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PatientenrechteVerdacht auf Behandlungsfehler

Kranke können medizinische Hilfe erwarten. Ein Recht auf Heilung gibt es nicht. Im Graubereich dazwischen kann es zu Fehlern kommen.

Von Uwe Seidenfaden 19.04.2016, 01:01

Magdeburg l „Chirurg vergaß Schere im Bauch des Patienten“, „Arzt amputiert versehentlich das gesunde Bein“, „Jugendlicher starb unter der Narkose“. Derartige Schlagzeilen finden sich immer wieder in den Medien. Sie zeigen, dass Ärzte keine „Götter in Weiß“ sind, sondern Menschen, die zuweilen Fehler machen.

So geschah es unlängst einem 55-jährigen Mann, der wegen Einengungen der Wurzelkanäle an der Bandscheibe operiert wurde. Bei diesem Eingriff kam es zu einer Verletzung der Speiseröhre. Als Folge wird der Mann voraussichtlich dauerhaft unter Schluckbeschwerden leiden, stellten Ärzte in einem Gutachten fest. Der Patient klagte auf Schmerzensgeld wegen eines Behandlungsfehlers.

Der Richter urteilte, dass bei derartigen Bandscheibenoperationen Verletzungen der Speiseröhre zwar nicht ganz auszuschließen sind. In diesem Fall hatte der Arzt aber die Lage der Speiseröhre während der Operation nicht hinreichend überprüft. Das Unterlassen dieser Überprüfung wertete das Gericht als einen Behandlungsfehler. Es sprach dem Patienten ein Schmerzensgeld in Höhe von 20  000 EUR zu (Az.: 26 U 182/13 Oberlandesgericht Hamm).

Das ist eines von vielen Beispielen. Aktuell wenden sich bis zu 15  000 Patienten jährlich wegen des Verdachts eines Behandlungsfehlers an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Nicht jeder Verdacht bestätigt sich auch.

Behandlungsfehler liegen vor, wenn ein Mediziner gegen „die anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst verstößt“, heißt es vom Gesetzgeber. Was aber bedeutet das konkret?

Beim Ausbleiben eines Behandlungserfolgs muss nicht notwendigerweise ein Behandlungsfehler vorliegen. In den vergangenen Jahrzehnten konnten Ärzte sich weitgehend auf ihre Behandlungsfreiheit berufen. Sie waren nicht gehalten, sich bei der Diagnostik und Therapie von einem Arztkollegen geschweige denn von einem Nichtmediziner etwas vorschreiben zu lassen. Das hat sich mit der Einführung der sogenannten Leitlinien geändert.

Leitlinien sind Hinweise für Ärzte, wie bei der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen zu verfahren ist. Den höchsten Empfehlungswert haben sogenannte S3-Leitlinien. Sie werden von Fachgesellschaften erstellt, regelmäßig aktualisiert und fassen den aktuellen Stand des Wissens bei Diagnostik und Behandlung von Krankheiten zusammen. Für den behandelnden Arzt sollen sie eine Entscheidungshilfe sein. Weicht dieser von den Empfehlungen ab, muss er es gut begründen können. Im Streitfall muss er sich für das Abweichen von den Leitlinien-Empfehlungen rechtfertigen.

Die Texte sind in der Regel für das Verständnis des Arztes geschrieben. Für viele S3-Leitlinien gibt es aber auch eine für Patienten verständliche Version, die man von der Internet-Plattform der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (www.awmf.org) herunterladen kann.

Vertrauen zum Arzt ist eine Grundlage des Behandlungserfolgs. Leider führen Diagnostik und Therapie nicht immer zum erhofften Ergebnis. Aus der Enttäuschung des Patienten entstehen dann manchmal Zweifel, ob die Behandlung auch wirklich richtig war und qualifiziert durchgeführt wurde.

Als Nachweis dokumentieren Ärzte im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufklärungspflicht laut Paragraph 630e BGB alle wichtigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie Verlaufsdaten in der Krankenakte.

„Der Patient hat prinzipiell ein Recht auf Einblick in die eigene Krankenakte“, so Annette Holthöfer Rechtsassessorin der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Das sind zum Beispiel Ultraschall- und Röntgenbilder, EKG-Aufzeichnungen, Blutdruckwerte, Laborbefunde, Operationsberichte, Narkoseprotokolle sowie Angaben über verabreichte oder verordnete Arzneimittel.

Für den Laien haben die schriftlich fixierten ärztlichen Informationen nicht immer einen echten Erkenntniswert. Die Ärzte sind nämlich nur verpflichtet, den Verlauf der Behandlung sorgfältig, vollständig und nachvollziehbar zu dokumentieren. Von Verständlichkeit für den Patienten ist nicht die Rede. Ein guter, an Vertrauensbildung interessierter Arzt wird dem Patienten aber bei der Interpretation der Fachinformationen helfen.

Alternativ kann man sich an die Beratungsstellen der Unabhängigen Patientenberatung, an die eigene Krankenkasse oder an die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen wenden (siehe Info-Kasten). Mitnehmen kann der Patient seine Krankenakte nicht. Wünscht er Duplikate zum Mitnehmen, muss er deren Anfertigung unter Umständen selbst bezahlen, hat der Bundesgerichtshof bereits in mehreren Urteilen entschieden (Az: VI ZR 222/79 sowie Az: VI 177/81).

Hilfreich für die Beweissicherung kann es sein, wenn der Patient ein Gedächtnisprotokoll anfertigt, in dem er

l  die Behandlungsmaßnahme,

l  den Behandlungsverlauf, den oder die behandelnden Ärzte,

l  die aufgetretenen Beschwerden und

l  mögliche Zeugen (z.B. Bettnachbarn aus der Klinik)

benennt.

Nächste Folge am 26. April: Hilfe im Konfliktfall. Die Berichte zur Serie finden Sie unter www.volksstimme.de/patientenrechte