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Prozess in Bonn Überraschung im Fall Niklas - Anklage fordert Freispruch

Die Plädoyers im Bonner Prozess um den Tod des 17-jährigen Niklas bringen eine spektakuläre Wende. Die Staatsanwaltschaft hat Zweifel, dass der Richtige auf der Anklagebank sitzt - und fordert einen Freispruch. Auch ein anderer Mann komme als Täter in Betracht.

25.04.2017, 16:07

Bonn (dpa) - Der Bonner Prozess um den Tod des verprügelten Schülers Niklas hat eine überraschende Wendung genommen. Die Staatsanwaltschaft forderte im Fall der Prügelattacke am Dienstag einen Freispruch für den Angeklagten.

Es sei nicht zweifelsfrei sicher, dass der 21 Jahre alte Beschuldigte Niklas in der Tatnacht geschlagen und getreten habe, sagte Staatsanwalt Florian Geßler beim Landgericht. "Das hat die Beweisaufnahme für mich in der letzten Überzeugung nicht ergeben."

Auch wenn man alles versucht habe, die Tat aufzuklären: Es komme auch ein anderer Mann als Täter in Betracht, sagte Geßler. Dabei handele es sich um einen 22-Jährigen, bei dem man davon ausgehen müsse, dass er ebenfalls am Tatort war.

Der 17 Jahre alte Niklas, der zuletzt in Bad Breisig in Rheinland-Pfalz wohnte, war im Mai 2016 im Bonner Stadtteil Bad Godesberg auf offener Straße mit einem Schlag gegen die Schläfe niedergestreckt worden. Anschließend wurde ihm gegen den Kopf getreten. Er starb wenige Tage später im Krankenhaus. Der Fall hatte bundesweit für Bestürzung gesorgt. Die Ermittlungen gestalteten sich aber schwierig. Lediglich ein Freund von Niklas will den Angeklagten eindeutig als Täter wiedererkannt haben.

Nach der Beweisaufnahme sei nun aber nicht mehr auszuschließen, dass dieser entscheidende Zeuge sich getäuscht habe, sagte der Staatsanwalt. Es gebe eine sehr große Ähnlichkeit zwischen dem Angeklagten und dem 22-Jährigen, der ebenfalls am Tatort gewesen sein soll.

Dieser andere Mann ist für das Gericht kein Unbekannter. Er saß in dem Prozess zeitweise im Zeugenstand, verweigerte aber die Aussage. Dieser Auftritt vor Gericht habe ihn selbst allerdings ein "bisschen aus der Bahn geworfen", sagte Geßler. Die Ähnlichkeit sei offenkundig gewesen. Während der Ermittlungen habe man diesen Fakt aber so nicht einbeziehen können, weil der Mann sein Aussehen verändert habe und das vorhandene Bildmaterial bei der Polizei alt gewesen sei.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Bonn sagte nach dem Prozess, der 22-Jährige werde aktuell als Beschuldigter geführt. Ursprünglich sollte er - nicht wegen des Falls Niklas - abgeschoben werden, dass sei aber bisher nicht erfolgt. Weitere Details nannte der Sprecher nicht. Man warte nun das Urteil des Gerichts ab und werde dann prüfen, ob es neue Ermittlungsansätze gebe.

Die ganze Situation sei unter dem Strich unbefriedigend, sagte Staatsanwalt Geßler. Vor allem für die Mutter von Niklas, die als Nebenklägerin auftritt, tue es ihm persönlich sehr leid. "Ich kann mir vorstellen, wie wichtig das wäre, dass sie weiß, wer ihren Sohn getötet hat."

Die Staatsanwaltschaft forderte für den Angeklagten allerdings wegen einer anderen Tat, die in dem Prozess eine Nebenrolle spielt, zwölf Monate Jugendstrafe auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Angeklagte hatte die Beteiligung an einer Schlägerei wenige Tage vor dem Angriff auf Niklas eingeräumt. Die Attacke auf Niklas hatte er gleichwohl immer bestritten. Er sei gar nicht am Tatort gewesen.

Verteidiger Martin Kretschmer sagte, es gebe aus seiner Sicht nicht nur Zweifel an der Täterschaft seines Mandanten im Fall Niklas. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer den Schüler angegriffen habe, sei sogar größer. Er forderte daher in diesem Punkt ebenfalls einen Freispruch. Wegen der anderen Vorwürfe plädierte er für einen Dauerarrest. Die Entscheidung über die Länge überlasse er dem Gericht, sagte Kretschmer. Das Urteil wird am Mittwoch kommender Woche erwartet.