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Ost-West-Gefälle Ost-Beauftragte: Neue Länder länger auf Hilfe angewiesen

Überraschendes enthält der aktuelle Regierungsbericht zur deutschen Einheit nicht: Ein immer noch spürbares Ost-West-Gefälle und wenig Aussicht, dass sich die Lücke bald schließt. Zumal es für die neuen Länder nach 2019 nicht einfacher wird - auch wegen des "Brexit".

06.09.2017, 15:45

Berlin (dpa) - Ostdeutschland muss angesichts des immer noch großen Abstands zur Wirtschaftskraft im Westen aus Sicht der Bundesregierung noch länger unterstützt werden.

"Das Wachstum im Ostdeutschland ist weiterhin auf flankierende Maßnahmen ... angewiesen - jedenfalls dann, wenn die wirtschaftliche und soziale Angleichung in einem absehbaren Zeitraum realisiert werden soll", sagte die Ost-Beauftragte Iris Gleicke (SPD) am Mittwoch in Berlin.

Auch nach Auslaufen des Solidarpakts II und der damit verbundenen Fördergelder 2019 sei eine wirksame Regionalförderung nötig, sagte Gleicke bei der Vorlage des Berichts zum Stand der deutschen Einheit. Der Strukturwandel betreffe zwar ganz Deutschland.

Die Besonderheit im Osten sei aber, dass die Strukturschwäche dort bis auf wenige Ausnahmen flächendeckend sei, sagte die SPD-Politikerin. Nach einem EU-Austritt Großbritanniens müsse eine dauerhafte und verlässliche Regionalförderung gewährleistet sein. Denn durch den "Brexit" werde die EU insgesamt rein statistisch ärmer und Ostdeutschland reicher - obwohl sich nichts getan habe.

27 Jahre nach der Vereinigung kommt die Angleichung der ostdeutschen Wirtschaftskraft zum West-Niveau nur schleppend voran. 2016 lag die Wirtschaftsleistung je Einwohner im Schnitt bei 73,2 Prozent des westdeutschen Werts. Der Aufholprozess sei in den vergangenen Jahren nur verhalten, es gebe noch spürbare Unterschiede, sagte Gleicke. Als Hauptgrund nannte sie wie in den Vorjahren das Fehlen großer und größerer Unternehmen: "Die Menschen im Osten sind nicht fauler, und sie haben nicht weniger kluge Ideen als die im Westen."

Gleicke verwies auch auf Erfolge wie die gesunkene Arbeitslosigkeit. Der Osten insgesamt habe zudem fast die wirtschaftliche Stärke des EU-Durchschnitts erreicht: "Der Osten ist weder ein ödes Jammertal noch ist er ein blühendes Paradies. Es gibt Licht und Schatten, und es gibt noch jede Menge zu tun." Ökonomen werten den Bericht laut "Handelsblatt" als Signal an die Politik, die schleppende wirtschaftliche Entwicklung stärker in den Blick zu nehmen.

Die Linke sprach von wiederkehrenden "Betroffenheitsgeschwafel". Spitzenkandidat Dietmar Bartsch betonte, "die Ursachen sind seit Jahren bekannt und stehen wörtlich schon in den Vorjahresberichten: keine Unternehmenszentralen, keine Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, deutlich niedrigere Löhne als im Westen". Annalena Baerbock von den Grünen nannte es "wenig hilfreich, wenn sich Union und SPD Jahr für Jahr berichten lassen, dass die Kluft zwischen den Regionen wächst, um dann ohne Konzept weiter zu wursteln". Nötig sei ein Neustart in der Förderpolitik.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) forderte, "Deutschland insgesamt und die EU stehen in der Verantwortung, die Entwicklungschancen des Ostens weiter zu fördern und den Aufholprozess .... zu beschleunigen". Die Union will nach Darstellung des Wirtschaftsexperten Joachim Pfeiffer (CDU) die regionalpolitischen Instrumente weiterentwickeln. Ein gesamtdeutsches System werde strukturschwache Regionen in Ost und West gleichermaßen fördern und finanziell angemessenen ausgestattet.

Aus Sicht des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) kommt die Ost-Wirtschaft im Aufholprozess gut voran. Das Wachstum könnte 2017 mit gut zwei Prozent etwas stärker ausfalle als in Deutschland insgesamt mit 1,8 Prozent. Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sagte der "Passauer Neuen Presse", die Stimmung in den ostdeutschen Betrieben sei gut. Die Geschäftserwartungen hätten einen deutlichen Sprung nach oben gemacht. Erstmals seit mehr als acht Jahren seien Ost-Betriebe zuversichtlicher als der Schnitt: "Daher sieht alles nach einer Fortsetzung des Aufholprozesses aus."