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Sänger der Erfolgsgruppe Unheilig will Betroffenen Mut machen / Therapie ab Kindesalter Selbst Prominente leiden unter Stottern

Von Cordula Riek 23.10.2012, 03:18

Rund 800 000 Menschen in Deutschland haben Probleme mit dem Sprechen: Sie stottern. So wie Der Graf von der Erfolgsgruppe "Unheilig".

Magdeburg l Es ist kein Geheimnis, dass Der Graf, Sänger der Band "Unheilig", seit seiner Kindheit stottert. Seit einigen Jahren geht er damit offen um. Zum Welttag ruft Der Graf gemeinsam mit der Bundesvereinigung Stotterer Selbsthilfe e.V. (BVSS) dazu auf, offensiv mit der Sprechbehinderung umzugehen. "Lieber stottern als schweigen", ist die Formel des prominenten Sängers und der Selbsthilfevereinigung.

Ein Prozent aller Menschen stottert, mehr als 800 000 sind es allein in Deutschland. Beim Stottern handelt es sich um Sprechunflüssigkeiten, die in allen Kulturkreisen auftreten. "Stotterer wissen immer, was sie sagen wollen, bekommen jedoch im Moment des Sprechens die Worte nicht so flüssig heraus wie gewollt", weiß Dr. Susanne Voigt-Zimmermann, Klinische Sprechwissenschaftlerin an der Hals-Nasen-Ohrenklinik an der Universitätsklinik Magdeburg. "Stottern ist dabei sehr individuell ausgeprägt und von verschiedensten Faktoren abhängig."

"Gelassenheit, Ruhe, Liebe und Bestärkung der positiven Fähigkeiten."

Wo liegen die Ursachen des Stotterns? "Den Stein der Weisen hat man bei der Ursachenforschung immer noch nicht gefunden", so Dr. Voigt-Zimmermann. "Es gibt keinen eindimensionalen Ursache-Wirkungszusammenhang. Vielmehr handelt es sich um einen Komplex von auslösenden und das Stottern aufrecht erhaltenden Faktoren: psychosoziale, physiologische, linguistische sowie genetische."

Die Redeflussstörung beginnt fast immer im Kindesalter. Zirka 80 Prozent aller Kinder haben während ihrer Sprachentwicklung Phasen von sogenannter physiologischen Sprechunflüssigkeiten, die sich bis zum Erwachsenwerden wieder zurückbilden. "Wichtig ist, dass die Phasen von Sprechunflüssigkeiten in den Köpfen der Eltern nicht zu Hysterie führen, denn die überträgt sich ungewollt auf die Kinder", macht Dr. Voigt-Zimmermann aufmerksam. "Hier heißt es: nicht drängeln, nicht korrigieren, nicht wichtig gucken, nicht wiederholen lassen, nicht ins Wort fallen, nicht zu früh thematisieren." Gelassenheit, Ruhe, Liebe, Bestärkung positiver Fähigkeiten, Singen, also Selbstverständlichkeiten, helfen, diese "Unflüssigkeiten" in der Entwicklung zu überwinden.

Es gibt keine Tablette gegen das Stottern und keine Operationsmethode. Auch sollte man immer äußerst skeptisch gegenüber Angeboten sein, die Heilung über "Nacht" oder "im Schlaf" versprechen. "Es gibt nicht die eine einzige Methode", weiß Dr. Voigt-Zimmermann aus beruflicher Erfahrung. "Stotterer sprechen unterschiedlich auf die Verfahrensbestandteile von Therapien an! Allerdings wird es mit zunehmendem Alter schwieriger, das ,echte\' Stottern zu heilen. Im Jugendlichen- und Erwachsenenalter wird man also keine 100-prozentige Symptomfreiheit erreichen."

Die Behandlung ist langwierig. Im Kindesalter besteht die Therapie aus drei Bausteinen: "Förderung der sprachlichen Kompetenz des Kindes, Stärkung der kindlichen Persönlichkeit und Beratung des sozialen Umfeldes", erläutert die Klinische Sprechwissenschaftlerin.

Grob lassen sich zwei Therapienansätze unterscheiden: die Nicht-Vermeidungs-Ansätze und das sogenannte Fluency-Shaping, wobei mittels einer ganz bestimmten Sprechtechnik (Kombination aus Atmung, Haltung, Spannung, Artikulationseinstellung) das Sprechen "ver"-flüssigt wird.

"Die Therapie geht teilweise über eine lange Zeit, manchmal begleitet sie das ganze Leben", so Dr. Voigt-Zimmermann. "Sollte eine Therapie beim Sprachtherapeuten vor Ort stagnieren, gibt es mittlerweile gut evaluierte, über mehrere Wochen gehende Stottererkuren (beispielsweise unter www.kasseler-stottertherapie.de)". Stotterern kann geholfen werden, flüssiger zu sprechen und selbstbewusster zu werden!

Der Graf von der Band Unheilig beispielsweise hat trotz seines Stotterns den Rat seiner Lehrer, bloß keinen Beruf zu ergreifen, der viel Menschenkontakt erfordert, ignoriert und gehört heute zu den erfolgreichsten Künstlern unseres Landes.