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Militäreinsatz angeordnet Brasilia: Ministerium angezündet, Präsident ruft Militär

Dramatische Szenen in Brasilia: Ministerien müssen evakuiert werden, Demonstranten fordern zornig "Temer raus". Der unter Korruptionsverdacht stehende Präsident reagiert: Er schickt das Militär.

Von Georg Ismar, dpa 25.05.2017, 16:04

Brasilia (dpa) - Bei Protesten gegen Brasiliens Präsidenten Michel Temer haben aufgebrachte Demonstranten das Agrarministerium angezündet und weitere Ministerien angegriffen und verwüstet.

Schwarze Rauchwolken standen über dem Regierungsviertel in Brasilia, es entstand großer Sachschaden.

Nach Angaben der Polizei hatten sich 35 000 Menschen dort versammelt. Mehrere Ministerien mussten evakuiert werden. Die Polizei setzte Tränengas ein. Der unter Korruptionsverdacht stehende Temer schickte zudem 1500 Soldaten.

Verteidigungsminister Raul Jungmann sagte am Mittwochabend (Ortszeit), der Präsident habe den Militäreinsatz angeordnet, um die Regierungsgebäude zu schützen. Als das in einer laufenden Kongresssitzung bekannt wurde, kam es zu tumultartigen Szenen und Handgreiflichkeiten. Die linke Arbeiterpartei warf Temer eine Eskalation vor. Das Militär-Dekret gilt vorerst für eine Woche. 

49 Menschen wurden nach Behördenangaben bei den Ausschreitungen verletzt und acht festgenommen. Die Lage ist wegen eines bekannt gewordenen Korruptionsskandals um Temer extrem angespannt. Er ist bis Ende 2018 im Amt und lehnt einen Rücktritt kategorisch ab.

Die Demonstranten fordern den sofortigen Rücktritt und rasche Neuwahlen. Erst nach mehreren Stunden beruhigte sich die Lage - aber für Temer wird die Lage immer brenzliger. Tasso Jereissati, Interimschef der Sozialdemokraten (PSDB), des größten Koalitionspartners, vermied ein klares Bekenntnis zu Temer. 

Die Proteste in Brasilia waren die heftigsten seit langem. Überall gab es kleine Feuer, viele Scheiben in Ministerien gingen zu Bruch. In der von dem Architekten Oscar Niemeyer geplanten Hauptstadt sind alle Ministerien und der Kongress rund um eine große Fläche, die Esplanada dos Ministérios, angeordnet. Hier versammelten sich die Menschen und skandierten "Temer raus".

Aufgerufen zu den Protesten hatten Gewerkschaften und soziale Bewegungen. Temer hatte 2016 die des Amtes enthobene linke Präsidentin Dilma Rousseff abgelöst - er hatte sich als ihr Vizepräsident mit der Opposition verbündet und so die notwendigen Mehrheit für die Absetzung erreicht.

In sozialen Netzwerken war die Rede davon, dass sich der "Putschist" nun auf das Militär stütze. Mit Blick auf den schwarzen Rauch hieß es in Anspielung auf das Prozedere der Papstwahl, Brasilien habe noch keinen neuen Präsidenten. 

Der Protest richtet sich auch gegen eine Reform, die eine Ausweitung von Arbeitszeiten, eine Beschneidung der Mitsprache von Gewerkschaften und die Zahlung von Kosten bei Arbeitsprozessen durch die Mitarbeiter vorsieht. Als "Brandbeschleuniger" der Proteste gegen den 76-Jährigen wirkte ein letzte Woche publik gewordener Mitschnitt.

Dabei geht es um ein Gespräch Temers mit dem Besitzer des weltgrößten Fleischkonzerns JBS, Joesley Batista, der heimlich alles aufgezeichnet hatte. JBS soll über Jahre Politiker bestochen haben - Batista zahlte 65 Millionen Euro in einem Vergleich mit der Justiz und packte aus. Den Mitschnitt übergab er der Justiz; er fand danach seinen Weg zu den Medien. 

Die Aufnahmen nähren den Verdacht von Schweigegeldabsprachen, damit der Ex-Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der bereits im Gefängnis sitzt, nicht sein Wissen über das ganze Korruptionsnetzwerk preisgibt. Temer soll zudem für seine letzte Wahlkampagne von JBS 15 Millionen Reais (4,2 Mio Euro) erhalten und eine Million (280.000 Euro) selbst eingesteckt haben. 

Der neuntgrößten Volkswirtschaft droht durch den Skandal eine Hängepartie, zu einem Zeitpunkt, wo man langsam die tiefe Rezession überwindet - seit 2015 brach die Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent ein. 13,5 Millionen Menschen sind arbeitslos. 

JBS soll in den letzten Jahren rund 500 Millionen Reais (137 Mio Euro) an Parteien und Politiker gezahlt haben, darunter an drei Präsidenten und 167 Abgeordnete. Im Gegenzug bekam JBS unter anderem günstige Kredite einer staatlichen Förderbank und konnte so Zukäufe tätigen. Der Umsatz stieg binnen zehn Jahren von vier auf 170 Milliarden Reais (rund 46,5 Mrd. Euro) im Jahr.

Bericht O Globo

Mitteilung Verteidigungsministerium