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Uhrenmesse Baselworld Der Kampf ums Handgelenk hat gerade erst begonnen

Zunächst winkten die Uhren-Hersteller bei Smartwatches ab, jetzt rücken sie immer tiefer ins neue Geschäft vor. Druck machen dabei vor allem die Mode-Marken, die einen Massenmarkt bedienen. Und sie wollen Apple das Business nicht alleine überlassen.

Von Andrej Sokolow, dpa 24.03.2017, 13:44

Basel (dpa) - Computer-Uhren wurden erst als das nächste große Ding nach dem Smartphone gefeiert. Und dann als Flop abgestempelt, nachdem die Verkäufe der ersten Modelle sich in Grenzen hielten.

Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen. Die klassische Uhr ließ sich nicht so leicht durch einen Computer vom Handgelenk verdrängen wie mancher es prophezeit hat. Doch genauso sind Smartwatches weit davon entfernt, zur Sackgasse der Computer-Evolution zu werden.

Das liegt allein schon daran, dass die beiden großen Tech-Player in dem Bereich - Apple mit seiner Watch und Google mit der für alle Hersteller offenen Plattform Android Wear - ein Gerät am Handgelenk als gute Schnittstelle für ihre Assistenten ausgemacht haben. Siri ist seit der ersten Apple Watch im Frühjahr 2015 über die Uhr ansprechbar, Google baute den Assistant jüngst in Android Wear 2.0 ein.

"Wir sehen großes Potenzial, wie der Assistant hier wirklich nützlich sein kann - wenn er im richtigen Moment auf dem Handgelenk "anklopft" und sagt: hier ist die Information", sagt Android-Wear-Manager David Singleton. Und es sei ein natürlicher Platz für ein Mikrofon, um sich mit dem Assistenten zu unterhalten.

Rund 1,2 Milliarden Uhren werden pro Jahr verkauft, nur einige Dutzend Millionen davon sind bisher Smartwatches und unter ihnen ist die Apple Watch ist seit dem Start im Frühjahr 2015 der klare Marktführer.

Doch Google schaut nach vorn und will Android Wear - ähnlich wie die Smartphone-Version des Systems - als bevorzugte Plattform für die große Masse der anderen Hersteller etablieren. Doch die Smartwatch-Pioniere aus der Tech-Industrie tun sich in dem Marktsegment schwer. So stieg der einstige Google-Partner Motorola zum Beispiel schon wieder aus. Die Uhren-Hersteller hingegen sind empfänglich für die Google-Avancen. Mit TAG Heuer, Montblanc oder Movado setzen auch große Namen der Branche auf Android Wear, zumindest wenn sie das Terrain mit einzelnen Modellen erkunden.

Anbieter von Mode-Marken stürzen sich noch viel mutiger in den neuen Markt. So werden alle Männer-Modelle der Marke "Michael Kors" künftig einen Chip oder einen Touchscreen haben. Dazu gehören unter anderem Hybrid-Uhren, die zwar ein Zifferblatt mit klassischen Zeigern haben, aber zum Beispiel Schritte zählen oder einen Knopf zum Auslösen der Smartphone-Kamera haben, sagte Michael-Kors-Chef John Idol der Uhrenmesse Baselworld.

"In einem Jahr wird Michael Kors die zweitgrößte Smartwatch-Marke in der Welt sein", versprach er. Der Modeuhren-Gigant Fossil, der neben Michael Kors klassische und vernetzte Uhren 18 weiterer Namen wie Skagen, Armani, Marc Jacobs oder Kate Spade produziert, setzt auch auf Android Wear.

Swatch, einer Bastion der Schweizer Branche mit klagvollen Namen wie Tissot, Omega, Longines oder Breguet will aber ohne Google auskommen. Swatch-Chef Nick Hayek kündigte eine eigene Plattform für vernetzte Uhren an. Während viele Analysten den Vorstoß angesichts der technologischen Übermacht von Apple und Google skeptisch sehen, meint ein Technik-Experte aus der Branche, der Ansatz könne zumindest bei einzelnen Funktionen und Aufgaben greifen. Für sie sei Android Wear zum Teil ohnehin zu wuchtig.

In den Hallen der weltgrößten Uhrenmesse, auf den "Ständen", die eigentlich eher Mini-Versionen von Nobel-Boutiquen ähneln, stehen vernetzte Uhren immer noch selten im Mittelpunkt. TAG Heuer ist eine der Ausnahmen und die zweite Version seines Modells Connected dominiert die Präsentation. Firmenchef Jean-Claude Biver versucht, smarte und klassische Uhren im Leben seiner Kunden unterzubringen: Die Modular 45 gibt es ab 1400 Euro - für noch einmal so viel bekommt man auch eine mechanische Version, die man am Armband wechseln kann.

Biver ist eine der markanten Figuren der Branche ein Poet der Uhrmacher-Kunst, der bei Auftritten mit seinen lauten Lachern auch kalkuliert durchgeknallt wirken kann. "Der Schweizer Uhrenindustrie können Smartwatches gefährlich werden. Der Kunst der Uhrmachers nicht", sagt er. "Menschen wollen Emotionen am Handgelenk."

Ob sich nicht aber beides miteinander verbinden lasse? "Nein!", schießt es aus Biver heraus. Denn Technologie veralte schnell. "Kunst ist ewig und die Ewigkeit kann nicht mit etwas fusionieren, was obsolet wird. Sie können auch keinen Bordeaux mischen mit Wasser - sie müssen dann zwei Gläser haben." Wenige Minuten vorher hatte Biver eine von Ferrari entworfene Uhr mit Schweizer Laufwerk der Firma Hublot präsentiert, die er als Spartenchef des Luxus-Riesen LVMH beaufsichtigt. Von dem Modell wird es nur 70 Exemplare geben - eine Uhr für jedes Jahr, das es Ferrari gibt.

Google-Manager Singleton sieht allerdings auch bei kleinen Stückzahlen einen Ansatzpunkt für die Android-Plattform. "Von jeder Luxus-Uhr werden dramatisch weniger Exemplare verkauft als von günstigen Modellen. Und bei diesen Stückzahlen würde sich der Aufwand für einen App-Entwickler nicht lohnen", argumentiert er. Und da komme der Vorteil einer einheitlichen Plattform ins Spiel. "Wir werden auch bei vernetzten Uhren große Preisunterschiede sehen", zeigt sich Singleton sicher. "Denn etwas, was man am Körper trägt, wird man immer dafür nutzen, um seine Persönlichkeit und Stil auszudrücken."

Was aber, wenn die Technologie die Gewohnheiten der Menschen so verändert, dass sie gar keinen Wert mehr auf Uhrmacher-Kunst legen? Die Frage trifft bei Biver einen Nerv: "Dann ist der Mensch ein Roboter", ruft er. "Dann ist ein Mensch kein Mensch mehr, wenn er keine Emotionen mehr hat, wenn er keine Seele mehr will."

TAG-Heuer-Patriarch Jack Heuer weiß allerdings auch gut, dass sich Handwerkskunst nicht immer gegen Technologie durchsetzt. "Wir waren einst die Nummer eins in der Welt bei mechanischen Stoppuhren", erinnerte sich 84-Jährige, der zur Präsentation einer Neuauflage des klassischen Modells "Autavia" (Preis: 4600 Franken) nach Basel kam. Aber das sei eines der ersten Produkte gewesen, die der Wandel von analog zu digital traf. "Heute gibt es keine mechanischen Stoppuhren aus der Schweiz mehr, früher haben wir 300 000 pro Jahr gebaut."