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25 Jahre Einheit Peter Pollack: Aus der Wische ins Ministeramt

Die letzte DDR-Regierung war angetreten, das Land in die Einheit zu führen. Landwirtschaftsminister Peter Pollack erinnert sich.

Von Steffen Honig 15.08.2015, 01:01

Berlin/Paulinenaue l Am 15. August 1990 brennt auf dem Berliner Alexanderplatz die Luft. 100 000 Bauern aus der gesamten DDR, die um ihre Zukunft nach der deutschen Wiedervereinigung fürchten, machen ihrem Ärger Luft. Landwirtschaftsminister Peter Pollack versucht, die Gemüter zu beruhigen – vergeblich. Eier fliegen, im allgemeinen Pfeifkonzert kommt der Minister nicht zu Wort. Man will ihm ans Leder.

Er muss schließlich fluchtartig den Platz verlassen, schafft es gerade so zu seinem Dienstwagen. „Die roten Genossen in der Landwirtschaft waren unzufrieden mit der Entwicklung. Sie haben die Bauern verrückt gemacht“, erinnert sich Pollack. Am Tag darauf ist er seinen Job los – entlassen von Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU). Mit ihm muss SPD-Finanzminister Walter Romberg gehen. Am 20. August schließlich verlassen die fünf übrigen sozialdemokratischen Minister die Regierung, die Große Koalition ist geplatzt.

Für Peter Pollack kommt das Ende seiner Minister-Karriere so plötzlich wie die Berufung. Ein politisches Amt von Rang ist im Frühjahr 1990 Neuland für ihn. An Kenntnissen der Landwirtschaft freilich mangelt es ihm nicht.

Der 1930 in Dresden geborene Agrarwissenschaftler kommt 1956 in die Altmärkische Wische, als Mitarbeiter der Universität Halle auf deren Versuchsgut in dem Örtchen Falkenberg. „Es sah damals trostlos aus“, sagt Pollack. Das ändert sich mit dem Wische-Plan. Von 1958 bis 1962 wird als Jugendobjekt der FDJ das gesamte System der Entwässerung grundlegend rekonstruiert, neue Straßen und Häuser entstehen im ehemaligen Überflutungsgebiet der Elbe mit seinem berüchtigten „Minutenboden“.

Pollack bleibt mit seiner Familie in der Wische, promoviert 1963 und leitet ab 1969 das wissenschaftliche Zentrum für Meliorationen im Bezirk Magdeburg. Politisch hält er sich zurück, gehört keiner Partei an. Mehrfach sei er aufgefordert worden, in die SED einzutreten. „Das habe ich aus weltanschaulichen Gründen nicht getan“, berichtet der evangelische Christ: „Ich musste immer fünf Gramm besser sein als die anderen, weil mir das Parteiabzeichen fehlte.“

Aber im Rat der 800-Seelen-Gemeinde Falkenberg sitzt Pollack – mit dem Mandat der Gewerkschaft. Spannend wird das in der Wendezeit: „Wir haben Informationsveranstaltungen mit den Parteien für die Bevölkerung organisiert, da wurde heftig debattiert.“ In einer Partei ist er selbst noch immer nicht. Vielmehr kommt die SPD zu ihm. Die Sozialdemokraten stecken in einem Dilemma: In den Koalitionsverhandlungen mit der CDU nach der Volkskammerwahl im März 1990 haben sie das Landwirtschaftsressort zugesprochen bekommen. Aber niemand aus der Fraktion will diese Funktion haben. Externe Fachleute werden angesprochen – und winken reihenweise ab. Dann klingelt in den ersten Apriltagen das Telefon bei Peter Pollack in Falkenberg. Sein Schwiegersohn Günter Neumeister, frischgebackener SPD-Volkskammerabgeordneter, ist am Apparat und fragt im Auftrag der Fraktion: „Hast du den Mut, Landwirtschaftsminister zu werden?“ Wenn ja, solle er am nächsten Morgen nach Berlin kommen. Pollack: „Ich habe nicht viel geschlafen und morgens meiner Frau erklärt: Ich hab keine Ahnung, was ich denen sage.“ Er fährt in die Hauptstadt, redet zunächst mit SPD-Fraktionsmitgliedern. Dann wird Pollack im Ex-Hauptquartier der Staatssicherheit in der Normannenstraße auf Tätigkeiten bei der Stasi geprüft – mit negativem Ergebnis.

