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Abschied vom Europaparlament Schnellhardts Fußspuren in Europa

Für Horst Schnellhardt war die europäische Politik zwei Jahrzehnte lang
Lebensinhalt. Der Abschied als EU-Abgeordneter fällt ihm sichtlich
schwer.

Von Steffen Honig 08.05.2014, 03:20

Magdeburg l Das Ritual gehörte in der Volksstimme-Redaktion jahrelang zum Weihnachtsfest wie der Baum. Wenige Tage vor Heiligabend spazierte ein gesetzter freundlicher Herr durch die Schreibtischreihen, verteilte Marzipan-Taler und machte Station in der Chefredaktion. Neue Kollegen fragten baff: Wer war das denn? Nun, im nächsten Jahr wussten sie Bescheid, wenn Horst Schnellhardt wieder mit den süßen Talern heran war.

"Man muss als Europaabgeordneter immer wieder auf sich aufmerksam machen", kommentiert Schnellhardt seine Marzipan-Aktion lächelnd: "Keiner nimmt wahr, was wir an Arbeit leisten." Also habe er die Taler mit Brüssel-Motiven als symbolische Erinnerung an sein Wirken auf eigene Kosten bei einem Lübecker Marzipan-Produzenten bestellt. Ein Dauerauftrag für Jahre - und selbst finanziert, wie der Christdemokrat betont, den seine Partei nicht wieder für die Europawahl aufgestellt hat.

"Für einen Ostdeutschen ist das ein besonderer Sprung gewesen"

Seine letzte Parlamentssitzung in Straßburg liegt hinter ihm. Zum letzten Mal hat er im Plenum gesprochen. Der Büroschlüssel ist abgegeben. Da sei schon Emotion im Spiel, sagt Schnellhardt. Doch überwiege der Stolz, in dieser "exponierten Position" 20 Jahre lang tätig sein zu können. "Für einen Ostdeutschen ist das ein besonderer Sprung gewesen."

Wohl wahr: Bis zur Wende in der DDR hatte sich Schnellhardt weniger mit Europa und mehr mit Halberstädter Würstchen beschäftigt. Deren einwandfreie Herstellung überwachte er als Fachtierarzt für Lebensmittelhygiene. 1990 trat er in die CDU ein, wurde Kreistierarzt in Halberstadt und von Mai 1990 an Leiter des Kreisveterinäramtes.

Dann pegelte sich der berufliche Kompass jedoch auf Politik ein. Für ihn "überraschend" sei er als Halberstädter Spitzenkandidat für die Landtagswahl aufgestellt und gewählt worden. Von 1992 an nahm Schnellhardt Tuchfühlung zur EU auf: Er leitete fortan den Arbeitskreis Bundes- und Europaangelegenheiten. Zwei Jahre später setzte er sich gegen zwei Mitbewerber in der CDU durch und wurde ins Europaparlament gewählt.

"Wohnungen in Brüssel haben gewisse Mängel"

Mit der neuen Wirkungsstätte Brüssel hatte der Halberstädter zunächst wenig am Hut. Er war von der Stadt enttäuscht. Das änderte sich: "Brüssel hat viele schöne Ecken."

Dass der Europaabgeordnete aus Sachsen-Anhalt davon einige kennenlernte, liegt auch an vier Umzügen. "Wohnungen in Brüssel haben meist gewisse Mängel", berichtet Schnellhardt von seinen Erfahrungen. "Mal funktioniert die Heizung nicht richtig, mal klappt es nicht mit der Stromversorgung."

Zuletzt lebte der 67-Jährige sechs Jahre lang in einer Zwei-Raum-Wohnung in der Nähe des Europaparlaments, für "etwas unter 1000 Euro Miete". Um dafür aufzukommen, erhält ein Abgeordneter ausreichende Zuwendungen. Wie auch für das Salär der knapp 20 Mitarbeiter, die Schnellhardt insgesamt in den vergangenen zwei Jahrzehnten beschäftigt hat. In der Regel waren es zwei in Brüssel und einer im Magdeburger Büro, dazu kamen jeweils Teilzeitkräfte.

Der Politiker lebt getrennt von seiner Partnerin, die beiden erwachsenen Töchter würden ihren Weg machen - mehr Privates will er nicht preisgeben. Dass das EU-Parlament in Straßburg einen zweiten Sitz hat, führt zu einem vielbeklagten "Wanderzirkus". In den Sitzungsmonaten gibt es eine Plenarwoche in Straßburg, dann eine Fraktionswoche in Brüssel und schließlich noch zwei Wochen für Ausschussberatungen, ebenfalls in der belgischen Hauptstadt.

