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Brandenburg schickt 600000 Sandsäcke nach Polen / Viele Flutopfer haben alles verloren Hochwasserlage spitzt sich zu

26.05.2010, 05:20

Ihre Lage an der Weichsel war für die Gemeinde Wilkow bisher ein Trumpf. In der idyllischen Gegend rund 120 Kilometer südlich von Warschau schauen im Sommer gern Touristen vorbei. Gestern aber herrschten nicht Ruhe und Beschaulichkeit in Wilkow, sondern gespenstische Stille. Die Weichsel hat einen Deich niedergerissen, das Hochwasser flutete binnen Minuten die umliegenden Dörfer.

Warschau (dpa). Seitdem gibt es keine Wege mehr, nur noch Ströme, die Menschen kämpfen sich in Schlauchbooten vorwärts. Überall lauern Gefahren: Aus dem Wasser ragen Baumspitzen, Verkehrszeichen – und eine Marienskulptur. An anderer Stelle liegen Kadaver von Kühen und Schweinen herum, fürchterlicher Gestank verpestet die Luft.

"Ich habe nichts mehr", sagt Pawel Calka aus dem Dorf Zastow Polanowski. Nur eine alte Waschmaschine konnte der 30-Jährige retten. Agata Feliks und ihr Mann hatten mehr Glück, sie schafften es immerhin, ihr Auto und einen Schlepper in Sicherheit zu bringen. Als sie nach zwei Tagen mal nach dem Rechten schaute, habe sie nur die Spitzen ihrer Birnbäume sehen können, erzählt die Frau mit Tränen in den Augen. Versichert war das Paar nicht. "Das könnten wir uns gar nicht leisten", sagt Feliks.

Den Satz "Ich habe nichts mehr" wiederholt fast jeder Wilkower. Alles Hab und Gut liegt in den Häusern, denen das Wasser bis zum Dach steht.

Im Süden und im Zentrum des Landes geht es Hunderttausenden so wie den Flutopfern von Wilkow. Die Lage in großen Teilen Schlesiens und in Sandomierz an der Weichsel bleibt dramatisch, auch wenn dort kein Tod durch Ertrinken mehr droht. Das stinkende Wasser wird noch bleiben, Erdrutsche drohen, Seuchen ebenso.

Regierungschef Donald Tusk versprach gestern, für die Opfer umgerechnet eine halbe Milliarde Euro locker zu machen. Aus Brandenburg werden 600000 Sandsäcke in die polnische Hochwasserregion geschickt, außerdem Boote, Notstromaggregate und Pumpen.

Unterdessen hat eine heftige Debatte über die mangelhafte Vorbereitung auf das Hochwasser begonnen. Der Staat habe diese Bewährungsprobe nicht bestanden, urteilte das größte Boulevardblatt Polens, "Fakt". Nach der Jahrhundertflut von 1997 sollten neue Deiche gebaut werden, viele Pläne stehen aber weiter nur auf dem Papier.

Das Hochwassermeldezentrum in Frankfurt (Oder) will die Alarmstufe 4 früher als erwartet ausrufen, da das Oder-Hochwasser schneller anschwillt als berechnet. Am Pegel Ratzdorf werde schon morgen Vormittag der Richtwert von 5,90 Meter überschritten. Dann besteht die Gefahr, dass Deiche und Dämme überflutet werden. Evakuierungen werden vorbereitet.