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Eurovision Song Contest Wundenlecken nach der Nullnummer

24.05.2015, 11:44

Wien (dpa/tw) I Der schwedische Sänger Måns Zelmerlöw ist der strahlende Sieger beim Eurovision Song Contest 2015, die Deutsche Ann Sophie muss mit null Punkten heimfahren. Jetzt hat das Wundenlecken nach der Nullnummer begonnen.

Bei der Fernsehshow in Wien siegte der Popsong "Heroes" deutlich vor Russland und Italien, er folgt damit auf die Ballade "Rise Like A Phoenix" der österreichischen Bart-Dragqueen Conchita Wurst.

Deutschland konnte mit dem Lied "Black Smoke" und Ann Sophie keine Punkte bei Zuschauern und Juroren aus 40 Ländern holen und landete zusammen mit Gastgeber Österreich ganz hinten. Es war das erste Mal seit 50 Jahren, das Deutschland beim ESC null Punkte holte.

Ann Sophie ist beim Eurovision Song Contest (ESC) oft nur ganz knapp an den Punkten vorbeigeschrammt. Dies ergibt sich nach Angaben des ESC-Experten Irving Wolther aus der vorläufigen Analyse des Jury- und Tele-Votings. "Sie hat in der Summe mehrfach den 11., 12. oder 13. Platz belegt", sagte Wolther am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Punkte gibt es nur für die ersten zehn Plätze.

"Das ist wie ein vierter Platz im Sport. Man geht knapp leer aus", sagte Wolther. Das Problem für die 24-jährige Hamburgerin seien eher die TV-Zuschauer gewesen. Die Zuschauer am Fernseher hätten auch einen anderen Sieger gekürt, sagte Wolther: "Italien hätte bei ihnen haushoch gewonnen, vor Russland und Schweden."

In Deutschland sahen 8,11 Millionen die Übertragung im Ersten - das war die schlechteste Quote seit sechs Jahren. Im vergangenen Jahr waren durchschnittlich 8,9 Millionen dabei gewesen.

Zuletzt war Deutschland im Jahr 2008 mit der Band No Angels auf dem letzten Platz gelandet. Das zuvor bereits als Top-Favorit gehandelte Schweden siegte 2015 zum sechsten Mal und richtet im kommenden Jahr den Musikwettbewerb aus. Zuletzt war das Land 2012 erfolgreich. Erster schwedischer Sieg war 1974 der Erfolg von Abba ("Waterloo").

"Ich meine, dass man Ann Sophie nichts vorwerfen kann. Sie hat einen Super-Job gemacht", sagte der langjährige ESC-Kommentator Peter Urban im ARD-Fernsehen. Ann Sophies Soul-Song habe offensichtlich nicht den Nerv der anderen Nationen getroffen. Sie selber reagierte sehr locker und sagte lachend: "Es hat trotzdem super viel Spaß gemacht." Enttäuscht zeigte sich ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber: "Wir werden jetzt genau überlegen, wie wir uns auf den ESC 2016 vorbereiten."

Das Siegerlied "Heroes" ist ein discotauglicher Popsong (komponiert von Linnea Deb, Joy Deb, Anton Hård af Segerstad). Der Auftritt des Sängers beeindruckte vor allem mit visuellen Tricks, darunter ausgefeilte Animationen mit Strichmännchen.

Die Musik der Finalteilnehmer war sehr abwechslungsreich: Es gab orientalisch angehauchten Pop aus Israel, typische Hymnen, Balladen und den unvermeidlichen Eurotrash, ebenso Klassikpop von drei jungen Tenören aus Italien. Die polnische Sängerin saß im Rollstuhl, die serbische bleibt mit ihrem Körpervolumen im Gedächtnis. Auffällig war auch, dass viele Sängerinnen, die Moderatorinnen und auch Punktepräsentatorinnen sehr tiefdekolletierte Kleider trugen.

Erstmals und wohl einmalig war Australien als Ehrengast beim 60. ESC dabei: Der Sänger Guy Sebastian erreichte den fünften Platz. Im Finale waren noch 27 Lieder im Rennen, in zwei Halbfinals waren 13 Länder hinausgewählt worden.

Die deutsche Sängerin Ann Sophie war im März als Zweitplatzierte beim deutschen Vorentscheid nachgerückt, nachdem der eigentliche Sieger Andreas Kümmert überraschend am Schluss der Show seinen Rückzug erklärt hatte und sagte, er wolle nicht nach Wien fahren.

Auch in den vergangenen Jahren schnitt Deutschland eher schlecht ab: 2014 gab es Rang 18, davor Platz 21. 2012 war Roman Lob immerhin auf Platz 8 gekommen. Deutschland gewann bislang zweimal: 2010 mit Lena ("Satellite") und 1982 mit Nicole ("Ein bißchen Frieden").

Die Show 2015 war im Vergleich zu einigen früheren Ausgaben eher klein gehalten, vor etwa 10 000 Zuschauern. Österreich lieferte dabei aber eine in weiten Teilen spektakuläre Licht- und Musikshow auf einer Bühne, die das Motto "Building Bridges" (Brücken bauen) versinnbildlichte. Dem ausrichtenden Sender ORF zufolge kostete das Spektakel etwa 25 Millionen Euro.

Geschätzt 100 Millionen Zuschauer verfolgten die Finalshow vor den Bildschirmen in ganz Europa, aber auch in Australien und erstmals China. Die drei Moderatorinnen Arabella Kiesbauer (46), Alice Tumler (36) und Mirjam Weichselbraun (33) führten kühl-charmant durch die Gala. Conchita Wurst assistierte mit der Betreuung der Teilnehmer und sang auch mehrere Lieder zur Eröffnung und in der Abstimmungsphase.

Bei der Punktevergabe gab es Pannen bei Schalten, etwa nach Portugal und Estland, die dann später nachgeholt werden mussten. Die Show war statt dreieinhalb fast vier Stunden lang.

Für Deutschland verkündete die Moderatorin Barbara Schöneberger die Wertungen von der Hamburger Reeperbahn aus. Deutschlands Höchstwertung "Twelve Points" (zwölf Punkte) ging an Russland. Schweden bekam zehn Punkte und Belgien acht.

Die Punkte der Länder setzen sich 50:50 aus der Zuschauerabstimmung und der Wertung einer Fachjury zusammen, in der dieses Jahr in Deutschland zum Beispiel die Musiker Mark Forster ("Flash mich"), Ferris MC und Johannes Strate von der Band Revolverheld saßen.