"Zu meinem Abschied gab es einen Empfang der Stadt Straßburg"

Das Parlament habe mehrfach Anläufe unternommen, den Standort Straßburg zu schließen, berichtet Schnellhardt. Doch alle Vorstöße seien an den Regierungen gescheitert. Gemeint ist damit vornehmlich die französische Administration. Horst Schnellhardt ist aber persönlich "sehr angetan" von Straßburg. Dort werde den Abgeordneten eine Aufmerksamkeit entgegengebracht, die in Brüssel undenkbar sei. "Zu meinem Abschied gab es extra einen Empfang der Stadt Straßburg. Das Präsent, ein Band über Straßburg, ist mit einer Widmung des Bürgermeisters versehen", erzählt er begeistert. Der langgediente Parlamentarier sieht das als Anerkennung für die eigene Leistung. Schnellhardt: "Ich bin stolz, dass ich Fußspuren in Europa und Sachsen-Anhalt hinterlassen habe."

"Ich gelte im Parlament als Papst der Lebensmittelsicherheit"

Selbstbewusst schiebt er nach: "Ich gelte als der Papst der Lebensmittelsicherheit im Parlament. Man hört hin, was ich dazu sage." Ins tierärztliche Metier dagegen fiel die "EU-Heimtierrichtlinie", mit der Schnellhardt befasst war. Sie regelt, dass maximal fünf Hunde oder Katzen aus einem EU-Land ausgeführt werden dürfen, um Seuchen und illegalem Tierhandel vorzubeugen. Doch zu sportlichen Zwecken oder Ausstellungen dürfen es mehr sein - ein typisches EU-Gesetz mit Ausnahmen. "Die beste Gesetzgebung ist der Kompromiss", hat der CDU-Politiker gelernt. Auch weiterhin wolle man bei der EU-Kommission auf seinen Rat nicht verzichten, sei ihm signalisiert worden.

Was meint die politische Konkurrenz zu Schnellhardts Wirken? Der Stendaler SPD-Politiker Tilman Tögel, mit viel Brüssel-Erfahrung durch die Mitarbeit im EU-Ausschuss der Regionen, sagt über Schnellhardt: "Ich kenne ihn seit der ersten Stunde im Landtag, wir haben damals im Europaausschuss zusammengearbeitet. Schnellhardt ist für mich ein überzeugter Europäer. Auch wenn wir politisch nicht immer einer Meinung waren, hat das dem Einsatz für Europa keinen Abbruch getan."

Tögel erinnert sich an eine gemeinsame Reise zur Weltausstellung 1992 nach Sevilla, wo sich Sachsen-Anhalt präsentierte: "Das war für uns aus dem Osten ein gemeinsamer Höhepunkt."

Später spielte Schnellhardt selbst den Reisevermittler, indem er Besuchergruppen aus der Heimat nach Brüssel, Luxemburg und Straßburg holte. Rund 10000 Leute, sagt der Halberstädter, waren auf diese Weise unterwegs nach Europa. "Wenn ich irgendwo hinkomme, treffe ich immer jemanden, der mit war", beschreibt Schnellhardt den Effekt dieses `Politik-Tourismus´.

"Eine Stunde am Strand in Barbados haben die schamlos ausgenutzt"

Böse Erinnerungen hat er an eine eigene Reise in parlamentarischer Mission 2006. Im Rahmen der AKP-Kooperation (afrikanische, karibische und pazifische Staaten) mit der EU weilte Schnellhardt auf Barbados. Mit dabei waren Reporter einer großen Boulevardzeitung. Prompt fand sich Schnellhardt dort als fauler Strandurlauber statt als fleißig arbeitender Politiker abgelichtet. "Eine Sauerei war das!", schimpft Schnellhardt noch heute. "Wir hatten zwei Tage Programm und waren mal eine Stunde am Strand in Barbados - das haben die schamlos ausgenutzt." Er überstand das Abgeordneten-Bashing.

Gern wäre der langgediente Parlamentarier noch mal zur Wahl angetreten. Sachsen-Anhalts Christdemokraten entschieden sich jedoch für Sven Schulze, pikanterweise wie Schnellhardt aus dem Harzkreis stammend. Der Unterlegene lässt die Bitternis beiseite und wünscht seinem potenziellen Nachfolger, "dass er ein würdiger Vertreter Sachsen-Anhalts wird". Es sei wichtig, in "Brüssel eine Nummer zu haben".

Europa hält Schnellhardt zu Hause weiter in Trab: Seine traditionelle Europa-Gala in Halberstadt soll es weiter geben und einen Euroclub Harz hat er auch schon gegründet.