1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Näh’s dir selbst!

Trendhobby Näh’s dir selbst!

Nähen liegt im Trend. Ist das Hobby nur etwas für Leute mit Talent? Eine Reporterin und Grobmotorikerin macht den Selbstversuch.

Von Elisa Sowieja 15.09.2015, 01:01

Magdeburg l Schon die dritte Schlangenlinie. Dabei habe ich keine Spur Alkohol im Blut – nur eine dürftig ausgeprägte Feinmotorik. Mit der bin ich ein wenig der Außenseiter am Nähtisch. Mir gegenüber sitzen Susanne Guhr, die 39-Jährige hat schon als Kind für ihre Puppen gestrickt, und Annemarie Roth, 19 und handarbeitstechnisch zwar unbefleckt, aber offensichtlich geschickter als ich. Und dann wäre da noch Julia Wundrack. Als Modedesignerin ist sie Profi an der Nähmaschine. Seit drei Jahren gibt sie in ihrem Magdeburger Klamottengeschäft auch Unterricht.

Ihre Anfängerkurse sind fast immer ausgebucht, berichtet die 26-Jährige. „Im Frühjahr musste ich sogar Interessenten auf zwei Monate später vertrösten.“ Deshalb stockt sie jetzt auf: Statt einem starten künftig zwei Kurse im Monat. Damit bestätigt sie einen deutschlandweiten Trend. In den vergangenen drei Jahren stieg der Umsatz bei Stoffen und Nähmaschinen stetig an.

Mein erstes Mal an der Maschine hatte verheißungsvoll begonnen. Das Einfädeln meisterte ich mühelos – und das, obwohl man jeden der zwei Fäden durch gefühlt 23 Haken, Löcher und Schlitze navigieren muss. Mit Hilfe von Pfeilen auf und einer Lehrerin neben dem Gerät kein Problem. Doch jetzt, wo wir die ersten Stiche nähen, ist das Ganze schwieriger. Mein Baumwolltuch will sich einfach nicht exakt entlang der gezeichneten Linie unter der Nadel hindurchführen lassen.

Den anderen hingegen gelingt das schon beim zweiten Versuch. Doch siehe da: Die fünfte und letzte Gerade ist auch bei mir als solche zu erkennen. Das motiviert.

Apropos Motivation: Wenn Wundrack ihre Kunden fragt, wieso sie Nähen lernen, stößt sie auf drei Gruppen besonders häufig. Die einen, im Schnitt um die 50 Jahre alt, haben schon ewig eine Maschine herumstehen und wollen endlich mal lernen, wie man damit umgeht. Die nächsten, junge Mädels, kennen den Trend von Freundinnen, sie möchten oft kleine Geschenke nähen: Handytaschen, Tücher.

Gruppe Nummer drei ist die größte: „Die meisten Teilnehmer haben kleine Kinder oder sind schwanger“, sagt die Kursleiterin. „Sie finden es toll, für ihren Nachwuchs etwas selbst zu machen.“ Demnächst bietet sie sogar extra Mami-Kurse an. Eine ähnliche Idee hatte man an der Volkshochschule Magdeburg. Auch dort sind die Nähangebote regelmäßig ausgebucht, berichtet Heike Heinrich, Leiterin für Kunst und Gestalten – sogar schon seit acht bis zehn Jahren. Seit vier Jahren kommen verstärkt Einsteiger, darunter auch dort viele Mütter. Im Oktober gibt‘s deshalb erstmals einen Ferienkurs für Kinder und Eltern.

