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Stiftung Warentest untersuchte den Bahnverkehr im Dezember 2010 Mehr Verspätungen als bekannt, kaum Verlass auf Anzeigetafeln

15.02.2011, 04:31

Wer im Dezember 2010 mit der Bahn reiste, brauchte Geduld. Schnee und Minusgrade hatten das ohnehin labile Streckennetz fast zum Kollaps gebracht. Doch die Bahn redete das Desaster klein. Die Stiftung Warentest belegt nun, dass das Ausmaß an Verspätungen größer war als bisher bekannt. An vielen Bahnhöfen kamen drei von vier ICE-Zügen zu spät.

Berlin (rgm). Über die Pünktlichkeit ihrer Züge schweigt die Bahn. Detaillierte Statistiken hält sie streng geheim. Offenbar sogar gegenüber dem Verkehrsministerium. In dessen Winterbericht heißt es, die Pünktlichkeit im Fernverkehr sei im Dezember "tageweise unter 70 Prozent" gesunken. Die Untersuchung der Stiftung Warentest kommt zu einem anderen Ergebnis: An 20 wichtigen Bahnhöfen und Verkehrsknoten lag die Pünktlichkeitsquote der Fernzüge im Schnitt nur bei 32 Prozent. Selbst an guten Dezembertagen kamen lediglich 56 Prozent der Fernzüge pünktlich. An schlechten sogar nur 14 Prozent. Die 70-Prozent-Quote schaffte die Bahn an keinem einzigen Tag.

Als verspätet gelten Züge, wenn sie ihrem Fahrplan mehr als fünf Minuten hinterherfahren. Für umsteigende Reisende reichen oft schon wenige Verspätungsminuten, um den Anschlusszug zu verpassen. Frühere Untersuchungen der Stiftung Warentest zeigten, dass vor allem Regionalzüge häufig nicht auf unpünktliche Fernzüge warten. Wer deswegen zu spät ankommt, hat zusätzliches Pech: Entschädigungen zahlt die Bahn erst bei Verspätungen ab einer Stunde.

Auffällig häufig verspäteten sich ICE-Züge. Nur jeder vierte Hochgeschwindigkeitszug erreichte die Bahnhöfe einigermaßen in der vom Fahrplan vorgegebenen Zeit. Rund 75 Prozent bummelten den Ankunftsterminen mit mehr als fünf Minuten hinterher. Ein Grund dafür war das von den DB-Managern angeordnete Tempolimit: Aus Angst vor Fahrzeugschäden durften die Züge zeitweise nur noch mit reduzierter Höchstgeschwindigkeit fahren. Insgesamt hatte jeder vierte ICE eine Verspätung von mehr als 30 Minuten oder fiel sogar völlig aus. Zum Vergleich: Die alten IC- und EC-Züge, die mitunter noch mit Wagenmaterial aus Bundesbahnzeiten unterwegs sind, erwiesen sich als weniger verspätungsanfällig. Im Schnitt erzielten sie etwa um 15 Prozentpunkte bessere Pünktlichkeitswerte als die ICE-Flotte.

Auch die Gründe der Verspätungen flossen in die Auswertung ein. Gestörte Signale und Weichen sowie "Verzögerungen im Betriebsablauf" belegen deutlich, dass die Bahn ihr Schienennetz sanieren und ausbauen muss. Im Moment verhindern zu viele Engpässe und Langsamfahrstellen reibungslose Abläufe. Auch die Züge erwiesen sich als anfällig. Allein am Frankfurter Hauptbahnhof entschuldigte die Bahn im Dezember mehr als 400 Verspätungen von Fernzügen mit "Störungen am Triebfahrzeug".

Auf die Anzeigen auf dem Bahnsteig ist mitunter kaum Verlass: Aus 20 Minuten Verspätungen werden schnell 40 oder gar 60 Minuten. Ein eventueller Alternativzug ist dann weg. Relativ aktuelle Informationen über Zugverspätungen liefert die Auskunft unter bahn.de oder als App für Smartphones. Hier lassen sich für jeden Bahnhof und jeden Zug die Ankunftszeiten ermitteln. Die Daten werden im Minutentakt aktualisiert. Diese Daten hat die Stiftung Warentest für die Untersuchung ausgewertet: Für 20 große Hauptbahnhöfe erfassten die Tester fast 60000 Ankunftszeiten von ICE-, EC- und IC-Zügen sowie von Nachtzügen.