Doch vor einer endgültigen Entscheidung besteht er auf einem Gespräch mit Ministerpräsident Lothar de Maizière von der CDU. Der Regierungschef setzt ihm die Pistole auf die Brust: „Wenn Sie jetzt nicht ja sagen, können wir morgen keine Regierung bilden!“

Das zieht. Am nächsten Tag ist Pollack Landwirtschaftsminister, vereidigt vor der Volkskammer mit dem Zusatz „so wahr mir Gott helfe“. Seine Frau Johanna sitzt auf der Zuschauertribüne. „Ganz wohl war mir nicht“, bekundet Pollack, „ich wusste nicht, was auf mich zukommt.“

Umgehend gewöhnt sich der neue Minister an die notwendigen Grundtugenden wie Improvisationsvermögen und Schnelligkeit. Seine Zuarbeit für die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten schreibt er mit der Hand in einer Sitzecke. Pollack: „Am 17. April bin ich dann ins Ministerium einmarschiert und habe die Geschäfte übernommen.“ Dabei ist sein Staatssekretär Peter Kaufhold. Sie sprechen mehrere Stunden mit dem bisherigen Landwirtschaftsminister Hans Watzek von der Bauernpartei.

„Hauptziel sollte sein, dass wir eine vernünftig strukturierte Landwirtschaft entwickeln, wo die Vorteile der Großbetriebe weitgehend erhalten bleiben, sich aber jeder Einzelne entscheiden kann, wie er produzieren will.“ Wochenlang sei daran im Ministerium gearbeitet worden, um dies letztlich im Landwirtschaftsanpassungsgesetz festzuschreiben.

Schon die Modrow-Regierung hatte durch eine Gesetzesänderung die Bauern zu Volleigentümern des Bodenreformlandes gemacht. „Damit konnte jeder Genossenschaftsbauer über die Grundstücke verfügen“, sagt Pollack. Außerdem wurden mit den Agrargenossenschaften, den GmbH und anderen Gesellschaften „Rechtsformen nach dem bürgerlichen Gesetz“ geschaffen. „Gegen den Willen der Bundesregierung“, wie der letzte DDR-Landwirtschaftsminister betont. Auch deshalb hatten nicht alle Regelungen nach der Wiedervereinigung Bestand.

Andere Grundprobleme des DDR-Agrarwesens konnten durch neue Gesetze nicht gelöst werden. Pollack listet auf: „Wir hatten in der Landwirtschaft viel zu viel Leute.“ Nach Entlassungen in Größenordnungen seien nur diejenigen geblieben, die tatsächlich etwas mit der Produktion zu tun hatten. Außerdem produzierte die Landwirtschaft zu viel Milch, Eier und Fleisch. „Das halbe Ministerium war zu meiner Zeit damit beschäftigt, überschüssige Produkte in den Ostblock zu verbringen.“

Der scharfe Bauernprotest in der DDR ist damit programmiert. Dass einzig dieser seinen Kopf als Minister gekostet hat, glaubt Pollack aber nicht. Kurz zuvor sei Lothar de Maizière von Helmut Kohl gedrängt worden, die „SPD aus der Koalition zu kriegen“. Der Bundeskanzler habe die anstehenden Landtagswahlen und schließlich die Wiedervereinigung zu alleinigen Erfolgen für die Union machen wollen. Das Kalkül geht auf: Die Entlassung zweier ihrer Minister ist für die SPD Provokation genug, um die Koalition aufzukündigen.

18 turbulente Wochen als letzter Landwirtschaftsminister der DDR – Peter Pollack ist rückblickend mit sich im Reinen: „Im Prinzip haben wir nichts falsch gemacht. Dass jetzt vieles falsch läuft, ist nicht unsere Schuld.“

In der SPD ist er schließlich doch noch gelandet, im Dezember 1990. Auslöser ist die Freundschaft mit Reinhard Höppner, den er als Vizepräsidenten der Volkskammer kennen und schätzen gelernt hat. Pollack, der noch bis 1995 in der Landwirtschaftsverwaltung tätig ist, zieht ein Jahr später mit seiner Frau zu den Kindern ins brandenburgische Paulinenaue. Er macht hier sogar noch eine späte Parteikarriere: 1998 wählen ihn die Mitbürger in die Gemeindevertretung, er wird stellvertretender Bürgermeister. Erst mit 84 hat er sich im vergangenen Jahr aus dem Rat zurückgezogen. „Ich möchte nicht, dass es heißt: Mit dem Alten können wir nichts mehr anfangen“, sagt Pollack schmunzelnd.