Annemarie Roth ist klar eine Vertreterin der Gruppe Nummer zwei. „Ich habe Freundinnen aus einer Modeschule, die können alle nähen“, erzählt sie. Wenn die Schülerin fertig ist mit ihren fünf Einsteiger-Stunden, möchte sie vor allem Klamotten aufpeppen. Susanne Guhr hat eine ganz andere Motivation: Sie näht, um zu entspannen. „Ich arbeite als Neurologin im Krankenhaus. Da brauche ich in meiner Freizeit einen Ausgleich“, sagt sie. Ihr Mann hat ihr zu Weihnachten eine Maschine geschenkt. Mit der will sie sich bald an eine selbstgemachte Hose wagen. „Ganz individuell gestaltet.“

Wie es aussieht, dauert‘s nicht mehr lange, bis sie damit loslegen kann. Denn auch die zweite Übung meistert sie mit Bravour: Kreise nähen. Müsste ich doch eigentlich auch hinkriegen, denk ich mir. Schließlich habe ich eben bei den Geraden schon Kurven produziert. Doch die Logik geht nicht auf. Als ich meinen ersten Versuch betrachte, kommt mir ein Kinderlied in den Sinn, mit leicht verändertem Text: „Mein Kreis, der hat drei Ecken“ ...

Die Kurschefin spendet Trost: „Nicht so schlimm. Wenigstens sind noch alle Hände dran!“ Damit zeigt sie mehr Verständnis als damals meine Werkenlehrerin in der dritten Klasse, als sie mir fürs Sticken die erste Drei meines Lebens verpasste. Was zusätzlich tröstet: Die junge Annemarie ist diesmal nur geringfügig besser. Beim Anblick ihrer Kreise zwei und drei rümpft sie die Nase. „Sieht aus wie ein Spiegelei.“

Während wir Drei emsig daran arbeiten, unsere Maschinen gefügig zu machen, haben wir immer mal wieder Zuschauer. Der Nähtisch steht nämlich mitten im Laden, Julia Wundrack hält dafür extra eine Fläche vor dem Schaufenster frei. Zur Erklärung des Schauspiels klebt daran ein Zettel mit Infos zum Kurs. Diese Werbemethode scheint zu funktionieren. Susanne Guhr ist so auf das Angebot aufmerksam geworden. Und die Kursleiterin berichtet: „Rund die Hälfte der Teilnehmer hat entweder den Aushang gesehen oder kommt auf Empfehlung.“

Die restlichen Plätze bringt sie über eine Kleinanzeigenseite im Internet an den Mann. Na ja, genau genommen an die Frau. Denn in drei Jahren gab‘s bei ihr erst zwei männliche Teilnehmer. Kein Wunder, dass mein Nähgarn pink ist und jede Schere pfirsichfarben.

In der letzten Übung legt Frau Lehrerin noch mal eine Schippe Anspruch drauf: Wir sollen die Linie einer vorgemalten Schnecke nachnähen. Kurs-Primus Susanne Guhr weicht wie erwartet nur hier und da ein klitzekleines bisschen ab. Die Schnecke der Spiegelei-Näherin sieht auch ganz passabel aus, die paar Schlenker fallen kaum auf. Mein Werk allerdings grenzt an Tierquälerei.

Julia Wundrack kommentiert das missratene Weichtier salomonisch: „Das ist ein ganz spezielles Exemplar.“ Annemarie Roth setzt noch einen drauf: „Vielleicht sieht es ja schön aus, wenn man‘s umdreht!“ Wohl eher, wenn man‘s weglegt.

Nach anderthalb Stunden ist Nähstunde Nummer eins vorbei. Meine zwei Mitstreiterinnen hatten jede Menge Spaß, resümieren sie einhellig. Grundsätzlich sind sie ja auch passabel zurechtgekommen.

Gut, bei mir fällt die Erfolgsbilanz weniger rosig aus. Aber betrachten wir doch mal die wichtigsten Fakten: Niemand wurde verletzt. Ich konnte es vermeiden, meine Ärmel an der Maschine festzunähen. Und: Die Fachfrau hat mich nicht abgeschrieben. „Ich hatte schon oft Teilnehmer, die sich am Anfang schwergetan haben“, beruhigt sie. „Aber bisher hat das Grundlegende jeder hinbekommen. Sie schaffen das auch!“

Na dann. Spaß macht das Herumprobieren ja schon, auch mit dürftigem Handarbeits-Talent. Man braucht nur etwas Selbstironie. Und in der dritten Kursstunde auch Mut zum Risiko. Denn dann nähen wir mit der Hand.