräbnis stattgefunden haben. "Ihr Leichnam wurde in der genannten Stadt in der Hauptkirche im nördlichen Betraum bestattet." Ein Volkstrauertag im sächsischen Reich. Hrotsvith, die dichtende Kanonisse, verfasst ein Totengedicht. Widukind von Corvey berichtet von "einem Trauerfall für das ganze Volk" und von "Klagen und Tränen aller Sachsen". Er schreibt von der "neuen Basilika". Dort liege Editha im nördlichen Schiff. Gemeint sein muss das zum Mauritiuskloster gehörende Gotteshaus.

Endgültig Ruhe gibt es für Editha und ihre sterblichen Überreste bis heute nicht. Als Otto 973 in der Pfalz Memleben bei Naumburg stirbt, verfügt er in dem von ihm erst nach Edithas Tod erbauten Dom begraben zu werden, neben seiner ersten Frau. Damals ist vermutlich die erste Umbettung erfolgt. 1207, Karfreitag, der ottonische Dom ist gerade prächtig ausgemalt, folgt der verheerende Brand. Man beginnt den Neuaufbau der Kathedrale am heutigen Platz. Was geschieht mit den kostbaren Gräbern der Prominenz, für deren Memoria man verantwortlich ist? Fest steht: 1510 lässt Erzbischof Ernst II. von Sachsen jenen Steinsarkophag der Editha herstellen, den man in den vergangenen Jahrzehnten fälschlicherweise für ein Scheingrab, einen Kenotaph, gehalten hat. Mittlerweile ist die Bleikiste mit den (mutmaßlichen) Gebeinen der ostfränkischen Königin entdeckt worden. Doch das Geheimnis um die Grabstätte ist noch nicht gelüftet. Gerade das zweite Grab, das das Team von Grabungsleiter Rainer Kuhn erst vor einigen Wochen im Fundament des Doms gefunden hat, hat sein Geheimnis noch nicht preisgegeben. Ist das Grab unter dem Grab die originale Begräbnisstätte? Noch ist auch die Identität der sterblichen Überreste der Editha nicht bestätigt. Die Untersuchungen der sorgfältig eingewickelten Knochen, Zähne, des Substrats und der Textilien dauern an, bestätigt Landesarchäologe Harald Meller. Dennoch will es keiner, auch kein Wissenschaftler, für wahrscheinlich halten, dass es sich nicht um Editha handeln könnte.

Wer sonst sollte in ihrem Grab gelegen haben? Eingeweihte, die sich von dem spektakulären Fund nicht überrascht zeigen und behaupten, sie hätten es immer schon gewusst, gibt es bekanntlich ebenfalls. Tatsächlich sprechen Dokumente bis zum Jahr 1929 keineswegs von einem Kenotaph, einem Scheinsarg, sondern stets von einer "Grabstätte", einer "Tumba", oder einem Sarkophag. Ob B. Hanstmann 1909 in seinem Führer durch den Magdeburger Dom oder Walter Greischel 1929. Selbst Helga Möbius schreibt noch zu DDR-Zeiten 1976 vom Grabmal. Wie kommt das Gerücht vom Kenotaph in die Geschichte? Fragen über Fragen.

Ein Verschlag, der Neugierige fernhält
Betreten verboten. Magdeburger Dom, Chorumgang, März 2009. Die Stelle, an der sich fast 500 Jahre lang das Grab der Editha befunden hat, ist nicht mehr zugänglich. Der Ort, auf den der ganze Dom zuläuft, ist "eingehaust", so nennen die Denkmalpfl eger das Vorhandensein des grau gestrichenen Verschlags, der Neugierige fernhält. Zuletzt hat man den Sarkophag nach dem Zweiten Weltkrieg auf diese Art abgeschirmt. Grabungsleiter Rainer Kuhn öffnet die Tür zu den Gemächern der abwesenden Königin. Allgegenwärtiger Sandstein reflektiert das Sonnenlicht. Am Rand des Chores, zum Altarraum hin, stehen Gerüste. Dazwischen Werkzeug: Harken, Kratzer, Schaufeln, Besen, Rechen, Handschuhe. Eine Baustelle. Der Steinsarkophag der Editha liegt in mehreren großen Teilen verstreut im Hohen Chor. Dort, wo er sich seit 1510 befand, genau auf der Mittelachse des Doms, ist jetzt eine Grube. Darin, eine halbe Mannshöhe unter dem Fußboden: das erst danach gefundene ältere Grab. Ungeöffnet. Wo ist Editha? Ich will die lebensgroße Relieffigur auf dem Sarkophagdeckel sehen.

"Warten Sie", sagt der Grabungsleiter, "sie liegt dort in der Nische." Rechts vom Kilianalter, auf dem seit Jahrhunderten an Feiertagen stets eine Kerze für Editha brennt, liegt der 1,6 Tonnen schwere Deckel. Ein weißes Leintuch bedeckt den Körper aus Stein, dessen Formen sich deutlich abzeichnen. Als liege sie tatsächlich hier aufgebahrt. Kuhn nimmt das Tuch ab. Bei aller Routine liegt in der Bewegung etwas Liebevolles. "Das ist Editha", sagt er, "wie sie sich die Nachwelt Anfang des 16. Jahrhunderts vorgestellt hat: mild, makellos, sanft." Editha schaut mit steinernen Augen. Nach innen. Sie ist erlöst. Was will, was kann sie uns heute sagen? Eine wiederentdeckte weibliche Führungsfigur, die inspiriert: Regierungsverantwortung nicht als Machtausübung über andere zu begreifen, sondern als Fürsorge für die Menschen. Sie hat in ihrem Jahrhundert Zuversicht und Tatkraft bewiesen angesichts einer ungewissen Zukunft und sich auflösender alter Ordnungen. Editha kann für das Verbindende stehen. Menschlichkeit. Teilen. Für ein Bild, dass Frauen und Männer Seite an Seite kämpfen. Die Königin schweigt. Sie kann uns nur an das erinnern, was in uns selbst ist. "Sind Sie fertig?", fragt Kuhn. "Fassen Sie bitte mit an." Gemeinsam ziehen wir das Laken wieder auf die steinerne Figur. Mir ist feierlich zumute. Zumindest mir hat die Geschichte der Prinzessin aus Westsachsen, die sich so tief in Magdeburg verwurzelt hat und hier zur Königin geworden ist, auch die Stadt ihres Herzens näher gebracht: Editha, das ist auch die Liebe zu Magdeburg, zu dieser Region, diesem Land. Bewusstsein vergangener Größe, verbunden mit heutigem Wissen um spätere Brüche und die gleich zweifach erlebte Vernichtung.

Im Dreißigjährigen Krieg und am 16. Januar 1945.
Aus den Gesichtern der Magdeburgerinnen und Magdeburger hat ein russischer Maler vor einigen Jahren die Züge Edithas und Ottos herausgelesen und daraus moderne Ikonen gemalt. Editha. Das sind mehr als tausend Jahre Liebe der Magdeburger zu ihrer Königin. Nachdem Editha, wie wir zumindest annehmen dürfen, die zehn Jahrhunderte und 63 Jahre seit ihrem Tod immer hier vor Ort, im Dom von Magdeburg, zugegen war, muss sie jetzt nur noch wieder zurückkommen. Und erneut bestattet werden. Es ist ihr und uns zu wünschen, dass wir ihr würdig begegnen.