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Gehör Schlagartig leise

Bei einem Hörsturz verweigert das Gehör den gewohnten Dienst. Warum das geschieht und ob Stress dabei eine Rolle spielt, ist unklar.

Von Eva Dignös 21.04.2016, 23:01

Bad Arolsen (dpa) l Plötzlich macht ein Ohr dicht, als hätte jemand am Lautstärkeknopf gedreht: „Die meist einseitig auftretende Hörminderung ist typisch für einen Hörsturz“, sagt Prof. Gerhard Hesse, Chefarzt des Ohr- und Hörinstituts im hessischen Bad Arolsen und Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga. Die Schwerhörigkeit kommt ohne Vorwarnung. Warum das so ist und was genau im Ohr passiert, hat die Wissenschaft bisher nicht herausfinden können. Ob Stress eine Rolle spielt, ist auch nach wie vor unklar.

Ein Hörsturz galt früher als Notfall, mit dem man so schnell wie möglich zum Arzt sollte. Solche Hektik ist laut den aktuellen Empfehlungen nicht notwendig und eher kontraproduktiv – es sei denn, das Ohr ist komplett taub, sagt Hesse. Ansonsten könnten die Patienten insbesondere bei eher gering ausgeprägten Hörverlusten zunächst 24 bis 48 Stunden abwarten, erläutert Michael Deeg, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Freiburg und Sprecher des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte. Bei rund der Hälfte der Betroffenen stelle sich in dieser Zeit das normale Hörvermögen wieder ein. In der Wartezeit sollten es die Patienten etwas ruhiger angehen lassen.

Bleibt das taube Gefühl im Ohr bestehen, ist ein Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt der nächste Schritt. Möglicherweise ist ein Pfropf aus Ohrenschmalz schuld an den Hörproblemen. Auch ein Infekt kann die Ursache sein.

Der Arzt fragt außerdem ab, ob der Patient lauten Geräuschen ausgesetzt war, Böllerschüssen etwa. „Lässt sich kein solcher auslösender Faktor feststellen, liegt ein Hörsturz vor“, sagt HNO-Spezialist Hesse. 40 bis 100 von 100 000 Menschen seien pro Jahr betroffen.

Schauplatz ist das Innenohr. Dort liegen die Haarzellen, die Schallwellen in elektrische Impulse umwandeln. Sie werden von den Nerven ins Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet – erst dann hören wir. Bei einem Hörsturz arbeiten Haarzellen in bestimmtem Frequenzbereich nicht mehr so, wie sie sollen.

Die Hör-Einschränkungen können sehr unterschiedlich ausfallen, beobachtet HNO-Arzt Deeg in seiner Praxis. Manche Patienten haben zusätzlich ein Ohrgeräusch, Tinnitus genannt, bei anderen fühlt sich die Ohrmuschel pelzig an. Schmerzen verursacht ein Hörsturz in der Regel nicht.

Bei der Behandlung setzen die Ärzte vor allem auf Kortison. Auch wenn dessen Wirksamkeit beim Hörsturz nicht erwiesen sei, zahlen die Krankenkassen, berichtet HNO-Arzt Deeg. Die Infusionstherapien mit durchblutungsfördernden Präparaten, die früher zum Einsatz kamen, werden nicht mehr angewendet: „Die wissenschaftliche Aufarbeitung hat gezeigt, dass sie keinen signifikanten Effekt haben und sogar zu unerwünschten Nebenwirkungen führen können.“

Nicht immer gelingt es, das Hörvermögen vollständig wiederherzustellen: „Bei 10 bis 20 Prozent bleiben Hörminderungen“, schätzt Hesse. „Wenn die Dämpfung 25 bis 30 Dezibel beträgt, macht sie sich im Alltag störend bemerkbar“, sagt Eberhard Schmidt, Hörgeräteakustikermeister in Regensburg und Delegierter der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker.

Mit einem schwächeren Ohr sind vor allem Gespräche in großer Runde schwierig. Auch die Richtung, aus der ein Geräusch kommt, lässt sich nicht mehr so gut identifizieren.

Ein Hörgerät kann das betroffene Ohr dann unterstützen. Die Systeme lassen sich so programmieren, „dass sie genau die Frequenzen, die fehlen, ans Trommelfell bringen“, erläutert Schmidt.