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Epilepsie Heftige Unwetter im Gehirn

Die Epilepsie ist fast so häufig wie der Schlaganfall, so Dr. Friedhelm C. Schmitt, Leiter der Epileptologie an der Magdeburger Uniklinik.

Von Uwe Seidenfaden 13.02.2016, 00:01

Volksstimme: Welche Symptome können auf eine Epilepsie hindeuten?

Dr. Friedhelm C. Schmitt: Es gibt verschiedene Arten von Epilepsien und verschiedene Arten von epileptischen Anfällen. Beim großen Anfall – dem „Grand mal“ – verlieren die Patienten schlagartig das Bewusstsein und die Körperkontrolle. Arme und Beine beginnen unwillkürlich heftig zu zucken. Der Ablauf des Anfalls wirkt so dramatisch, dass Angehörige beim ersten Mal fälschlichwerweise denken, der Betroffene würde sterben. Das liegt u. a. daran, dass für wenige Sekunden auch akute Luftnot auftritt, die aber keine Auswirkungen hat. Bei milderen Anfälle führen die Patienten ziellose Bewegungen aus oder treten vorübergehend in einen Dämmerzustand ein. Andere haben nur Wahrnehmungsstörungen (z. B. Halluzinationen), ohne das Bewusstsein zu verlieren.

Letzteres könnte auch auf einen kleinen Schlaganfall hinweisen?

In der Regel trifft das nicht zu. Ein epileptischer Anfall ist mit äußerst seltenen Ausnahmen nach spätestens fünf Minuten vorüber. Ein Schlaganfall dauert in der Regel wesentlich länger.

Wann sollte man den Notarzt rufen?

Patienten, die schon länger eine Epilepsie haben, wollen oft nicht, dass automatisch ein Notarzt gerufen wird, denn ein epileptischer Anfall ist meist schon wieder vorbei, wenn der Notarzt eintrifft. Ein Notfallausweis kann diese Patienten als Betroffene ausweisen. Wenn ein Anfall länger als fünf Minuten anhält, ist in jedem Fall ein Notarzt zu rufen.

Können medizinische Laien Epileptikern während eines Krampfanfalls helfen?

Ja, indem sie sich nicht abwenden, sondern dafür sorgen, dass der Patient sich nicht selbst verletzt. Ist der Patient bewusstlos, muss man ihn in die stabile Seitenlage bringen. Früher hat man bei einem epileptischen Anfall auch noch einen Zungenkeil in den Mund gesteckt, um blutige Bissverletzungen der Zunge zu vermeiden. Davon raten wir ab. Man sollte einen Patienten, der ziellose Bewegungen durchführt, auch nicht mit Gewalt daran hindern. Besser ist es, Gegenstände mit Verletzungsgefahr aus dem Weg zu räumen.

Wie kommt es zu epileptischen Anfällen?

Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Gutartige Krämpfe im Neugeborenenalter und vorübergehende geistige Abwesenheiten im Kindesalter sind oftmals Entwicklungsstörungen, die von selbst ausheilen. Im fortgeschrittenen Erwachsenalter sind u. a. Hirnhautentzündungen, Stoffwechselstörungen, Unterzuckerungen, Hirnverletzungen und Hirntumoren Auslöser von epileptischen Anfällen. Nach dem erstmaligen Auftreten eines Anfall sollten Betroffene immer einen Arzt aufsuchen. In der Regel wird das zunächst der Hausarzt sein. Es sollte dann aber eine zügige fachärztliche (d. h. neurologische) Vorstellung erfolgen.

Und wenn der Patient sich nicht mehr an den Hergang des epileptischen Anfalls erinnern kann?

Daher raten Patienten, die Angehörigen oder Freunde, die den Anfall beobachtet haben, zum Arztgespräch mitzubringen. Die möglichst genaue Schilderung des Ablaufes ist wichtig für die richtige Diagnose und Behandlung. Sehr hilfreich kann für Neurologen ein Handy-Video sein, das den Ablauf oder das Ende des Anfalls dokumentiert. Angehörige oder Freunde sollten sich nicht scheuen, den Anfall mit dem Handy aufzunehmen, noch zumal heute viele ein Gerät mit integrierter Kamera immer bei sich haben.

Wie erfolgt die Behandlung? Wann muss auch ein Facharzt für Epilepsie, ein Epileptologe, aufgesucht werden?

Zur Behandlung steht eine Vielzahl von Medikamenten zur Verfügung, deren Nebenwirkungen heute deutlich geringer sind als noch vor 15 Jahren. Bei etwa 60 Prozent aller Patienten mit Epilepsien kann man so die Entstehung neuer Anfälle verhindern. Spätestens, nachdem diese Behandlungen auch mit einem zweiten Medikament nicht angeschlagen haben, sollte auf jeden Fall ein Epileptologe konsultiert werden.

Ist eine Heilung möglich?

Eine Heilung im engeren Sinne – das heißt ein anfallsfreies Leben ohne Medikamente – ist nur möglich, wenn der Epilepsieherd im Hirn entfernt werden kann oder wenn die Epilepsie von selbst aufhört. Letzteres ist bei bestimmten Epilepsien im Kindesalter häufig. Wenn der Epilepsieherd nicht entfernt werden kann, muss man sich auf eine Senkung der Übererregbarkeit der Nervenzellen beschränken. Das geht mit Medikamenten oder sogenannten Stimulationsverfahren. Bei den Stimulationsverfahren schwanken die Erfolgsaussichten auf eine relevante Verminderung der Anfallsfrequenz zwischen etwa 20 bis 40 Prozent.

Wer hilft bei sozialmedizinischen Problemen, z. B. in der Ausbildung und im Beruf?

Wir arbeiten eng mit dem Landesverband Epilepsie zusammen, der seit eineinhalb Jahren eine psychosoziale Beratungsstelle für Epilepsiepatienten und deren Angehörige anbietet.

Weitere Infos unter www.epilepsie-lvsa.de.