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Gesundheit Stammzellen im Blut können Leben retten

Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 12.000 Menschen an Blutkrebs. Für viele ist eine Blutstammzellspende die letzte Hoffnung.

Von Uwe Seidenfaden 03.02.2017, 00:01

Im Unterschied zu Brust-, Darm- oder Prostatakrebs gibt es bislang für Leukämien und andere Blutkrebserkrankungen keine zuverlässigen Screening-Untersuchungen. Warum ist das noch immer so?

Prof. Marcell Ulrich Heim: Bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems treten vergleichsweise selten auf. Screeninguntersuchungen wären sinnlos. Das Problem besteht auch darin, dass sich solide Tumoren über einen längeren Zeitraum breitmachen und in den ersten Monaten noch gut zu therapieren sind. Aber die bösartigen Blut- und Lympherkrankungen explodieren bereits nach einer relativ kurzen Zeit.

Prof. Andreas Humpe: Die molekulargenetische Diagnostik hat bei Leukämien und anderen bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems erhebliche Fortschritte gemacht. Das gilt aber nur für Veränderungen in den bereits bösartig entarteten Zellen. Diese Veränderungen sind nicht vor Ausbruch der Erkrankung in Blutzellen nachweisbar, so dass eine vorsorgliche Screening-Untersuchung weder verfügbar ist noch Sinn macht.

Gibt es Patientengruppen, die ein höheres Risiko für Blutkrebs oder Lymphdrüsenkrebs haben? Wenn ja, was folgt daraus für diesen Personenkreis?

Humpe: Patienten, die bereits ein Tumorleiden hatten und dafür Chemo- oder Strahlentherapie erhalten haben, haben ein erhöhtes Risiko Blutkrebs oder Lymphdrüsenkrebs zu entwickeln. Daraus ergeben sich aber keine Konsequenzen für diesen Personenkreis.

Heim: Die Risikogruppen, wie beispielsweise Kernkraftwerkmitarbeiter, sind sehr klein und werden überwacht. Nur ein sehr geringer Teil dieser Gruppen bekommt die Erkrankungen wirklich.

Welche Patienten profitieren von diesen Stammzelltransplantationen nach einer Hochdosistherapie besonders?

Humpe: Das sind vor allem Patienten, die aus immunologischen Gründen eine Blutbildungsstörung haben, wobei neben den roten Blutkörperchen mit einer Anämie (Blutarmut) die die Reihe der weißen Blutkörperchen und die Blutplättchen betroffen sein können. Bei diesen Patienten muss keine bösartige Erkrankung eliminiert, sondern „nur“ eine funktionierende Blutbildung aus den Spenderblutstammzellen etabliert werden.

Wer kann Knochenmark- bzw. Blutstammzellspender werden?

Heim: Jeder im Alter zwischen 18 und 60 Jahren, der sich gesund fühlt, kann ein Spender werden. Die Aufnahme in die Spenderdatei ist auf 50 Jahre begrenzt.

Wo kann man sich typisieren lassen?

Heim: In Deutschland gibt es fast 30 Spenderdateien, bei denen man sich typisieren lassen kann, zum Beispiel an Unikliniken, bei den Blutspendediensten und bei privaten Stiftungen.

Benötigt man einen Organ- und Gewebespenderausweis, um Knochenmark- bzw. Blustammzellspender zu werden?

Heim: Nein. Die Organ- und Gewebespende kommt nur für den Fall eines Hirntodes in Betracht. Blut-, Blutstammzell- und Knochenmarkspender spenden zu ihren Lebzeiten. Und auch nicht jeder Blutspender ist zwangsläufig ein Knochenmark- bzw. Blustammzellspender.

Welche Daten eines Spender-Kandidaten werden erhoben und wie sind dessen persönliche Daten gegen kommerziellen Missbrauch gesichert?

Humpe: Neben den persönlichen Daten wie Name, Geburtsdatum und Adresse werden die Blutgruppe und die für eine Transplantation wichtigen Gewebemerkmale erfasst. Nur der Spender-Datei, in die sich der Spender aufnehmen lässt, sind diese Daten komplett bekannt. Diese Daten dürfen von der Spenderdatei nur zum Zweck der Spendersuche für eine Stammzelltransplantation verwendet werden. Der Spender erhält von der Spenderdatei eine Identifikationsnummer (ID) zur Anonymisierung. Die Suchstellen, die für einen betroffenen Patienten einen passenden Spender suchen, erfahren nur die ID und die für die Beurteilung der Kompatibilität zwischen Spender und Empfänger notwendigen Gewebemerkmale.

Wie riskant ist die Entnahme für den Spender?

Humpe: Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten. Begleiterscheinungen der Blutstammzellentnahme können beispielsweise Kopf-, Muskel- und Knochenschmerzen oder Müdigkeit und vorübergehendes Fieber sein. Die Risiken sind aber selten. Bei der Zellspende aus dem Knochenmark bestehen Risiken während der Intubationsnarkose sowie durch mögliche Infektionen und Blutungen an den lokalen Punktionsstellen. Aber auch diese Risiken sind meist gut beherrschbar.

Erfahren Stammzell-Spender den Namen des Empfängers oder umgekehrt?

Humpe: Prinzipiell besteht das Gebot der Anonymität zwischen Spender und Empfänger. Nur wenn beide zustimmen kann dies in einem bestimmten Zeitraum nach der Transplantation schrittweise aufgehoben werden.

Wie bewerten Sie den künftigen Stellenwert der Stammzelltransplantation angesichts der aktuellen immunbiologischen Medikamentenentwicklungen?

Humpe: Aktuell sieht es so aus, dass sowohl die autologe Stammzelltransplantation (Spender und Empfänger sind die gleiche Person) als auch die allogene Stammzelltransplantation (Fremdspender für einen Kranken) ein wichtiger Baustein der Behandlung bleiben werden. Es gibt noch keinen vollständigen Ersatz der Stammzellgabe im Rahmen einer Hochdosis-Chemotherapie bei Krebspatienten.